Das SIWF – wirklich Teil meiner Standesorganisation? (mit Replik)

Briefe / Mitteilungen
Édition
2022/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2022.20592
Bull Med Suisses. 2022;103(11):350-351

Publié le 16.03.2022

Das SIWF – wirklich Teil meiner Standesorganisation? (mit Replik)

Sehr geehrte Damen und Herren
Nach der Lektüre von diversen Beiträgen des SIWF in der SÄZ möchte ich meine Meinung als 35-Jahre «junger», selbstständig tätiger Facharzt AIM/Hausarzt zum Ausdruck bringen. Ich fühle mich zunehmend vom SIWF befremdet und habe mich wiederholt gefragt, ob diese Organisation wirklich meiner eigenen Standesorganisation angehört. Nur schon die Einleitung des kürzlich erschienenen Artikels («Kompetenz-basierte Bildung – eine Einführung») sollte die Leserschaft zum Nachdenken bringen: Wenn sich die eigene Berufsorganisation einer offenbar derart exklusiven Sprache bedient, dass ich als Nichtwissender zuerst über die spezielle Semantik aufgeklärt werden muss, so befindet sich diese Organisation mit einiger Sicherheit schon relativ weit weg von meinem Alltag.
Im Speziellen möchte ich aber hinterfragen, wozu einige Bestimmungen im Weiterbildungsreglement für angehende Hausärztinnen dienen: So habe ich bis heute keine schlüssige Begründung gehört, wozu man ein A-Jahr braucht. Verstehen Sie mich nicht falsch, es gibt sicher exzellente A-Jahr-Weiterbildungsstätten, doch wieso überlässt man diesen Entscheid nicht den betroffenen Assistenzärzten? Doch eine solche wettbewerbsorientierte Auslese durch die Assistenten kann diesen offenbar nicht zugemutet werden.
Ich möchte es hier auch nicht unterlassen, den Kollegen, die noch nicht in den Genuss der Facharztprüfung kamen, hier ein Beispiel zu nennen, so dass man sich ein Bild über dessen Sinnhaftigkeit machen kann. So lautete eine Übungs-Aufgabe, man soll bitte die geeignete antibiotische Therapie einer Kunstklappen-MRSA-Endokarditis ankreuzen! Ich bin noch auf der Suche nach einem Kollegen, der diese Fragestellung ernsthaft in seiner ambulanten Praxis antraf, vielleicht kennt das SIWF jemanden? Wer meint, ich habe hier nur das absurdeste Beispiel aus möglichen Fragen ausgewählt, kann sich selber überzeugen und einen Blick in das gängige Lehrmittel werfen, wo sich weitere solche Perlen finden. Die überwiegende Anzahl der Fragen der Prüfung entstammt diesen Lehrmitteln.
Was war denn so falsch an der alten münd­lichen Facharztprüfung? Ja, sie war ein Stück weit ungerecht, doch uns angehenden Hausärzten darf die Erkenntnis zugestanden werden, dass eine Prise Ungerechtigkeit inhärenter Teil des Lebens ist. Viel wichtiger aber: Es wurde wenigstens ansatzweise geprüft, was man wissen und können musste!
Die grösste Absurdität im aktuellen Weiter­bildungsreglement: Man soll doch «vorzugsweise» eine Praxisassistenz besuchen. Ich erlaube mir zu übersetzen: Um als Hausarzt tätig zu sein, muss man seinen Fuss keine Sekunde in eine Allgemeinmedizinische Praxis gesetzt haben, aber zwingend ein A-Jahr vorweisen.
Man soll sich als Assistenzarzt nichts vor­machen, wer die Weiterbildung nicht entsprechend plant, wird eines Tages in der Praxis stehen und realisieren, dass die Allgemeinmedizin spezifisches Wissen und Fähigkeiten verlangt. Ich habe das glücklicherweise früh genug erkannt und entsprechende Gegenmassnahmen getroffen, doch die exemplarisch genannten zwingenden Bestimmungen waren hierbei nicht hilfreich. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich erwarte vom SIWF auch keine Hilfe. Aber im Minimum erwarte ich, dass den angehenden Kollegen keine Steine in den Weg gelegt werden.

Replik auf «Das SIWF – wirklich Teil meiner Standesorganisation?»

