Vielleicht erinnern Sie sich: In einem älteren Werbespot der Valiant-Bank bedanken sich Menschen, denen ein Hund aus den Flammen gerettet, bei einer Entbindung geholfen oder ein Bankgeschäft ermöglicht wurde, pathetisch bei ihrem Feuerwehrmann, ihrer Geburtshelferin, ihrer Bankangestellten. Und diese antworten unisono: «Ich hab’ doch einfach nur meinen Job gemacht» [1]. Allenfalls mit einem «gerne» garniert.
Erst kürzlich wurde Dankbarkeit zum Politikum. Die Präsidentin der Operation Libero, Sanija Ameti, die als Dreijährige mit ihren Eltern aus Ex-Jugoslawien in die Schweiz gekommen war, kritisierte in einem Tages-Anzeiger-Interview, dass von Geflüchteten erwartet würde, dankbar zu sein. Und diese ihrerseits würden in der Folge versuchen, als Flüchtlinge leise zu sein und «unter dem Radar» zu bleiben: «Man macht sich nicht beliebt, wenn man sich einmischt» [2]. Die Weltwoche mokierte sich daraufhin ausgiebig über Ametis angeblich fehlende eigene Dankbarkeit [3].
Für die Medizin kommt einem da das Stichwort «Patientendankbarkeit» in den Sinn. Machen wir also bei der Schweizerischen Ärztezeitung den Archiv-Check für die letzten zehn Jahre: Es sind Ärztinnen, aber auch ein Arzt und ein Chiropraktor, die sich im gelben Heft dazu äussern. Ihnen gibt die Dankbarkeit der Patientenschaft «Energie» [4], positive Gefühle [5] oder sie «tut ihnen gut» [6]. Entscheidend ist für mich: Dankbarkeit ist damit Teil eines wechselseitigen Austauschs von Geben und Nehmen. Dankbarkeit zu erfahren formulieren Therapeutinnen und Therapeuten nicht als Erwartung, nicht als Anspruch oder Bringschuld der anderen, sondern als Gewinn für sie selber [7].
Wo Dankbarkeit dagegen erwartet wird, wird das Geben und Nehmen eher zur Einbahnstrasse – vom Empfangenden zum Gebenden. Mit scharf getrennten Rollen, einer klaren Hierarchie und einer erwarteten Geste der Unterwerfung. «Die» und «wir». «Oben» und «unten». Dank ist in dieser Variante eine Schuld, die zu begleichen ist. Wer dem nicht entgegenkommt, ist «undankbar». Ich habe dafür in dieser Zeitschrift in den letzten Jahren ein paar kuriose historische Beispiele gegeben. Etwa Patienten, die sich den Vorgaben der sich als wohltätig verstehenden Ärzte nicht unterwerfen wollten. Sie wurden schnell als «undankbar» betitelt und entsprechend abgestraft [8].
Diese Demuts-Dankbarkeit ist es, die Ameti offensichtlich meint und in Frage stellt, weil sie dazu führen kann, «unter dem Radar» zu leben. Das Problem ist übrigens auch aus der «Entwicklungshilfe» und der «Behindertenpolitik» bekannt.
«Gern geschehen», «de rien», «you’re welcome» sind deshalb mehr als nur Höflichkeitsfloskeln. Sie nehmen dem Dank als Bescheidenheitsgesten das Verpflichtende, Geschuldete und schaffen etwas, was gerade in der Medizin von besonderer Bedeutung ist. Das Treffen auf Augenhöhe.
Vor einhundert Jahren hat der Ethnologe Marcel Mauss die Verpflichtung zur «Gegengabe» auf ein Geschenk hin als grundlegendes Austausch-Prinzip in «archaischen» Gesellschaften beschrieben. In komplexen Gesellschaften muss die Gegengabe nicht in unmittelbarer Rechenhaftigkeit (haben die Kinder auch artig «Dankeschön» gesagt?) erfolgen. Die zufriedenen Patientinnen und Patienten retten womöglich als nächstes einen Hund aus einem brennenden Haus, helfen einem Baby auf die Welt, ermöglichen ein Bankgeschäft oder mischen sich in die Politik ein. Sie machen eben einfach nur ihren Job.