Die Start-up-Kultur in den Spitälern

Tribüne
Édition
2021/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2021.19404
Bull Med Suisses. 2021;102(0102):34-36

Affiliations
Freischaffender Journalist

Publié le 05.01.2021

Spitäler wollen die Medizin der Zukunft mitprägen und gründen «Health Innovation Hubs». Damit soll das Potenzial innovativer Ideen genutzt werden – innerhalb wie ausserhalb des Spitals.
Health Innovation Hubs, ein Institut für «Translational and Entrepreneurial Medicine», Beteiligungs-Aktiengesellschaften, Innovationsparks und Start-up-Investorengruppen: Zahlreiche Schweizer Spitäler haben in den vergangenen Jahren die Förderung von Innova­tionen intensiviert. Sie verfolgen dabei unterschiedlichste Ansätze. Warum tun sie das – und was bewirken sie damit? Eine Spurensuche am Beispiel von zwei ­Spitälern, die einen «Health Innovation Hub» gegründet haben.

Agieren statt reagieren

Maximilian Grimm ist viel unterwegs. Wegen Corona zwar weniger als auch schon, aber trotzdem: Start-up-Treffen, Konferenzen und Symposien sind ein wich­tiger Teil seiner Arbeitswelt. Der ehemalige Unternehmensberater leitet den 2018 gegründeten «Health Innovation Hub» am Kantonsspital Baden (KSB). Grimms Mission: Innovationen finden. Wer ihn für eine Idee begeistern will, muss aufzeigen, wie diese dem KSB helfen kann, noch besser zu werden und im Idealfall auch die Medizin insgesamt voranbringen kann.
Die Idee zur Gründung eines «Hubs» entstand in der Führung des KSB nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Neubau des Spitals. «Wir wollen dabei neue Standards setzen etwa in Bezug auf eine Architektur, die den Heilungsprozess der Patientinnen und Patienten unterstützt – Stichwort Healing Architecture», erläutert Grimm. «Aber nicht nur die neuen Gebäude sollen innovativ und wegweisend sein, sondern auch die Prozesse im Spital. Ausserdem wollen wir unsere Rolle in der Gesellschaft verändern – weniger auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren als das Gesundheitswesen der Zukunft proaktiv mitgestalten.»
Wo ist die nächste gute Idee zu finden, die ein Spital verbessern oder die Medizin verändern kann?

Sicherer Rahmen

Der «Health Innovation Hub» sei dabei der Rahmen, um Innovationen erkennen und umsetzen zu können. Eine Art safe space, um Neues zu erproben. Das Kantonsspital Baden sei gut dafür positioniert, so Grimm: Man könne es sich als eines der wirtschaftlich erfolgreichsten Spitäler der Schweiz leisten, in Innovationen zu investieren. Zudem sei man geographisch gut gelegen in der Mitte des Grossraums Zürich–Basel mit seinen Hochschulen und einer ­aktiven Start-up-Szene – gerade im ­Bereich Medtech. So gab das KSB kürzlich bekannt, seine Kooperation mit der ETH ­Zürich auszubauen.
Maximilian Grimm ist auch am Spital ­selber viel unterwegs, stellt den Hub vor und hält nach innovativen Ideen Ausschau. Man wolle das interne Potenzial noch vermehrt nutzen. Die Umsetzung von Ideen und Projekten geschieht aber meist mit externen Partnern, insbesondere Start-ups: «Das KSB betreibt seit Jahrzehnten klinische Forschung. Dieses Know-how können wir Start-ups zur Verfügung stellen, um Projekte im praxisnahen Umfeld voranzutreiben», so Grimm.

Bronze, Silber oder Gold

Erscheint ihm eine präsentierte Idee grundsätzlich plausibel, zieht Maximilian Grimm medizinische Fachpersonen bei, um das Potenzial einer Innovation und ihre Relevanz für das KSB zu evaluieren. Jedes Projekt erhält dabei eine Bewertung: Bronze, Silber oder Gold. Der Entscheidungsprozess, ob eine Idee weiterverfolgt wird, führt vom Innovationsmanager Grimm bis zum Verwaltungsrat. Wird grünes Licht erteilt, wird jedem Projekt eine interdiszplinäre Begleitgruppe mit dem nötigen medizinischen Fachwissen beigestellt.
Nach dem Aufspüren von Innovationen kommt für den Hub die zweite grosse Aufgabe: vielversprechende Ideen unterstützen, wo dies nötig ist. Das KSB bietet ­Innovatorinnen und Innovatoren unter anderem Know-how, medizinische Daten und Räumlichkeiten, ermöglicht klinische Studien oder finanziert ein Projekt auch selber mit. «Im Idealfall beginnt damit die Zusammenarbeit erst, denn die Neuerungen sollen am KSB auch nachhaltig implementiert werden. Deshalb ist die Unternehmensentwicklung des KSB von Anfang an in die Projekte involviert», so Grimm.

