Warum müssen wir Querdenker jetzt verbieten?

Briefe / Mitteilungen
Édition
2021/33
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2021.20081
Bull Med Suisses. 2021;102(33):1051

Publié le 18.08.2021

Warum müssen wir Querdenker jetzt verbieten?

Der Leserbrief von Marco Casanova kann nicht unwidersprochen bleiben. Man weiss von ihm, dass er sich zeitweise pointiert äus­sert. Man soll das ja auch können und dürfen.
Da in der Schweiz Meinungsäusserungsfreiheit herrscht, worüber wir alle sehr froh sind, ist es allerdings auch gestattet, sich zu geäus­serten Meinungen ebenfalls zu äussern, was ich im Folgenden tun möchte.
In letzter Konsequenz würde seine Äusserung bedeuten, sonst noch ganz andere, ethisch sehr fragwürdige Dinge unternehmen zu müssen, z.B.:
– Einem Alkoholiker mit Morbus Wernicke oder Leberzirrhose jegliche Behandlung verweigern
– Einem Raucher ebenfalls die Krebsbehandlung entziehen
– Einen Fahrradfahrer, der unglücklicherweise ohne Helm stürzt, sowieso nicht behandeln und aus der Praxis weisen
– etc.
Ich möchte damit auf mehrere Dinge hinweisen:
1. Querdenker gab es schon immer. Bis anhin konnten wir darüber lächeln. Warum müssen wir sie jetzt verbieten?
2. Die Aussage, die Intensivstationen seien überlastet gewesen oder müssten vor einer Dekompensation geschützt werden, entbehrt jeder Grundlage. Das Gesundheitswesen in der Schweiz war nie in Gefahr, so aus dem Ruder zu laufen wie in Norditalien. Notspitäler, welche eingerichtet wurden, mussten wieder rückgebaut werden, ohne je einen Patienten gesehen zu haben, in grossen Kantonsspitälern mussten Abteilungen geschlossen oder Kurzarbeit eingeführt werden, weil COVID-Betten bereitgestellt wurden (die dann z.T. nicht mal gebraucht wurden). Auch grosse Intensiv­stationen waren nie mehr als zu einem Drittel durch COVID-Patienten belegt. – Gleichzeitig möchte ich diesbezüglich zu bedenken geben, dass trotz dieser ständigen Behaup­tungen (die Überlastung des Gesundheitswesens müsse verhindert werden), auch von Seiten des Bundesrates, die Gesundheitspolitik, angeführt von BR Berset, munter weiter an Sparprogrammen bastelt. Wer widerspricht sich denn jetzt da?
3. Weiterhin sehr wenig bis gar nichts unternommen wird gegen das Drama im Pflege­sektor (das schlicht und einfach gar nichts mit COVID zu tun hat).
4. Unsere ärztliche Einstellung und der hippokratische Eid verbieten das von Casanova vorgeschlagene Vorgehen prinzipiell.
5. Angesichts der Tatsache, dass sich jetzt herauszukristallisieren scheint, dass die mRNA-Impfung gar nicht so optimal vor Erkrankung schützt und nicht mal vor Re-Infektion und/oder Weiter-Übertragung des Virus, ist ein Behar­ren auf der unbedingten Notwendigkeit der Impfung wissenschaftlich zumindest fragwürdig. Dass die Politik anders denkt, wissen wir. Dass Ärzte mit der Politik nicht immer einverstanden sind, ebenfalls.
6. Ich finde, wir sollten fähig sein, differenzierter zu denken. Gerade in der Medizin, in der es um die optimale Betreuung und Behandlung von Individuen geht, von einzelnen Menschen mit all ihren besonderen Eigenschaften und Eigenheiten, sollten wir wegkommen von Allgemeinplätzen.