Ärztliche Kommunikation

Mit Kopf, Herz und Hand

Horizonte
Édition
2021/21
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2021.19795
Bull Med Suisses. 2021;102(21):714-716

Affiliations
Dr. med., Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Fachärztin für Kinderchirurgie, Praxisinhaberin kindermedizin und Belegärztin Klinik Hirslanden Zürich

Publié le 26.05.2021

Ein persönliches Erlebnis aus der Kinderheilkunde hat die Autorin dazu veranlasst, über die Bedeutung der ärztlichen Kommunikation zu reflektieren. Wie wichtig sind interpersonelle Fertigkeiten, und machen sie Arzt und Patientin gesünder und glücklicher?
Das Kopf-Herz-Hand-Prinzip nach Johann Heinrich Pestalozzi beschreibt das Zusammenspiel von Denken, Fühlen und Handeln. Medizinische Fachpersonen denken und handeln gemeinhin viel, nicht selten ­bleiben dabei aber Emotionen und Empathie auf der Strecke.
Unser Patient in stationärer Behandlung.
Hierzu habe ich vor Jahren eine persönliche Erfahrung gemacht. Unser Baby hatte sich während eines Auslandaufenthaltes am Kopf verletzt, und da es genau in meinen Fachbereich fiel, wusste ich, was zu tun war. So machten wir uns an einem sehr heissen Sommerabend nach einem anstrengenden Tag auf den Weg zur nächsten Kinderklinik. Zuvor hatte ich uns dort telefonisch angemeldet, mich als Fachperson zu erkennen gegeben und alle wichtigen Details zusammengefasst. Dass die emotionslose Reaktion am anderen Ende des Telefons nur der Startschuss für zwei schwierige Tage sein sollte, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Die Erfahrungen, die wir als Eltern in einer gros­sen und bekannten Universitätsklinik dann machten, sollten ein Lehrstück dafür sein, wie man es nicht macht.

Die Angehörigen ernst nehmen

Wir Eltern wurden mit unseren Sorgen und unserem spezifischen Wissen über unseren Jungen nicht ernst genommen beziehungsweise gar nicht erst angehört. Wir haben an diesem Abend kein aufmunterndes ­Lächeln gesehen, kein Interesse oder Verständnis ­gespürt, es hat uns niemand Mut zugesprochen oder uns beruhigt.
Auch medizinisch lief es nicht gut: Unser Baby wurde nicht gewogen (in der Pädiatrie eigentlich eine Conditio sine qua non), ja es wurde noch nicht einmal untersucht; die diensthabende Assistenzärztin hat den ­kleinen Patienten kein einziges Mal berührt! Ein uns nicht vorgestellter zweiter Assistenzarzt machte dann, ohne uns eines Blickes zu würdigen, einen Ultraschall. Seinen Befund konnten wir nur erahnen.
Sehr sinnbildlich war der Moment, in dem ich unser Baby von der Liege aufnehmen musste, um Platz für viele Formulare zu machen, die wir zu unterschreiben hatten.
Auf der Station hingegen durften wir vonseiten der Kinderkrankenpflege Kompetenz und Präsenz erfahren. Als unser Baby auf der Station ankam und dann aus voller Leibeskraft und unaufhörlich schrie, fragte mich die zuständige Pflegerin, ob sich das für mich als Mutter ungut anfühle. Ich wusste, dass unser Patient einen aufregenden Tag gehabt hatte, am Abend immer wieder aus dem Schlaf gerissen worden war und nun so reagierte, wie ich es kannte. Nein, alles gut.
Die Visite am nächsten Morgen machte eine Person, die mich nicht begrüsste und sich mir nicht vorstellte, sie erklärte nicht, was Stand der Dinge war, sie machte keinen Small Talk (ich selbst hatte zufälligerweise an diesem Tag Geburtstag), sie verabschiedete sich nicht und machte keinen Ausblick: Sie sagte eigentlich gar nichts.
An einen Satz von ihr kann ich mich jedoch erinnern. Ich entschied mich nach zwei Nächten, mit unserem Kind, das glücklicherweise wohlauf war, gegen ärzt­lichen Rat vorzeitig das Spital zu verlassen. Als ich ihr die Verzichtserklärung unterschrieben zurückgab, schaute sie mich an und sagte: «Sie wissen schon, dass er sterben kann?»
Was war geschehen? Es hatte praktisch keinerlei Kommunikation zwischen den Ärztinnen und Ärzten und uns Eltern stattgefunden. Ohne Kommunikation ist es fast unmöglich, miteinander auf positive Art und Weise in Beziehung zu treten. Die therapeutische Beziehung zwischen Behandelnden und Behandelten stellt nicht nur das Herz und die Kunst der Medizin dar, sondern ist auch eine zentrale Komponente im ­Behandlungsprozess [1].

