Arbeiten Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung immer noch zu viel?

Briefe an die Redaktion
Édition
2023/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2023.21405
Bull Med Suisses. 2023;103(04):17-18

Publié le 25.01.2023

Arbeiten Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung immer noch zu viel?

In der SÄZ vom 21.12.2022 formuliert der Präsident des vsao seine festtägliche Hoffnung, dass Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte an Schweizer Spitälern noch weniger arbeiten müssten, um ihre «eigenen Bedürfnisse» besser in den Vordergrund ihres Lebens zu rücken. Dass die Ärzteschaft weniger, viel weniger arbeiten solle, sei angeblich auch ein Gewinn für die Kranken. Ich habe zeit meines Lebens die berüchtigten «60 bis 80 Stunden pro Woche» gearbeitet und stelle fest, dass ich ob diesem angeblich verantwortungslosen Arbeitseinsatz dennoch keinen Schaden erlitten sondern viel Gewinn gebucht habe, nicht nur für mich persönlich. Es reichte mir für den Erwerb einer reichen klinischen Erfahrung, für Facharzttitel, für eine akademische Karriere, für die Leitung einer Klinik an einem grossen Schweizer Spital, für ein immer noch intaktes Familienleben, für Musik mit Pflege des pianistischen Kammermusikrepertoires, und für viele private Reisen. Freude herrschte trotz mehr als 50 Wochenstunden – wohl auch bei den Patientinnen und Patienten.
Die Ärztegeneration Z, die mit Rückenwind des vsao «noch stärker eigene Bedürfnisse» in den Vordergrund stellen will, muss sich überlegen, ob sie den Anforderungen eines anspruchsvollen Berufs wirklich zur Gänze gerecht wird. Wer mehr arbeitet, gewinnt in weniger Zeit mehr klinische Erfahrung. Ein Plus. Wer in einem hohen Beschäftigungsgrad klinisch tätig ist, schafft mehr Kontinuität in der Patientenbetreuung. Ein Plus. Der Arztberuf ist kein «Nine-to-five-Job», in dem punktgenau bei Schichtwechsel der elektronische Griffel niedergelegt wird, wie in der Verwaltung, welche die Schalteröffnungszeiten ihrer Ämter mit helvetischer Präzision einhält. Wer im Dienst Patientinnen und Patienten mit Herzinfarkt behandelt oder bei einer Notfalloperation mitmacht, sollte meines Erachtens am nächsten Morgen nachsehen, wie es denn dem Kranken geht, anstatt einem fein austarierten Überzeitkompensationseinsatzplan nachzuleben. Die Patienten werden es schätzen, und der persönliche Lerneffekt wäre wichtig. «Früher» war nicht alles besser. Aktuell wird nun aber das Kind mit dem Weiterbildungsbade ausgeschüttet. Wäre dem denn nicht Gegensteuer zu geben?
Prof. em. Dr. med. Martin Fey, Zollikofen