Studie des Kantonsspitals St. Gallen

Ärztliche Weiterbildung im Netzwerk: Wo liegen die Stärken?

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Édition
2022/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2022.20383
Bull Med Suisses. 2022;103(0102):24-26

Affiliations
a PD Dr. rer. pol. habil., Betriebswirtschafterin der Frauenklinik, Kantonsspital St. Gallen; b Dr. med., Oberärztin der Frauenklinik, Kantonsspital St. Gallen; c Qualitäts- und Riskmanagerin, Operatives Qualitätsmanagement, Kantonsspital St. Gallen; d Dr. med., MBA, Projektleiterin Qualitätsmanagement, ­Operatives Qualitätsmanagement, Kantonsspital St. Gallen; e Prof. Dr. med., MBA, Chefarzt der Frauenklinik, Kantonsspital St. Gallen

Publié le 04.01.2022

Die Weiterbildung im Netzwerk von Spitälern kann dem ärztlichen Nachwuchs vielversprechende Chancen eröffnen. In der Praxis zeigt sich aber immer wieder, dass Netzwerkstrukturen wenig bekannt sind oder von jungen Ärztinnen und Ärzten sogar bewusst nicht genutzt werden. Eine Umfrage unter angehenden Gynä­kologinnen und Gynäkologen ging der Frage nach, wo die Stärken der bestehenden Netzwerke liegen und wo noch Handlungsbedarf besteht.
Berufspolitisch verbinden sich schon seit längerem grosse Hoffnungen mit Verbundstrukturen im Rahmen der ärztlichen Weiterbildung [1]. Die in einem Netzwerk zusammengeschlossenen Weiterbildungsstätten bilden einen Ausschuss, um arbeitsfähig zu sein. Dieser koordiniert die Weiterbildung der Kandidatinnen und Kandidaten, und er organisiert die Rotationen in den geforderten Abschnitten, z.B. zwischen mehreren Regionalspitälern (Kategorie B), dem Zen­trums- bzw. Universitätsspital (Kategorie A) und niedergelassenen Praxis-Weiterbildungsstätten [2]. Dem fachärztlichen Nachwuchs steht es dabei frei, einem regionalen Netzwerk anzugehören oder die gefor­derten Weiterbildungsabschnitte ohne Netzwerkanschluss zu durchlaufen.
Bei der aktuellen Arbeitsmarktsituation mit einem Mangel an Fachkräften im Gesundheitswesen [3, 4] ist es denkbar, dass die von den Weiterbildungsnetzwerken versprochene Planungssicherheit über mehrere Jahre hinweg auch ohne Netzwerkbeitritt erreicht werden kann. Daher ist es wichtig, weitere Kriterien zu kennen, welche Netzwerke aus Sicht junger Ärztinnen und Ärzte attraktiv erscheinen lassen.
Angehenden Fachärztinnen und -ärzten ist bei der Weiterbildung die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben wichtig.

Veränderte Werte und Ansprüche

Die jüngere Generation startet heute mit anderen ­Erwartungen ins Arbeitsleben als noch vor 20 Jahren [5]: Angehende Fachärztinnen und Fachärzte dürfen wählerischer bezüglich ihres Arbeitgebers sein und können sich fragen, unter welchen Bedingungen sie bereit sind, ihre Tätigkeit auszuüben. Dabei lassen sich veränderte Werte und Ansprüche in Bezug auf Arbeit, Freizeit, Selbstbestimmung, Karriere und Familie erkennen [4], so dass die Attraktivität von Netzwerken wohl nicht nur von rein fachbezogenen Faktoren ­abhängen dürfte.
In diesem Zusammenhang wird auch eine Individualisierung des Erfolgsbegriffs deutlich: Eine erfolgreiche Weiterbildungszeit wird nicht mehr nur über die möglichst rasche Erlangung des fachärztlichen Titels definiert, vielmehr werden beispielsweise auch die Mit­arbeit an inhaltlich interessanten Projekten oder die Möglichkeit, berufliche und private Aufgaben gut miteinander zu verbinden, als ­essentiell erachtet [6].

Zur Durchführung der Studie

Alle Mitglieder (n = 205) des «Jungen Forums gynéco­logie suisse» wurden online mittels standardisierter ­Fragebögen zu Stärken und Schwächen bestehender Netzwerke befragt [7]. Um Empfehlungen abzu­leiten, stützten sich die Autorinnen und ­Autoren auf das Adequacy-Importance-Modell. Demnach herrscht dann Handlungsbedarf für das Netzwerk­management, wenn die Wichtigkeit von Kriterien hoch ist und gleichzeitig Mängel bei deren Erfüllung wahrgenommen werden [8, 9]. Die Rücklaufquote betrug 20 Prozent (n = 42). Sieben Teilnehmende wussten bestimmt, einem Netzwerk anzugehören, elf waren sich diesbezüglich nicht sicher.

