Gedanken zu Ausbildungsplätzen und Numerus clausus

Briefe / Mitteilungen
Édition
2021/23
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2021.19907
Bull Med Suisses. 2021;102(23):770

Publié le 08.06.2021

Gedanken zu Ausbildungsplätzen und Numerus clausus

Als ehemaliger Präsident der Ärztegesellschaft Thurgau (1983–1992) verfolge ich mit Interesse jeweils die Neuaufnahmen. Von den 34 Kandidatinnen und Kandidaten, welche die Aufnahme in die Thurgauer Ärztegesellschaft beantragt haben, besitzen neun das Schweizer Bürgerrecht. Zwei sind Doppelbürger (CH/DE), 18 stammen aus Deutschland, die restlichen fünf kommen aus Grossbritannien, Ungarn, Litauen und Österreich. Von den 34 Ärztinnen und Ärzten arbeiten acht in der Grundversorgung.
Während meiner standespolitischen Aktivität hat Heiner Geissler 1974, damals Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, das Schlagwort «Kostenexplosion» kreiert. Wegen der Ölkrise waren die Finanzen des Staates aus dem Lot geraten. Schuld an der «explosionsartigen» Kostenentwicklung im Gesundheitswesen waren die Ärzte. Die FMH hat am 11. November 1995 in der Schweizerischen Ärztezeitung einen Artikel über die Zulassungsbeschränkung zum Medizinstudium publiziert und folgende Vorschläge gemacht:
1. Beschränkung der Maturandenquote
2. Voruniversitäre Selektion (Numerus clausus)
3. Intrauniversitäre Selektion («kalter Numerus clausus»)
4. Beschränkung der Weiterbildungsstellen
5. Beschränkung der Praxisbewilligungen
6. Rezertifizierung der ärztlichen Berufsausübung
7. Massive Limitierung der Ärzteeinkommen
Von diesen vorgeschlagenen Massnahmen wurde eigentlich nur der Numerus clausus eingeführt, welcher bis zum Inkrafttreten der bilateralen Verträge mit der EU betreffend die Personenfreizügigkeit am 1. Juni 2002 die befürchtete Ärzteplethora verhindert hat. Heute sind wir wegen diesem Numerus clausus, welcher nur Wissen prüft und die Sozialkompetenz ignoriert, auf den Import von ausländischen Ärzten und Ärztinnen angewiesen.
Die Aufgaben unserer Standesorganisation sind immens. Ich möchte jedoch die Mitglieder des FMH-Vorstandes bitten, sich für eine Vermehrung der Ausbildungsplätze einzusetzen, so dass wir nicht mehr auf ausländische Ärztinnen und Ärzte angewiesen sind. Auch die Selektion durch den Numerus clausus sollte man unbedingt überprüfen.