Im Ungleichgewicht mit der Natur

Briefe / Mitteilungen
Édition
2021/41
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2021.20218
Bull Med Suisses. 2021;102(41):1331-1332

Publié le 12.10.2021

Im Ungleichgewicht mit der Natur

Sehr geehrter Herr Spijk
Ich denke leider, dass Sie sehr, sehr Recht haben. Allerdings überhole ich Sie noch links. Nachdem ich wahrscheinlich schon zwanzig Jahre an diesem Thema kaue und auch leide, habe ich den Eindruck, dass es ein kardinaler Fehler der Neuzeit ist, dass sie sich als «Bessermacher» der Welt empfindet. Ja, wir Neuzeitler haben uns die Welt immer mehr untertan gemacht und da kann man ja auch die Schweiz beglückwünschen, wenn man an all die Gefahren und Unbill in und aus den hohen Bergen denkt.
Hunderttausend Jahre haben wir Menschen im Gleichgewicht mit der Natur, mit der Erde, mit den Menschen um uns herum gelebt, ja leben müssen. Wir konnten nicht anders. Wir waren klein im Vergleich zur Erde.
Ich habe keine Hoffnung mehr, dass wir Menschen uns so bescheiden können und zu verzichten bereit wären, dass das unsere lebende Welt retten könnte. Die materielle Welt interessiert das sowieso nicht. Die Erde wird nicht untergehen. Wir Menschen bauen uns die Hölle selbst, immer einer dem anderen und allen zusammen. So erfolgreich sind wir dar­in, die Welt immer besser zu machen. Vielleicht sollten wir anfangen, Fragen zu stellen. Es ist längst nicht mehr 12 Uhr und auch nicht 5 nach 12, sondern schon Nachmittag.
Sie fragen nach einer Lösung? Einen Ausweg habe ich auch gefunden: Es spricht ja doch vieles dafür, dass unsere Dimensionen von Raum und Zeit, in denen sich unser körperliches Dasein abspielt, nicht die einzigen sind, die es gibt. Es spricht eine Menge dafür, dass die Welt ­Beziehung hat, dass die Evolution nicht nur ein toter Vorgang war, der dann erstaunlicherweise auch Leben und sogar den Menschen hervorgebracht hat, sondern dass sich in der Evolution ein Sinn ergibt und damit eine Beziehung. Zu wem? Die Menschheit hat seit Jahrtausenden dafür den Begriff Gott (oder andere auch Götter oder das eine Sein) geprägt. Da gibt es auch viele Ideen. Dass dieser Gott seinen Sohn Jesus Christus gesandt hat, uns Menschen aus unserer selbstgemachten Hölle herauszuholen, das hat doch etwas. Das würde plötzlich Beziehung herstellen, wo unsere Beziehungen immer in die Brüche gehen. Alles auf dieser Welt ist nur Glauben, auch das, was wir zu glauben wissen. Aber dieser Glaube wäre der hoffnungsvollste. Warum sollten wir den nicht glauben? Nennen Sie mir etwas Besseres.