Sehr geehrter Herr Kollege Braun
Zunächst möchten wir uns bedanken, dass Sie sich die Zeit für Ihren Kommentar zur ärzt­lichen Bildung genommen haben.
Wie Sie richtig schreiben, beginnen die Spezialisten in Medizinischer Bildung eine Sprache zu entwickeln, die sich vom ärztlichen Tagesgeschäft zu entfernen droht. Die Gründe dafür liegen auf der Hand und ziehen sich durch die gesamte Medizin: Unser sich ständig vermehrendes Wissen einschliesslich der dia­gnostischen und therapeutischen Möglichkeiten ist für Einzelpersonen nicht mehr überschaubar. Kennt sich eine auf Wirbelsäulenverletzungen spezialisierte Traumatologin ausreichend gut mit pädiatrischer Onkologie aus? Sie werden natürlich entgegnen: Das muss sie auch nicht, denn es gibt ja einen ­interdisziplinären Austausch. Genau diesen interdisziplinären Austausch wollen wir mit unserer Artikelserie in der SÄZ leisten, indem wir die – allzu spezialisierte – Fachsprache in den klinischen Weiterbildungsalltag übersetzen. Die wissenschaftlich basierten Erkenntnisse in Aus-, Weiter- und Fortbildung gehen nämlich die gesamte Ärzteschaft an.
Es ist uns aber auch ein Anliegen, einige Ihrer Statements richtigzustellen.
Das SIWF ist die zentrale Anlaufstelle in Bezug auf die ärztliche Weiter- und Fortbildung in der Schweiz. Zu den Aufgaben des SIWF gehören insbesondere auch legislative Aufgaben wie das Erlassen der Weiterbildungs- und der Fortbildungsordnung. Das SIWF erlässt in ­enger Zusammenarbeit mit den Fachgesellschaften für jedes Fachgebiet ein detailliertes Weiterbildungsprogramm. Die einzelnen Fachgesellschaften sind mehrheitlich für die inhaltlichen Belange zuständig. Das SIWF ist dafür besorgt, dass die von den Fachgesellschaften aufgestellten Bedingungen und Kriterien im Einklang mit der übergeordneten Weiterbildungsordnung stehen.
Im aktuellen Weiterbildungsprogramm für den Facharzttitel Allgemeine Innere Medizin und die beiden Curricula Hausärztin/Hausarzt bzw. Spitalinternistin/Spitalinternist heisst es, dass in der dreijährigen Basisweiterbildung «… mindestens ein Jahr an einer allgemeininternistischen Klinik der Kategorie A oder an einer medizinischen Poliklinik der Kategorie I zu absolvieren ist ...». Bezüglich Aufbauweiterbildung heisst es: «… Die Weiterbildung Spitalinternistin/Spitalinternist oder Hausärztin/Hausarzt wird durch eine zweijährige Aufbauweiterbildung komplettiert, deren Zusammensetzung frei wählbar ist …» Und bei den Lernzielen Hausärztin/Hausarzt findet sich: «… Es sind Kenntnisse und Fähigkeiten, deren Erwerb sich besonders für die spätere Tätigkeit in der hausärztlichen Praxis eignen …» Dies erlaubt den Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung die freie Entscheidung, wie sie ihre Weiterbildungszeit möglichst gut an ihre zukünftige Tätigkeit anpassen wollen.
Betreffs der Facharztprüfung zitiere ich wieder das Weiterbildungsprogramm AIM: «… Es wird geprüft, ob die Kandidatin oder der Kandidat … die Lernziele für die Basisweiterbildung erfüllt und somit das für die Betreuung von Patientinnen und Patienten im Fachgebiet Allgemeine Innere Medizin notwendige Basiswissen besitzt …» Bei keiner Prüfung wird verlangt, dass alle Fragen korrekt beantwortet werden. Wenn einzelne Fragen – wie zum Beispiel die von Ihnen genannte Frage nach der antibiotischen Therapie bei einer Endokarditis – anscheinend zu schwierig sind für einen angehenden Hausarzt, führt dies noch lange nicht zum Nichtbestehen der ­Prüfung. Ausserdem besteht die Prüfung nicht nur aus MC-Fragen, sondern auch aus «… Kurzantwort-Fragen … und/oder weiteren Fragetypen …». Mit dieser Kombination ist diese Prüfung wahrscheinlich gerechter als eine mündliche Facharztprüfung, die viel subjektiver und, wie auch Sie zugeben «… ein Stück weit ungerecht ...» wäre.
Wir hoffen, dass wir mit diesen Ausführungen anscheinend vorhandene Missverständnisse klären konnten und laden Sie sehr herzlich zum Lesen der weiteren Artikel ein.
Mit freundlichen Grüssen