Offener Brief an Frau Kollegin Yvonne Gilli

Briefe / Mitteilungen
Édition
2022/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2022.20540
Bull Med Suisses. 2022;103(06):183

Publié le 08.02.2022

Offener Brief an Frau Kollegin Yvonne Gilli

Sehr geehrte, liebe Frau Kollegin Gilli
Für Ihre selbstbewussten, klaren Stellungnahmen in Ihren Editorials möchte ich Ihnen herzlich danken. Ich erkenne eine neue mutige Meinungsbildung der FMH und Selbstvertrauen, welches man oft bei der FMH sehr vermisst hat. Sie sprechen klare Worte, sagen, wo der Schuh drückt, und Sie begründen objektiv und klar.
Die FMH war lange sehr defensiv unterwegs: Angefangen besonders bei Gesundheitsministerin Frau Dreyfuss über Herrn Couchepin, Herrn Burkhalter und zuletzt besonders bei Herrn Berset hat man demütig den Kopf eingezogen und die Interessen der Ärzteschaft nicht überzeugt und klar vertreten. Vor allem linke Politiker haben über Jahre versucht, die Ärzteschaft durch Anprangerungen von zu hohen Löhnen (plakativ an Beispielen von wenigen schwarzen Schafen) zu diskreditieren, um ­damit vor allem an den Ärzten, aber auch am ganzen Gesundheitswesen zu sparen. Die überwiegende Mehrheit der täglich mit gros­sem Einsatz, Freude und Überzeugung arbeitenden Ärzte, Grundversorger, Spezialisten und ebenso Pflegenden sind dabei unbeachtet geblieben. Man hat sich mit einer mitziehenden Medienlandschaft auf einige wenige gestürzt, um ein aktionistisches Sparprogramm vor allem auf Kosten der Ärzte, die gerade um 15% der Gesundheitskosten verursachen, durchzusetzen.
Dass damit viele sehr motivierte Gesundheitsbeschäftigte auf der Strecke geblieben sind, zeigt sich immer klarer. Dass innerhalb der FMH eine gewisse Spaltung zwischen Grundversorgern und Spezialisten entstanden ist, scheint auch Ihnen ein Dorn im Auge zu sein, da Sie klar für eine Einigkeit der Ärzteschaft in der Schweiz plädieren, was die einzige Möglichkeit ist, den Schrumpfsparern unseres Gesundheitswesens einen klaren Riegel zu schieben. Ganz in Ihrem Sinne braucht es eine selbstbewusste, kritische, offene und wohlwollende, sich wieder auf die Grundwerte des ärztlichen Auftrags und der ärzt­lichen Aufgabe konzentrierte einige Ärzteschaft, die sich wehrt gegen die selber sehr grosszügig am goldenen Napf der Steuer­zahler saugenden Aktionisten, die vor allem bei denen sparen wollen, die eigentlich die Last und Verantwortung der gesundheitlichen Versorgung tragen, nämlich den Ärzten und Pflegefachpersonen. Wie sich die eingesparten Betten und Intensivplätze in einer publizistisch hochgespielten Krise ausgewirkt haben, haben wir gerade in aller Deutlichkeit gesehen. Im Gesundheitswesen völlig unerfahrene Politiker und deren technokratische Berater, die sie sich als willfährige Helfer wählen, glauben, über grundlegende wichtige Gesundheitsentwicklungen entscheiden zu können, ohne die mit den wirklichen täglichen Problemen vertrauten Ärzte und Pflegenden einzubeziehen. Es braucht eine Partnerschaft zwischen Politik, Ärzten und Pflegenden und nicht eine schulmeisterliche, regulative und abstrafende Haltung von Funktionären in der Politik, die sich autokratisch gebärden.
Ohne hier noch speziell auf die Corona-Krise einzugehen, sei erwähnt, dass diese sehr deutlich zeigt, wie durch das praktisch vollständige Ausgrenzen der Ärzte und Pflegenden in der Bevölkerung eine Hysterie erzeugt wurde, weil nur Politfunktionäre und deren gewählte Gesundheitstheoretiker versuchten, ein eigentlich normales und häufiges medizinisches Problem, statt mit wissenschaftlicher und ärztlicher Erfahrung und gesundem medizinischem Menschenverstand mit administrativem Zwang zu lösen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und dem FMH-Vorstand weiterhin viel Mut und Kraft, Ihr Walter Schweizer.