Um aufzuzeigen, dass es für uns Ärzte und Ärztinnen noch andere Wege gibt, der Absurdität zu begegnen, lädt uns der philosophische Schriftsteller in seine algerische Heimat ein. Dabei führt er uns zurück in die vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts. In der Küstenstadt Oran ist das medizinische Worst-Case-Szenario eingetreten: eine Rückkehr des geschichtsträchtigen Killerbakteriums Yersinia pestis. Die Stadt wird gesundheitspolizeilich isoliert und damit zu einer klaustrophobischen Seucheninsel, wo niemand der tödlichen Willkür entgehen kann. Zu einem Ort, wo alle weltlichen Güter und persönlichen Eitelkeiten zur Farce werden und alle Ansprüche an einen «höheren» Sinn oder irgendeinen «ewigen» Wert – angesichts der Wut des Leidens – absurd erscheinen. Wir begleiten den Hausarzt Dr. Rieux bei seinen Rundgängen durch die Stadt, bei seinen Krankenbesuchen und seinen Vorsprachen bei den lokalen Behörden. Angesichts der fulminanten Ausbreitung der Epidemie verlagert sich seine Tätigkeit zunehmend von der Behandlung auf die Triage und Mitarbeit bei der Registrierung der Patienten. Trotz der hoffnungslosen Lage geht er nebst den menschlichen auch seinen intellektuellen ärztlichen Pflichten nach und engagiert sich – wenn auch ohne wirklichen Erfolg – in der Suche nach einem Antiserum gegen die damals praktisch unheilbare Pest. Dem unakzeptablen Skandal menschlichen Leidens stellt er sein berufliches Pflichtgefühl in unermüdlichem Einsatz gegenüber. Obwohl er sich der Zwecklosigkeit seiner Anstrengungen bewusst ist, trotzt sein Verstand dem grausamen Gegner ohne jeden Heroismus, fern aller narzisstischen Selbstdarstellung und ohne Bemühung «ewiger Werte», «höherer» Weisheiten oder anderer Maskeraden. So reiht der Arzt Arbeitstag an Arbeitstag und überliefert damit eine Chronik der Ereignisse in seiner Heimatstadt, die Albert Camus in der Form des Romans La Peste niedergeschrieben hat. Kalenderblatt auf Kalenderblatt, ohne Hierarchie, ohne moralische Wertungen und ohne Happy End. Viele sterben, manche überleben – mit oder ohne Arzt, ohne System und ohne Sinn. Und doch: Zwischen den Zeilen, und manchmal auch explizit, tritt in diesem Absurdistan eine ganze Palette deontologischer Werte auf, wie Hilfsbereitschaft, Mitgefühl und Solidarität. Ganz unprätentiös, in nüchterner Reinform sozusagen. Frei von jedem Firlefanz, ohne moralisches «du sollst», ohne die persönliche Genugtuung «ich folge meinem Gewissen», und erst recht ohne das selbstgefällige Pathos des «guten Samariters» oder des grossen, scheinheiligen «Retters». Kein Versuch also, dem Absurden auszuweichen. Im Gegenteil: ein Humanismus beruflichen Anstandes, der unserer «conditio humana» ganz bewusst entgegentritt.