Interview mit Sara C. Meyer, Co-Preisträgerin Stern-Gattiker-Preis 2020

«Ich bin stets meinen Interessen als Ärztin gefolgt»

Tribüne
Édition
2021/1920
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2021.19803
Bull Med Suisses. 2021;102(1920):669-671

Affiliations
Wissenschaftsjournalistin

Publié le 12.05.2021

Sara C. Meyer hat getan, was viele Medizinerinnen nicht wagen: Sie hat ihre medizinische und akademische Karriere zielstrebig verfolgt. Heute ist sie SNF-Eccellenza-Professorin, Oberärztin und Forschungsgruppenleiterin und hat gleichzeitig eine Familie. Durch ihren persönlichen Weg ist sie ein positives Vorbild für junge Berufskolleginnen geworden und erhielt dafür den Stern-Gattiker-Preis 2020.

Zur Person

Sara C. Meyer hat in Bern Medizin studiert und in Bern und Philadelphia ein Doppeldoktorat (MD und PhD) erworben. Ihre klinische Weiterbildung absolvierte sie am Kantonsspital Baden und am Universitätsspital Basel. Sie erwarb den Facharzt­titel FMH Hämatologie sowie den FAMH-Titel für hämatologische Diagnostik. Sie forschte am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York und spezialisierte sich auf myeloische Leukämien. Seit ihrer Rückkehr ans Universitätsspital Basel leitete sie parallel zu ihrer klinischen Tätigkeit Forschungsprojekte, die von schweizerischen und ausländischen Institutionen unterstützt wurden. 2018 wurde sie Privatdozentin. Sie publizierte in verschiedenen wissenschaftlichen Fachzeitschriften wie Cancer Cell, Journal of Clinical Investigation, Blood sowie Lancet Oncology und gewann mehrere Preise in der Krebsforschung. Seit 2019 ist Sara C. Meyer SNF-Eccellenza-Professorin an der Universität Basel. Sie ist Oberärztin und Forschungsgruppenleiterin in der Abteilung für Hämatologie und im Departement Biomedizin des Universitätsspitals Basel. Sie ist 42 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und ihrer bald 3-jährigen Tochter in Liestal.
Frau Meyer, zunächst herzliche Gratulation zum Stern-Gattiker-Preis. Wie haben Sie reagiert, als Sie erfahren haben, dass Sie ihn erhalten?
Ich war überrascht, als der Anruf von der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften kam. Denn ich bin überzeugt, dass es noch viele andere Ärztinnen gibt, die diesen Preis verdienen würden. ­Natürlich habe ich mich sehr über die Auszeichnung gefreut.
Wie kam es zu Ihrer Nominierung für diesen Preis?
Der Chefarzt der Hämatologie am Universitätsspital Basel, Jakob Passweg, hat mich vorgeschlagen. Dann sind innert kurzer Zeit zahlreiche Empfehlungsschreiben zusammengekommen: von verschiedensten Kolleginnen aus der Klinik und der Forschung, aber auch von Mentorinnen und Mentoren, die mich seit vielen Jahren kennen. Das hat mich mindestens so sehr gefreut und berührt wie die Tatsache, dass ich den Preis tatsächlich bekommen habe.
Der Stern-Gattiker-Preis soll Frauen in der akademischen Medizin würdigen und den weiblichen Nachwuchs motivieren. War es Ihr Ziel, ein weibliches Vorbild zu sein?
Nein, nicht explizit. Ich bin stets meinen Interessen als Ärztin und meinem Interesse für die Hämatologie gefolgt. Dadurch bin ich offenbar zum Vorbild geworden.