Was Netzwerke attraktiv macht

Nach Ansicht der Befragten ist die Garantie des Weiterbildungsabschnitts in der Kategorie A («A-Jahr») im ­geplanten Weiterbildungspfad ein sehr wichtiges Kriterium für die Attraktivität eines Netzwerks. Da die Netzwerkärztinnen und -ärzte in der vorliegenden Umfrage bestätigten, dass dieses Kriterium bereits ­regelmässig von bestehenden Netzwerken im Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe erfüllt wird, kann diese Leistung als Standard dieser Netzwerke gelten und sollte beibehalten werden.
Auch die Sicherung des zur Erlangung des Weiter­bildungstitels notwendigen Operationskatalogs, die Möglichkeit zur Planung von Familienzeiten und Teilzeitarbeit sowie Trainingsangebote zur Schulung klinischer Fertigkeiten sind gemäss unserer Befragung wichtige Kennzeichen attraktiver Netzwerke. Im Gegensatz zur Organisation des A-Jahres erfüllen be­stehende Netzwerke diese Kriterien allerdings nur ­teilweise. Abbildung 1 zeigt aus den Ergebnissen resultierende Handlungsempfehlungen in Anlehnung an das Adequacy-Importance-Modell.
Abbildung 1: Ableitung von Handlungsbedarf für das Netzwerkmanagement in Anlehnung an das Adequacy-Importance-Modell.

Es gibt noch Verbesserungspotenzial

Aus Sicht junger Ärztinnen und Ärzte scheint die Zu­sicherung des A-Jahres im Rahmen von Netzwerkstrukturen trotz gegebener Arbeitsmarktlage ein Wett­bewerbsvorteil gegenüber der Weiterbildung ohne Netzwerkanbindung zu sein. Für Netzwerke bedeutet das: Um attraktiv zu sein, sollten mögliche Engpässe im Weiterbildungspfad frühzeitig erkannt und bei der langfristigen Planung und Koordination der Weiter­bildungsabschnitte berücksichtigt werden.
Hinsichtlich der Zusicherung des für die fachärztliche Prüfung erforderlichen Operationskataloges gibt es ­jedoch Verbesserungspotenzial. Dasselbe gilt im Hinblick auf die Ermöglichung von Teilzeitarbeit oder ­gezielter beruflicher Auszeiten sowie für spezielle ­Trainingsangebote zur Schulung klinischer Fertig­keiten. Dort besteht die Möglichkeit, gewisse Alleinstellungsmerkmale als Netzwerk zu entwickeln und sich als attraktiver, regionaler Weiterbildungsanbieter zu positionieren.

Das Wichtigste in Kürze

• Netzwerke von Spitälern offerieren und koordinieren die fachspezifischen Weiterbildungen. Viele angehende Fach­ärztinnen und -ärzte nutzen jedoch nur die Angebote und schlies­sen sich den Netzwerken nicht an.
• In einer Studie des Kantonsspitals St. Gallen bei angehenden Gynäkologinnen und Gynäkologen wurde danach gefragt, was es braucht, damit die Zugehörigkeit zu einem Netzwerk attraktiv wird.
• Folgende Punkte wurden genannt: Garantie des Weiter­bildungsabschnitts der Kategorie A im geplanten Weiterbildungspfad, Sicherung des Operations­katalogs, Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie Trainings­angebote zur Schulung klinischer Fertigkeiten.

L’essentiel en bref

• Les réseaux d’hôpitaux proposent et coordonnent les formations postgraduées spécifiques. De nombreux futurs médecins spécialistes profitent certes de ces offres, mais ne s’affilient pas aux réseaux.
• Dans une étude menée par l’Hôpital cantonal de Saint-Gall auprès de futurs gynécologues, il a été demandé ce qu’il ­fallait pour rendre attractive l’appartenance à un réseau.
• Les points suivants augmentent l’attrait: garantie de la ­partie de formation postgraduée de catégorie A dans le parcours de formation postgraduée prévu, garantie du catalogue des opérations, mesures favorisant la conciliation de la vie professionnelle et de la vie privée et offres de formation pour l’entraînement aux compétences cliniques.
Die Autorinnen und Autoren danken allen Personen, die an der ­Umfrage teilgenommen haben.
PD Dr. rer. pol. habil. ­Mirjam Thanner
Kantonsspital St. Gallen
Frauenklinik
Rorschacher Strasse 95
CH-9007 St. Gallen
mirjam.thanner[at]kssg.ch