Chefärzte verdienen höchsten Respekt

Briefe / Mitteilungen
Édition
2021/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2021.19508
Bull Med Suisses. 2021;102(0102):21-22

Publié le 05.01.2021

Chefärzte verdienen höchsten Respekt

Nach den Bankern und Managern werden nun die Chefärzte der Spitäler an den Pranger gestellt. «Geldgierig», «skrupellos» und «selbstherrlich» sind einige der Adjektive, die man oft liest, wenn es um die Machenschaften der Gilde geht, die einst als Halbgötter in Weiss verehrt wurde. So übertrieben dies war, so unrecht tut man den Ärzten, wenn man sie nun mit dem Prädikat «Abzocker» brandmarkt. Pauschalverurteilungen auch daher, weil vielen gar nicht bewusst ist, was es eigentlich bedeutet, Chefarzt an einem Universitäts- oder Zentrumsspital zu sein. Mit dem Dauerbashing riskieren wir, für diese verantwortungsvollen Aufgaben keine qualifizierten Mediziner mehr zu finden.
Denn für die Leitung von Kliniken oder Departementen mit oftmals über hundert Mit­arbeitenden kommen nur die Besten infrage – Leute, die einen langen, anspruchsvollen Ausbildungsweg hinter sich haben. Zu dessen Meilensteinen gehören ein sechsjähriges Medizinstudium und anschliessend die Weiterbildungszeit als Assistenzarzt bis zur Erlangung des Facharzttitels, worauf in der Regel die Beförderung zum Oberarzt erfolgt. Danach spitzt sich die Pyramide immer steiler zu. Nur wenige werden zu Leitenden Ärzten oder Chefärzten berufen. Wer mit diesen höhe­ren Aufgaben betraut wird, steht extrem unter Beobachtung beziehungsweise in der Verantwortung – nicht nur führungsmässig, sondern auch medizinisch. Denn für Fehler (und wo Menschen arbeiten, geschehen nun einmal Fehler) haftet der Kaderarzt. Dies ist insofern bemerkenswert, als man heute viel rascher in ein juristisches Verfahren oder in den administrativen Fokus gerät als noch vor ein paar Jahren. Eine Verurteilung oder ein Verweis bedeutet meist das Karriereende.
Auf Stufe Chefarzt ist man noch mehr ge­fordert, weil die akademische Verpflichtung hinzukommt. Wer ein Departement mit mehreren Kliniken oder ein Spital leiten will, braucht den Professorentitel, zumindest in ­einem Zentrums- oder Unispital. Das Anforderungsprofil ist enorm: Der Chefarzt muss akademisch auf höchstem Niveau sein, jahrelange Forschungs- und Dozententätigkeit vorweisen, regelmässig Forschungsergebnisse publizieren und strenge Vorgaben in der Fortbildung erfüllen. Und selbstverständlich wird von ihm auch Führungs- und Finanzkompetenz erwartet. Dass er überdies ein brillanter Kommunikator ist, der stets ein Ohr für die Sorgen und Nöte der Patienten und Mitarbeitenden hat, wird vorausgesetzt.
Vergessen Sie also das Klischee vom Chefarzt, der über Mittag Golf spielt und sich am Freitag in sein Feriendomizil verabschiedet. In ­einem öffentlichen Spital ist volle Präsenz und vor allem Bereitschaft während 24 Stunden an 365 Tagen gefordert. Wenn um zwei Uhr nachts nach einem schweren Unfall ein Patient eingeliefert wird, muss der Chef verfügbar sein, auch wenn die Operation vom Oberarzt oder vom Leitenden Arzt ausgeführt wird. Dafür erhält der Chefarzt eine angemessene Entschädigung. Es ist nachvollziehbar, wenn sich Chefärzte vermehrt die Frage stellen, weshalb sie sich diesen Job noch antun sollen, wenn sie wieder einmal eine Schlagzeile über vermeintliche Abzocke, Selbstbedienungsmentalität oder Vetternwirtschaft lesen und medial in Sippenhaft genommen werden. Für Aussenstehende vielleicht Sym­ptomschmerz, aber all denjenigen Chefärzten, die ihren Job mit Herzblut erfüllen und rund um die Uhr für die Patienten da sind, geht dieses Bashing unter die Haut. Ihre Leistung darf man nicht nur monetär entschädigen. Diese Ärzte verdienen auch unseren höchsten Respekt.