Prof. Dr. med. Jörg Leuppi vom Kantonsspital Baselland

Er fühlt sich nie übers Ohr gehauen

Tribüne
Édition
2022/07
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2022.20439
Bull Med Suisses. 2022;103(07):226-227

Affiliations
Junior-Redaktorin der Schweizerischen Ärztezeitung

Publié le 15.02.2022

Jörg Leuppi ist Chefarzt der medizinischen Universitätsklinik und Chief Medical ­Officer am Kantonsspital Baselland und klinischer Professor für Innere Medizin an der Universität Basel. Wie kompetitive Forschung an einem Kantonsspital genau funktioniert und wie er die Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie erlebt.

Zur Person

Prof. Dr. med. Jörg Leuppi ist spezialisiert auf Allgemeine Innere Medizin und Pneumologie und forscht zu chronisch obstruktiven Lungenkrankheiten sowie zum Management von Covid-19-Erkrankten. Er war stellvertretender Chefarzt Innere Medizin am Universitätsspital Basel, bevor er 2013 ans ­Kantonsspital Baselland wechselte. Dort ist er als Chief Medical ­Officer und Chefarzt der medizinischen Universitätsklinik tätig. Ausserdem ist er klinischer Professor für Innere Medizin an der Universität Basel.
Jörg Leuppi, Sie und Ihr Team arbeiten an einer Studie bei Covid-19-Patientinnen und -Patienten, für die Sie mit einem Pharmaunternehmen zusammenarbeiten. Worum geht es dabei genau?
Das ist eine spannende Sache. Ein junges deutsches Pharmaunternehmen, AdVita Lifescience AG (unterdessen aufgekauft von der Schweizer Firma Relief Therapeutics AG in Genf), ist mit einem neuen Produkt auf mich zugekommen, von dem man erhofft, dass es die überschüssige Immunreaktion während einer Covid-19-Erkrankung kontrollieren kann. Es geht dabei um das inhalierbare, lungen-homöostatische, vasoaktive Peptid Aviptadil, das synthetisch von mehreren Firmen produziert wird. Wir erwarten von diesem Peptid eine regulierende Wirkung bei Covid-Betroffenen, die ein erhöhtes Risiko für ein akutes Atemnot-Syndrom (ARDS) haben. Gemeinsam mit AdVita haben wir eine Phase-II-Studie geplant. Wir sind auch die Studiensponsoren, also verantwortlich für die Durchführung und das Design der Studie. Die Studie wird in den Kantonsspitälern Schwyz, St. Gallen und bei uns in Baselland durchgeführt. Ich bin sehr gespannt, was herauskommen wird.
Hier wurden Sie von einem Unternehmen für ein Forschungsprojekt angefragt. Kommt das häufig vor?
Wir beteiligen uns sehr oft an Forschungsprojekten von Pharmaunternehmen. Dabei werden wir als Studienzentrum für ihre Phase-II-, -III- oder -IV-Studie angefragt. Wir agieren dann beispielsweise als Leitzentrum für eine nationale oder internationale Studie. Das bedeutet, wir generieren die Daten im Auftrag des Unternehmens und werden dafür bezahlt. So können wir wiederum eigene Studien querfinanzieren.
Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit der ­Pharmaindustrie? Als vorteilhaft oder schwierig?
So wie es immer im Leben ist: beides ist möglich. Aber ich empfinde die Zusammenarbeit bisher als vorwiegend positiv. Wir haben immer wieder die Chance, ganz neue Produkte kennenzulernen und bei Innova­tionen wirklich an der Front dabei zu sein.
Sie führen auch eigene Forschungsprojekte durch, für die Sie Geldgeber suchen, betreiben also kompetitive Forschung. Was genau heisst das?
Es gibt verschiedene Definitionen von kompetitiver Forschung. Verschiedene Forschungsgruppen können zum gleichen Thema forschen; das kann kompetitiv sein. Hier meinen wir aber mehr, dass wir uns um Gelder – seien es Bundesgelder, Stiftungsgelder oder Gelder von einem Unternehmen – bewerben wollen. Wir müssen Studienprotokolle erstellen, die so überzeugend sind, dass sich eine Trägerschaft finden lässt. Um Nationalfonds- und Stiftungsgelder bewerben sich sehr viele Forschungsgruppen mit den unterschiedlichsten Forschungsthemen. Das ist sehr kompetitiv.
Sie finden also ein Thema und stellen Anträge.
Genau. In meiner Forschungsgruppe erarbeiten wir Fragestellungen, die uns interessieren. Es sind klinische Fragestellungen, die wir im Alltag erkennen, die aber noch nicht beantwortet sind. Dann gehen wir auf Stiftungen oder Unternehmen zu und fragen: Unterstützt ihr unser Vorhaben?
Sie sagen das in einem entspannten Tonfall. Gibt es nicht einen gewissen Erfolgsdruck, wenn Sie finanzielle Unterstützung von einem Unternehmen erhalten?
