Makabre Zahlenvergleiche

Briefe / Mitteilungen
Édition
2020/2122
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.18931
Bull Med Suisses. 2020;101(2122):688-689

Publié le 20.05.2020

Makabre Zahlenvergleiche

Seit wenigen Monaten wird die Weltbevöl­kerung durch die Ausbreitung eines Virus, COVID-19, in Schrecken versetzt. Kein Ort ist mehr sicher vor diesem unheimlichen Virus, das neuen Regeln folgt, um seine Krankheit zu verbreiten, deren Ende zu einer Erstickung des Patienten führt. Millionen Menschen sind infiziert worden und hunderttausende sind verstorben. Die Krise wird als die ernsteste Bedrohung für die menschliche Zivilisation angesehen seit ungefähr hundert Jahren, insbesondere auch wegen deren Folgen für die Weltwirtschaft. Nur durch massive staatliche Intervention wird ein totaler Zusammenbruch verhindert.
Grossen Teilen der Weltbevölkerung werden noch nie dagewesene Beschränkungen ihrer persönlichen Freiheiten auferlegt in der Hoffnung, das Fortschreiten des Virus zu verhindern. Bisher wurden diese Beschränkungen mit Geduld akzeptiert, mehr und mehr ver­­suchen nun aber gewisse Bevölkerungsteile ihre Bewegungsfreiheit zurückzuverlangen. Zu diesem Zweck haben auch schon be­waffnete Massen in den USA die Regierungs­gebäude gestürmt. Die für das Krisen­management ­verantwortlichen politischen und wissenschaftlichen Instanzen bemühen sich, die Bevölkerung aufzuklären und täglich zu orientieren, z.B. durch die letzten statis­tischen Ergebnisse für die Entwicklung der Virus­ausbreitung.
Die Menschheit wirkt durch das Auftreten dieser Krise von panischer Angst erfüllt und mobilisiert alle Energien, um diesen Krieg zu gewinnen. Dass es sich um einen Krieg handle, hat der französische Präsident in einer Ansprache an sein Volk erklärt.
Zweifellos sind die Folgen dieser Krise für die Menschheit schwerwiegend und führen auch zu Leid, zu Tod und Armut. Trotz der erschreckenden Dimension, welche die Corona-Krise angenommen hat, und deren unsicherem Ausgang ist der Vergleich mit Krieg masslos, wenn man z.B. an die Opfer des Ersten und Zweiten Weltkrieges denkt. Diese Kriege, die nicht von Eindringlingen aus dem All, sondern von gewöhnlichen Erdenbewohnern ausgelöst worden sind, forderten unvergleichlich mehr Opfer und Zerstörung. Allein die Genozide dieser Kriege verursachten den Tod unschuldiger Menschen in millionenfacher Zahl. Wenn man heute die Virustoten zählt, fühlt man sich solidarisch mit allen Menschen, die unter dieser Bedrohung leiden. Die Bewältigung der heutigen Krise muss aber auch in einen geschichtlichen Zusammenhang gestellt werden und erkennen, dass die Natur zwar hart zugeschlagen hat, aber in ­keinem vergleichbaren Verhältnis mit den mörderischen Handlungen der Menschen in noch in naher Gegenwart liegenden Kriegen.
Destruktive Aggression ist ein Phänomen, das unter den verschiedensten Gesichtern auftritt und unbesehen von deren Ursprung bekämpft werden muss. Es wirkt paradox, dass heute hunderte von Milliarden zur Bekämpfung des Coronavirus ausgegeben werden, ­jedoch noch wesentlich grössere Beträge für die militärische Aufrüstung mit Massenvernichtungswaffen. Die Bedrohung durch solche Waffen für die Existenz der Menschheit ist weit grösser als jene durch das Corona­virus.