Stern-Gattiker-Preis

Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) lancierte 2018 den mit 15 000 Franken dotierten Stern-Gattiker-Preis. Damit sollen Frauen in der akademischen Medizin gewürdigt und der weibliche Nachwuchs motiviert werden, eine akademische Karriere anzustreben. Der Name des Preises geht auf zwei Medizinerinnen zurück: Lina Stern, die erste Professorin an der Universität Genf, und Ruth Gattiker, eine der ersten Professorinnen an der Medizinischen Fakultät Zürich. Nächster Eingabetermin ist im Frühling 2022.
Hatten Sie selbst Vorbilder, die Sie inspiriert haben?
Meine Eltern waren positive Vorbilder für mich. Meine Mutter und mein Vater waren beide berufstätig und erfüllt von ihrer Tätigkeit als Lehrerin und Arzt. Sie haben mich dazu inspiriert, meine Interessen zu verfolgen. Auch in der Medizin haben mich verschiedene Persönlichkeiten inspiriert und beruflich geprägt. Sehr beeindruckt hat mich beispielsweise Irene Hösli. Sie ist Chefärztin der Geburtshilfe am Universitätsspital Basel und hat gleichzeitig eine Familie. Sie hat mich bei der Geburt unserer Tochter ärztlich betreut, und ich habe sie als fachlich und menschlich unglaublich kompetent und engagiert erlebt. Auch das Mentoring von jüngeren Kolleginnen – zum Beispiel mir – ist für sie selbstverständlich.
In der Medizin verfolgen immer noch wesentlich weniger Frauen als Männer eine akademische Karriere. Was ist nötig, damit die Frauen aufholen?
Vorbilder von Ärztinnen, die den akademischen Weg realisieren, sind sicher wichtig und hilfreich, damit junge Kolleginnen eine akademische Laufbahn in der Medizin überhaupt als reelle Option in Betracht ziehen. Zusätzlich braucht es Mentoring, das heisst informellen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, die einige Jahre Vorsprung haben und bereit sind, ihre Erfahrungen zu teilen. In diesem Rahmen ist es möglich, Per­spektiven aufzuzeigen, die vielleicht nicht offensichtlich sind, oder auch praktischen Rat zu geben zu den zahlreichen karrieretechnischen Umsetzungsfragen. Hilfreich wäre sicher auch, wenn wir Kaderärztinnen und Kaderärzte aktiv auf potenziell interessierte Assistenzärztinnen zugehen und sie auf die Möglichkeit eine­r akademischen Laufbahn aufmerksam machen würden. Und ihnen auch vermitteln, wie man eine solche anpackt. Sicher hilft auch die Möglichkeit – zumindest vorübergehend –, Teilzeit zu arbeiten.
Haben Sie im Laufe Ihrer Karriere Widerstand gegen Ihre beruflichen Ambitionen gespürt? Mussten Sie Hindernisse und Vorurteile überwinden?
Ich habe mein Interesse für die Hämatologie stets mit Engagement verfolgt und bin die jeweils plausiblen nächsten Schritte gegangen. Dagegen habe ich keinen wesentlichen Widerstand gespürt. Von Kolleginnen und Kollegen kam vielleicht manchmal ein gewisses Erstaunen, wenn diese einen ganz anderen Lebensentwurf hatten.
Wie haben Sie Ihr Fachgebiet ausgewählt?
Die Hämatologie hat mich schon früh während des Studiums interessiert. Ich hatte den Eindruck, dass in diesem Fachgebiet klinische Anwendung und neue Entwicklungen näher zusammenliegen als in anderen Spezialgebieten der Medizin. Bis heute empfinde ich Hämatologie als ausgesprochen innovatives Fach, das neuen therapeutischen Möglichkeiten gegenüber sehr offen ist.
War es denn Ihr Ziel zu forschen?
Mich haben die klinischen und molekularen Zusammenhänge immer sehr interessiert: Wieso war ein bestimmter Krankheitsverlauf, wie er war? Was waren mögliche Einflussfaktoren? Und darauf basierend: Was könnte man beim nächsten Mal besser machen? Wie könnte man besser behandeln? Und: Wieso wirkte die eine Therapie und eine andere nicht? Im akademischen Umfeld fand ich den Raum, solchen Fragen und Zusammenhängen nachzugehen.
Gab es weitere Gründe, die für eine akademische Laufbahn sprachen?
Ja. Mir machen auch Lehre und Ausbildung grosse Freude. Es macht mir wirklich Spass, mein Wissen über hämatologische Krankheitsbilder und wie man diese abklärt und behandelt an meine Studierenden weiterzugeben.
Sie haben nicht nur eine beeindruckende berufliche Laufbahn, sondern sind auch Mutter einer bald 3-jährigen Tochter. Wie schaffen Sie es, Beruf und Familie zu vereinbaren?
Für mich ist entscheidend, dass ich beruflich wie privat mit Leuten zusammenarbeiten kann, denen ich vertraue und auf die ich mich verlassen kann: Ich kann als Ärztin nur dann vollen Einsatz leisten, wenn ich sicher bin, dass währenddessen für meine Tochter gut gesorgt ist. Ebenso wichtig ist für mich die Gewissheit, dass ich mich auf meine Mitarbeiterinnen und Mit­arbeiter verlassen kann.
Das funktioniert offenbar gut …
Wir haben das Glück, dass wir eine Nanny haben, die unsere Tochter seit ihrer Geburt kennt. Zusätzlich unterstützen uns beide Grossmütter. Und mein Mann und ich sind beide sowohl beruflich als auch in der ­Familie engagiert. Auch im Beruf habe ich Glück: Sowohl im Hämatologie-Team im Spital als auch in meiner Forschungsgruppe arbeite ich mit sehr kompetenten Kolleginnen und Kollegen zusammen, die mich sehr gut vertreten, wenn ich abwesend bin.
Sara C. Meyer (erste Reihe, Zweite von links) mit ihrem Forschungsteam.
Wie nehmen Sie Ihre Rolle als Mentorin wahr?
Als Mentorin gehe ich bewusst und gerne auf Fragen zu Beruf und Familie ein. Auch bei den männlichen Kollegen. Dabei teile ich meine eigenen Erfahrungen gerne. Wo gewünscht, gebe ich auch meinen Rat.
Welche Ratschläge geben Sie betreffend Beruf 
und Familie?
Konkrete Ratschläge gebe ich vor allem zur beruflichen Laufbahn. Fragen betreffend Familiengründung sind ja sehr persönlich. Nach meiner Erfahrung sind die Vorstellungen betreffend berufliche Entwicklung und erfüllendes Familienleben sehr individuell: Die einen wollen früh Kinder, andere zuwarten. Manche wollen weiter 100 Prozent arbeiten, andere bevorzugen ein Teilzeitpensum. Und so weiter. Deshalb habe ich auch keine Standard-Ratschläge parat. Konkret ermutige ich die jungen Kolleginnen und Kollegen, sich auch direkt untereinander auszutauschen. Sie sind ja in einer ähn­lichen Lebenssituation. Ich selbst habe dadurch immer wieder wichtige Anregungen bekommen.
Welche Botschaft möchten Sie jungen Berufs­kolleginnen gerne mit auf den Weg geben?
Ich möchte sie ermutigen, ihrer Leidenschaft zu folgen – ob diese nun im Arztberuf, bei der Familie oder bei beidem liegt – und ihren eigenen Weg von beruf­lichem Engagement und Privatleben zu gehen, ohne sich von Stereotypen irritieren zu lassen.
Lesen Sie auch das Interview mit der Co-Preisträgerin Sophie de Seigneux Matthey, vom Universitätsspital Genf (HUG), in der Nummer 18 (2021) der Schweizerischen Ärztezeitung.
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