Alternative Beurteilung von «Gesundheit2030»

Briefe / Mitteilungen
Édition
2020/36
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.19171
Bull Med Suisses. 2020;101(36):1072-1073

Publié le 01.09.2020

Alternative Beurteilung von «Gesundheit 2030»

Der FMH-Präsident beurteilt das BAG-Strategiepapier Gesundheit2030 als «Sehr viel Licht – und ein sehr dunkler Schatten». Den «Schatten» lasse ich mal aussen vor, weil es dabei «nur» um Geld geht. Was mich nicht überzeugte, ist das «viele Licht».
«Stossrichtung 1,1 Förderung der Digitalisierung und Nutzung der Daten» steuert auf obligatorische Digitalisierung der KGs und Hortung derselben in einer Cloud. Damit würde das ärztliche Berufsgeheimnis aufs Spiel gesetzt. Zwar würde das lästige Diktieren von Briefen nach Sprechstundenschluss entfallen, aber das Vertrauen der Patienten in die Verschwiegenheit des Arztes, dieses Fundament des Vertrauens, wäre dahin. Patientendaten wären weder vor Hackern noch vor technischen Verlusten geschützt. Selbstverständlich kann man die genannten Gefahren durch re-
dundante Elektronik sichern, nicht aber das Vertrauen der Patienten.
«Stossrichtung 2,1 Optimierte Information der Bürgerinnen und Bürger». Schon der Begriff «Stossrichtungen» (SR) klingt kämpferisch. Er lässt befürchten, dass die Bevölkerung in ein gesünderes (noch gesünderes!?) Dasein gestossen werden soll. Totenköpfe nicht nur auf der Verpackung von Zigaretten, sondern auch auf denen von Zucker und von Butter. Und wegen des Cholesterins auch auf denen von Eiern und folgerichtig auch von Eiernudeln. Das alles wäre ja nicht weiter schlimm und eher zum Lachen als zum Widersprechen. Vielleicht hat irgend ein Berater dem BAG-Chef eingeredet, Zucker sei schädlich, weil es zuckerkrank mache; und Eier, weil sie Cholesterin enthalten, das bekanntlich Arteriosklerose verursache … Wenn Medizin so einfach wäre, müssten Ärzte nicht sieben Jahre studieren und einige Jahre als Assistenten Erfahrung sammeln, bevor sie selbstständig Diagnosen stellen und Patienten behandeln. Was Ärzte zu guten Ärzten macht, ist kritisches Beobachten und Denken. Und ein etwas tiefer gehender Begriff von «Gesundheit».
Nachdem wir die fragwürdige Stossrichtung bei übertragbaren Krankheiten kennenlernen mussten, graut einem, dem BAG die Stossrichtung 4,1 «Verstärkte Prävention nicht übertragbarer Krankheiten» zuzugestehen: Ein Bundesrat könnte dann dem Volk z. B. 
Coxarthrose verursachendes Joggen befehlen, weil er immer noch glaubt, Joggen verbessere die Lebenserwartung. Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, sind es achtzig (Ps. 90,10). Rüstige 90-Jährige sind Ausnahmeerscheinungen. Altern und Sterben gehört zum Leben.
Man kann einwenden, aus SR 4,1 und 4,2 gehe hervor, dass mit «älter werden» nicht eine Erhöhung der Lebenserwartung gemeint sei, sondern der ganze Lebenswandel. Tatsächlich unterstütze auch ich Vorschriften wie Rauchverbot auf dem Schulareal und dergleichen. Was ich nicht unterstütze wäre z. B. die Einmischung des BAG in Essgewohnheiten, ein BAG, das irgendwo aufgeschnappt hat, Salz sei ungesund und es darum rationiert.
«SR 7,1 Reduktion umweltbedingter Gesundheitsrisiken» ist derart nichtssagend, dass damit jedes Diktat gerechtfertigt werden könnte.
«Ziel 5 Qualität der Versorgung erhöhen.» Das überlasse das BAG weiterhin besser der FMH.
«SR 7,2 Erhalt und Förderung von Natur- und Landschaftsqualitäten.» Ist nicht Sache des BAG, sondern des UVEK!
«Ziel 8: Gesundheit in der Arbeitswelt fördern.» Zwar hat das BAG die Aufsicht über die SUVA, aber drein schwatzen sollte es der Versicherung nicht. Die SUVA leistet Superarbeit und erfreut mich im Fernsehen mit sympathischer Superwerbung zur Sicherheit am Arbeitsplatz.