Sieben aktuelle Projekte

Sieben solche Innovationsprojekte laufen am KSB derzeit, rund 20 weitere Projekte werden gerade näher begutachtet. Start-ups wollen vor allem neue technologische Entwicklungen für die Medizin nutzbar machen. «Insbesondere die Schnittstelle von Künstlicher und natürlicher Intelligenz birgt grosses Potenzial und könnte mithelfen, die Komplexität im Gesundheits­wesen zu bewältigen», sagt Maximilian Grimm. So ­arbeitet das KSB beispielsweise mit Start-ups, welche Patientendaten schneller verfügbar machen oder die medizinische Bildgebung optimaler archivieren wollen. Eine App, die derzeit in der Pilotphase erprobt wird, soll die Kommunikation zwischen dem Spital und den Patientinnen und Patienten verbessern. ­Zudem unterstützt das KSB die Entwicklung einer App, welche bei medizinischen Notfällen eine Ersteinschätzung ermöglicht und die Patientinnen und Patienten anleiten soll, was zu tun ist. Dabei hilft Künstliche ­Intelligenz (KI), die erfragten Symptome auszuwerten und die medizinisch korrekte Lösung zu finden.
Maximilian Grimm ist zuversichtlich, dass die laufenden Projekte ihre Ziele erreichen werden. Klar ist aber: «Innovativ sein bedeutet auch, ein gewisses Risiko einzugehen, dass mal etwas nicht klappt. Dabei ist allerdings klar, dass die Patientensicherheit immer oberste Priorität hat.» Etwa wenn es darum geht, dass Patientinnen in Zukunft früher das Spital verlassen können, weil ihr Gesundheitszustand durch tragbare Sensoren überwacht wird: «Eine tolle Idee, die aber zuerst ausführlich mit stationären Patienten getestet werden muss, bevor sie umgesetzt werden kann.»

Intern vor extern

Einen «Health Innovation Hub» hat seit 2019 auch das Universitätsspital Zürich (USZ). Als forschungsorientiertes Spital legt der Hub die Priorität auf die Entdeckung und Förderung interner Innovationen. «Rund 2100 Mitarbeitende sind am USZ auch forschend tätig. Entsprechend gross ist das Potenzial an Innovationen», sagt Matthias Herrmann, Leiter des Hubs.
Als Vermittler zwischen externen Partnern und USZ-Kliniken will der Hub jedoch immer tätig sein, auch wenn er eine Idee selber nicht fördert. «Wir haben in der Start-up-Szene oft gehört, dass es an Anlaufstellen für medizinische Projekte fehlt. Hier kann Spitälern eine wichtige Aufgabe zukommen», sagt Herrmann: «Sie können mit ihrem Know-how einen echten Mehrwert bieten. Denn manchmal kontaktieren uns Start-ups, die schon mehrere Runden der Innovationsförderung hinter sich haben, aber es hat bisher noch nie ein Arzt oder eine Ärztin die Idee begutachtet und eine Rückmeldung gegeben, ob diese im klinischen Alltag auch praktikabel ist.»
Langfristig strebt der USZ-Hub ein Verhältnis von 70 Prozent internen zu 30 Prozent externen Innovationen an, die gefördert werden sollen. Die Grenzen sind dabei allerdings bisweilen fliessend am Hochschulstandort Zürich, wo Klinikerinnen und Kliniker oft auch an der Universität Zürich tätig sind. Klar ist: Mit der unmittelbaren Nachbarschaft von Universität und ETH Zürich ist auch hier das Potenzial an Innovationen immens.

Fünf Jahre bis zum Patienten

Auch der USZ-Hub fördert Innovationen, die das medizinische Angebot und die Prozesse des USZ verbessern und dem Gesundheitswesen insgesamt dienen sollen. «Gesucht sind Projekte, die den Patientinnen und Patienten innerhalb von drei bis fünf Jahren einen Nutzen bringen», erläutert Herrmann. Für die Auswahl ist ab einer bestimmten Förderungsstufe ein «Innovation Board» aus internen und externen Expertinnen und Experten zuständig. Gleichzeitig kann der Hub auf ­internes Fachwissen etwa des Clinical Trial Centers zurückgreifen, um Projekte zu bewerten.

Mut machen

Der Hub stellt den Projekten personelle Ressourcen etwa in der Form von Coaching, Räumlichkeiten und medizinischem Know-how zur Verfügung. «Gleich­zeitig wollen wir gerade intern Forschende ermutigen, innovativ tätig zu sein – auch wenn sie keine Erfahrung mit Businessplänen haben. Hier können wir Ängste nehmen und zeigen: Wir können weiterhelfen», sagt Herrmann.
Im ersten Jahr seines Bestehens ist das Hub-Team des USZ mit rund 100 Innovationsvorschlägen kontaktiert worden. Noch ist es zu früh, um einen direkten Nutzen für die Patientinnen und Patienten vorweisen zu können – mit einer Ausnahme. Das USZ-Start-up «b-rayZ» entwickelt eine KI-basierte Lösung zur Analyse von Mammographien, die bereits an vier Spitälern im Einsatz ist.