Doctor’s bed-side manner matters

Ha und Longnecker [2] zeigen in ihrer Review auf, dass Patienten, die eine gute Kommunikation mit ihrer ­Ärztin beschreiben, gemeinhin zufriedener mit der Behandlung sind und die Compliance grösser ist [3]. Diese Faktoren sind nicht zuletzt auch mit einer besseren Genesung assoziiert. Gute Kommunikation und ein gutes Verhältnis zwischen Arzt und Patientin machen schlicht auch einen effizienteren Informations­gewinn möglich, so dass die Diagnostik schlank gehalten werden kann. Dies spart Zeit, Nerven und Geld.
Bereits die medizinische Schule von Kos sprach unter Hippokrates von patientenzentrierter Medizin [4]. Die Entwicklung vom Paternalismus zum Indi­vidualismus in der Medizin ist richtig und wichtig. Wir leben und ­arbeiten in einer Zeit von shared deci­sion-­making und patient-centered communication. Gute Kom­munikation hat Stil und Inhalt: Zuhören, Empathie zeigen und offene Fragen stellen. Die drei Hauptzie­le einer gelungenen Kommunikation sind die ­Herstellung und der Erhalt einer guten zwischenmenschlichen Beziehung, ein vereinfachter Informa­tionsaustausch und die Betroffenen in die Entscheidungsfindung miteinzubeziehen [5].
«To be a phenomenal doctor you have to be the whole ­package» – Orioles und Kollegen bringen es auf den Punkt [6]. Sie hatten Eltern von kritisch kranken Kindern gefragt, welche Aspekte sie sich von der behandelnden Ärztin, dem behandelnden Arzt wünschten. Am häufigsten genannt wurden: Empathie, Verfügbarkeit, das Kind als Individuum behandeln und die Kenntnisse der Eltern betreffend ihr Kind respektieren. Es geht also um deutlich mehr als nur um Fachkompetenz.
Dr. med. Katrin Fasnacht musste als Mutter eines verletzten Kindes im Urlaub ein Lehrstück in Sachen schlechter Kommunikation erleben.
Tatsächlich taucht das elterliche Gefühl in zahlreichen Studien auf und ist ein sehr guter Marker, um den ­Gesundheitszustand des Kindes einzuordnen. So fliesst die elterliche Beurteilung des kindlichen Ver­haltens bei den PECARN-Regeln in die Entscheidung mit ein, ob ein Kleinkind nach Schädel-Hirn-Trauma eine ­CT-Bildgebung erhalten sollte oder nicht [7].
Unsere ärztliche Verantwortung sollten wir nicht nur in der Kinderheilkunde, sondern in jedem Fachbereich ganzheitlich sehen. Viele unserer Worte werden auf die Goldwaage gelegt, wenn sie manchmal auch noch so unbedeutend zu sein scheinen. In einer transparenten, offenen und digitalen Welt wollen Patientinnen und Patienten aufgeklärt und auf ihrem medizinischen Weg an die Hand genommen werden.
Es bedarf gar nicht viel, um das Kommunikations­ge­schick von medizinischen Fachpersonen zu ver­bessern, um so letztlich Betroffene und Angehörige ­zufriedener zu machen. Bereits kurze Schulungen ­haben den ­Effekt, dass Ärztinnen und Ärzte mehr ­loben, empathischer sind und mit den Familien besser kooperieren [8].

