Pandemieregion statt Kantönligeist – die Stimme der Grundversorgung nach der ersten Welle der COVID-19 Pandemie in der Schweiz

Briefe / Mitteilungen
Édition
2020/2930
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.19024
Bull Med Suisses. 2020;101(2930):896

Publié le 14.07.2020

Pandemieregion statt Kantönligeist – die Stimme der Grundversorgung nach der ersten Welle der COVID-19-­Pandemie in der Schweiz

Die erste Welle der Coronapandemie ist über die Schweiz gefegt, zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Artikels (1.6.2020) befindet sich die Schweiz in einer Phase der langsamen Öffnung. Unsere nachfolgende 10-Punkte-Kritik richtet sich an die Behörden und ist im regen Austausch zwischen den Mitgliedern des ärztenetz nordwest erarbeitet worden:
1. Im Pandemiefall fordern wir in Zukunft in der Schweiz einheitliche Schadenräume, welche sich an den Wirtschaftsräumen und Ballungszentren, nicht an den Kantonsgrenzen, orientieren (z.B. Schadenraum Nordwestschweiz). 
Die Bildung überkantonaler Schadenräume hängt einzig vom politischen Willen und dem Organisationstalent der kantonalen Behörden ab. Gemäss Art. 79 Epidemie-Verordnung können die Behörden gemeinsame Kantonsarztämter definieren. Leider mussten wir jetzt feststellen, dass die koordinierte interkantonale Zusammenarbeit inkl. Austausch mit Hausärzten und Hausärztinnen nicht realisiert wurde.
2. Wir fordern für die hausärztliche Grund­versorgung pro Schadenraum einheitliche Anweisungen durch EINE überkantonale Task Force.
3. Der Grundversorgung sollen Testresultate mitgeteilt werden, damit wir die kantonalen Ämter bei der Betreuung in Krankheitsfall und Quarantäne unterstützen können.
4. Für die Ausarbeitung künftiger regionaler Pandemiepläne stehen Vertreter der Hausärzte und Hausärztinnen den Behörden zur Verfügung.
5. Im Pandemiefall verlangen wir Hausärzte und Hausärztinnen, dass Vertreter unseres Fachs in die überkantonalen Krisenstäbe integriert werden.
6. Wir erinnern die Behörden daran, dass die hausärztliche Grundversorgung eine Ressource im Pandemiefall ist. So könnte, entsprechende Planung in einem Notfallkonzept inkl. Materialversorgung vorausgesetzt, auch dezentral getestet werden, oder es könnten hunderte von MPAs schweizweit für das telefonische Contact-Tracing rekrutiert werden. Eine Domäne der Grundversorgung sind Hausbesuche; mobiles Testen durch Grundversorger bei Hausbesuchen zu Hause oder im Altersheim ist quasi sofort in grosser Zahl verfügbar.
7. Wir empfehlen eine Erfassung der Grundversorgercharakteristika in einem Kataster, damit klar ist, wie sich einzelne Praxen im Pandemiefall engagieren können (Praxisinhaber und -inhaberinnen als Risi­ko­patienten, Zurverfügungstellung als «Pandemiepraxis», Anzahl MPAs u.a.).
8. Das vorschriftsmässige Einkaufen und ­Lagern von Material für die Pandemiebekämpfung ist Sache der Kantone. Im Pandemiefall kann dieses Material, dezentral in den Arztpraxen gelagert, sehr rasch verfügbar sein.
9. Eine Rollendefinition der Grundversorgung im regionalen Pandemieplan durch Pandemieschulungen und Zertifizierungen von sogenannten Pandemiepraxen ist wünschenswert.
10. Die Verordnungen der Verwaltung (Kanton und Bund) müssen mit den Grundversorgern im Krisenstab auf Praxistauglichkeit überprüft werden.