Da haben Sie recht. Es ist ein Spagat, partnerschaftlich mit der Pharmaindustrie zusammenzuarbeiten und sich trotzdem nicht zu verkaufen. Aber es gibt Fälle, bei denen es einfach ist: Ich leite etwa das Schweizerische Schwere Asthma Register. Das ist ein Register der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie, für das wir Daten sammeln, die auch in eine inter­nationale Datenbank einfliessen. Für diese wichtige nationale Studie erhalten wir Unterstützung von vielen Pharmafirmen wie auch einigen kantonalen Lungenligen.
Sie sind Chefarzt der medizinischen Universitätsklinik und Chief Medical Officer am Kantonsspital Baselland. Welche Tätigkeitsfelder müssen Sie abdecken?
Wenn Sie so wollen, habe ich drei Hüte an. Ich bin zu 100 Prozent am Kantonsspital Baselland angestellt; ein Teil meiner Anstellung wird aber von der Universität Basel bezahlt. Dafür engagiere ich mich als strukturierter bzw. klinischer Professor für Innere Medizin an der Universität entsprechend in Lehre und Forschung. Mit dem universitären «Endowment» habe ich einen Grundstock an Finanzierungsmitteln, um unter anderem zwei Doktoranden anzustellen – eine wichtige ­Anschubfinanzierung für neue Projekte. Des Weiteren bin ich klinisch verantwortlich für die medizinische Universitätsklinik mit einem entsprechenden Weiterbildungsstatus A in Allgemeiner Inneren Medizin wie auch für die Organisation und Führung der Klinik. Zu guter Letzt bin ich als Chief Medical Officer in der ­Geschäftsleitung auch für die medizinische Qualität am gesamten Kantons­spital verantwortlich.
Wie bekommen Sie diese Aufgaben unter einen Hut?
Das ist eine gute Frage. Ich brauche dafür ein gutes Team um mich herum, das mir sowohl Führungs- wie auch Organisationsaufgaben abnimmt. Ich habe eine sehr tolle Klinikmanagerin, einen sehr engagierten ­internistischen Chefarztkollegen sowie eine sehr strukturierte Assistentin. Ich muss gut geführt werden, dann geht es (lacht).
Wie genau setzt sich Ihr Forschungsteam zusammen?
Ich habe eine Forschungsgruppe, in der aktuell etwa 10 bis mindestens 15 Personen in Teilzeit arbeiten. Zum Teil handelt es sich um langfristige Anstellungen wie bei den study nurses oder um Promovierende, die für ein halbes Jahr oder ein Jahr da sind. Bei uns arbeiten ­Ärztinnen und Ärzte, Pharmazeutinnen, Gesundheitswissenschaftlerinnen, Pflegewissenschaftlerinnen und ­Labormedizinerinnen. Es ist eine sehr heterogene interdisziplinäre Gruppe. Das macht Spass.
Ihre Tätigkeitsfelder sind vielfältig. Gibt es eine Rolle, die Ihnen am besten gefällt?
Ich bin gerne Doktor. Ich hänge sehr an meiner kleinen Sprechstunde am Montagnachmittag. Ich mache sehr gerne Chefvisiten. Mit Studierenden und angehenden Fachärztinnen und Fachärzten Patientengeschichten zu besprechen und dabei auch Untersuchungstechniken zu üben ist mir sehr wichtig. Ich mache gerne vor, wie man Menschen anfasst und untersucht. Doktor sein heisst nicht primär, CT-Aufnahmen zu organi­sieren und Blutproben ins Labor zu schicken, sondern mit Menschen zu reden und sie zu untersuchen. Das mache ich sehr gerne, ich komme aber zunehmend ­weniger dazu.
Gibt es eigentlich eine Studie, die Ihnen besonders am Herzen liegt?
Mein Herzblut liegt bei einer Studie zum Einsatz von Cortison im Fall einer akuten Exazerbation bei COPD-Patientinnen und -Patienten. Vor einigen Jahren konnten wir bereits zeigen, dass im Falle einer Exazerbation eine Cortisontherapie von fünf Tagen ausreicht statt der bisherigen 14 Tage. Wenn man die Studie jedoch genau anschaut, kann man vermuten, dass wahrscheinlich drei Tage oder sogar noch weniger reichen könnten. Seit einigen Jahren führen wir mit Hausärztinnen und -ärzten eine vom Nationalfonds gesponserte Studie zu dieser Frage durch. Wir haben aber leider sehr Mühe, dass Patientinnen und Patienten auch rekrutiert und in die Studie eingeschlossen werden.
Das Studienergebnis könnte einen umsichtigen und zurückhaltenden Einsatz von medizinischen Ressourcen fördern. Ein Thema, das Ihnen wichtig ist?
«Smarter medicine» bzw. «less is more» sind Lieblingsthemen von mir. Das bezeichnet die Frage danach, welche Untersuchungen oder Behandlungen wirklich sinnvoll und angebracht sind und welche man weglassen kann. Das müssen wir stets fragen, leben und lehren.
rahel.gutmann[at]emh.ch