Erfolgsbeteiligung wird reinvestiert

Bisweilen investiert der Hub auch selber in eine vielversprechende Idee – mit einer Anschubfinanzierung in der Form eines zinslosen Darlehens. Möglich wird dies durch philanthropische Unterstützung des Hubs. Ist ein Start-up wirtschaftlich erfolgreich oder wird später verkauft, muss das Darlehen zurückbezahlt werden, und der Hub kann die Gelder in weitere Projekte investieren. Der Health Innovation Hub des USZ schliesst im Übrigen keine Verträge ab, die dem Spital Sonderrechte garantieren. Die Start-ups sind immer frei, auch mit anderen Partnern zusammenzuarbeiten. «Innovationen sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen», sagt Herrmann.

Innovationskultur fördern

Dass ein Start-up auch das Spital an einem finanziellen Erfolg beteiligt, ist auch für Maximilian Grimm vom Kantonsspital Baden klar. Überhaupt sind sich die beiden Health Innovation Hubs in vielen Punkten ähnlich – abgesehen von der unterschiedlichen Ausrichtung auf interne und externe Projekte. So sind sich Grimm und Herrmann auch einig, dass es sich für ein Spital lohnt, seine Innovationskultur zu fördern.
«Insbesondere gilt es, die Interdisziplinarität zu fördern und Gelegenheiten zur Vernetzung zu schaffen», sagt Maximilian Grimm: «Die Mitarbeitenden sollen Innovation als wichtigen Bestandteil ihrer Arbeit erleben, der grossen Nutzen bringt und auch Spass macht. Wenn es uns gelingt, eine solche Kultur zu schaffen, und die Mitarbeitenden von sich aus innovative Ideen entwickeln, haben wir ein wichtiges Ziel erreicht.»
Matthias Herrmann verweist auf einen weiteren Vorteil: «Wir alle wissen, dass ein Mangel an Ärztinnen und Ärzten und ein weltweiter Wettbewerb um Talente besteht. Ein Spital wird attraktiver als Arbeitgeber, wenn es seine Angestellten unterstützt und ihre Ideen wertschätzt.»
Nicht für jedes Spital mag von den Dimensionen her ein Health Innovation Hub die passende Lösung sein. Aber Matthias Herrmann kann sich vorstellen, dass ein kleines Spital zumindest eine Person damit beauftragt, Innovationsmanagement zu betreiben.

Günstiger Zeitpunkt

Health Innovation Hubs und andere Formen der Innovationsförderung: Was in anderen Wirtschaftsbe­reichen und in Ländern wie den USA und Israel schon länger selbstverständlich ist, wird nun auch im Gesundheitswesen der Schweiz je länger je intensiver ­betrieben: die gezielte Suche nach und Unterstützung von Innovationen.
Der Zeitpunkt dafür scheint gut. Auch wenn die Investitionen in Start-ups nicht dieselben Dimensionen wie etwa in den USA annimmt: Die Kurve zeigt nach oben. Das macht beispielsweise der Swiss Venture Capital Report 2020 deutlich: Rund 2,3 Milliarden Franken sind demnach im letzten Jahr in Schweizer Start-ups in­vestiert worden. Dies entspricht einer Zunahme von 85 Prozent gegenüber dem Vorjahr – wobei die Zuwachsrate zuvor in guten Jahren eher bei 30 Prozent lag. Die Start-up-Kultur hat Fuss gefasst. Und die Schweiz tut gut daran, ihre findigen Köpfe wertzuschätzen und zu unterstützen. Dass medizinische Innovationen unerlässlich sind und möglichst schnell anwendungsbereit sein sollten, zeigt gerade die aktuelle ­Coronapandemie. Aber auch sonst lohnt es sich, die Gestaltung des Gesundheitswesens von morgen nicht dem Zufall zu überlassen.

Das Wichtigste in Kürze

• Schweizer Spitäler investieren in die Förderung von Innovationen. Das Kantonsspital Baden (KSB) und das Universitätsspital Zürich (USZ) setzen hierfür auf einen Health Innovation Hub.
• Das KSB setzt vor allem auf die Zusammenarbeit mit externen Start-ups, will aber auch das interne Potenzial noch vermehrt nutzen. Das USZ strebt ein Verhältnis von 70% internen zu 30% externen Projekten an, die gefördert werden sollen.
• Das Ziel der Innovationskultur ist die Förderung der Interdisziplinarität und der Patientennutzen. Die Pandemie hat gezeigt, dass medizinische Innovationen unerlässlich sind und schnell anwendungsbereit sein sollten.

L’essentiel en bref

• Les hôpitaux suisses investissent dans la promotion de l’innovation. L’hôpital cantonal de Baden (KSB) et l’hôpital universitaire de Zurich (USZ) s’appuient à cet effet sur un Health Innovation Hub.
• Le KSB mise avant tout sur la collaboration avec des start-up externes. Il veut aussi davantage exploiter le potentiel interne. L’USZ vise une part de 70% de projets internes et 30% de projets externes à financer.
• L’objectif de la culture de l’innovation est d’encourager l’interdisciplinarité et le bénéfice pour les patients. La pandémie a montré que les innovations médicales sont essentielles et doivent être rapidement prêtes à l’application.
adrianritter[at]gmx.ch