Patients must be both, cured and cared for

Benedetti vergleicht die Beziehung zwischen der medizinischen Fachperson und der Patientin mit dem ­Placebo-Effekt, der auf biochemischer, zellulärer und physiologischer Ebene erklärt werden kann [9]. Eine Krankheit zu heilen allein reicht oftmals nicht aus; wirklich für den Patienten zu sorgen ist mindestens genauso wichtig. Das geistige Befinden der erkrankten Person spielt eine zentrale Rolle im Genesungsprozess.
Der Kardiologe und Friedensnobelpreisträger Bernard Lown plädiert in seiner «Anleitung zum Umdenken» für eine Medizin mit menschlichem Antlitz und beklagt die «Verlorene Kunst des Heilens» [10]. So trete im ärztlichen Alltag die Kunst des Zuhörens zugunsten von Laser und Kernspintomographen in den Hintergrund.
Oftmals verlieren Studierende und junge Praktizierende im Laufe der Zeit ihren zu Beginn der Karriere noch ganzheitlichen Ansatz, was mög­licherweise mit der anstrengenden Ausbildungszeit zu tun hat: Sie zeigen weniger Empathie und ordnen aufwen­dige und kostspielige Untersuchungen und Konsile an, statt sich die Zeit für ein Gespräch zu nehmen [11].
Gute Kommunikation ist sogar eine Burnout-Prophylaxe: Nicht nur den Patienten geht es besser, wenn der Umgang stimmt, sondern auch die Ärztinnen sind nachweislich zufriedener in ihrem Job [12].
Um abschliessend noch einmal auf meine eigene ­Geschichte zurückzukommen: Den Fragebogen «Wie zufrieden waren Sie mit Ihrem Aufenthalt?» habe ich als Mutter ausgefüllt und der Klinik meine negativen Eindrücke mitgeteilt. Ob und welche Schlüsse man aus meiner Kritik gezogen hat, habe ich nie erfahren.
katrin.fasnacht[at]hin.ch
www.klinikhirslanden.ch/kindermedizin
 1 Stewart MA. Effective physician-patient communication and health outcomes: a review. CMAJ. 1995.
 2 Ha JF, Longnecker N. Doctor-patient communication: a review. Ochsner J. 2010.
 3 Hall JA, Roter DL, Rand CS. Communication of affect between patient and physician. J Health Soc Behav. 1981.
 4 Stewart M, Brown JB, Donner A, McWhinney IR, Oates J, Weston WW, et al. The impact of patient-centered care on outcomes. J Fam Pract. 2000.
 5 Lee SJ, Back AL, Block SD, Stewart SK. Enhancing physician-patient communication. Hematology. Am Soc Hematol Educ Program. 2002.
 6 Orioles A, Miller VA, Kersun LS, Ingram M, Morrison WE. To be a phenomenal doctor you have to be the whole package: physicians’ interpersonal behaviors during difficult conversations in pediatrics. J Palliat Med. 2013.
 8 Hart CN, Drotar D, Gori A, Lewin L. Enhancing parent provider communication in ambulatory pediatric practice. Patient Educ Couns. 2006.
 9 Benedetti F. Placebo and the new physiology of the doctor-patient relationship. Physiol Rev. 2013. 
10 Lown B. Die verlorene Kunst des Heilens. Suhrkamp: 2004.
11 DiMatteo MR. The role of the physician in the emerging healthcare environment. West J Med. 1998.
12 Maguire P, Pitceathly C. Key communication skills and how to acquire them. BMJ. 2002.