Gesucht: Strategien zur Stärkung der hausärztlich koordinierten Medizin

Tribüne
Édition
2020/1516
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.18717
Bull Med Suisses. 2020;101(1516):550-551

Affiliations
lic. phil., freier Journalist, Bern

Publié le 07.04.2020

Anfang Dezember 2019 fand der zweite Workshop zur Coordinated Care auf dem Stoos statt. Rund 60 Vertreterinnen und Vertreter von Ärztenetzen, Betriebsgesellschaften, Versicherern, Behörden und medizinischen Berufsverbänden trafen sich, um darüber zu diskutieren, wie die hausärztlich koordinierte Medizin weiterentwickelt, politisch besser positioniert und wirtschaftlich gestärkt werden könnte.
Der 3C-Workshop (Community of Coordinated Care) ist aus dem Bedürfnis entstanden, ein Diskussions- und Innovationsgefäss für die hausärztlich koordinierte Medizin zu schaffen. Er ist eine Fortsetzung der früheren Managed-Care-Workshops, die während 20 Jahren in Scuol stattfanden (letztmals 2017). Hintergrund sind eine starke Zunahme der Zahl der Ärztenetze in den letzten 20 Jahren und eine erfolgreiche Entwicklung von verbindlichen Hausarztmodellen, die dazu geführt haben, dass heute rund zwei Millionen Menschen in einem Ärztenetzwerk bzw. Hausarztmodell versichert sind. Gesamtschweizerisch sind mehr als zwei Drittel der Hausärztinnen und Hausärzte in Ärztenetzen zusammengeschlossen.

Wichtige Gesundheitsreformen

Topaktuell ist das Thema der «Einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen» (EFAS), ein Konzept, das auch für die Ärztenetze wichtig ist, denn damit würden Patienten im Hausarzt­modell von tieferen Prämien profitieren.
Für Pius Zängerle (Direktor von curafutura) ist EFAS ein wegweisender Schritt Richtung Qualität und Effizienz, der eine sozialverträglichere Verteilung der Finanzierungslast ermöglicht. Ausserdem beseitige EFAS Fehlanreize, dämpfe die Kostenentwicklung ohne Einbussen bei der Versorgungsqualität und stärke die ­integrierte Versorgung. Das Fazit von Zängerle: «EFAS ist zwar nicht das Allerheilmittel, sie ist aber die wichtigste der aktuellen Gesundheitsreformen.»
Nach über dreijähriger Arbeit haben die FMH und ­curafutura am 12. Juli 2019 dem Bundesrat ihren Tarifvorschlag TARDOC eingereicht, der den bisherigen TARMED ersetzen soll.
Nach Ansicht von Dr. Mario Morger von curafutura hat der TARDOC zahlreiche Vorteile für die Haus­arztmedizin, u.a. deshalb, weil die speziellen Leis­tungen der Hausärzte in einem eigenen Kapitel ab­­gebildet seien. Der TARDOC sei aber auch ein Schritt in Richtung Abbildung der Interprofessionalität: Nichtärzt­liches Chronic-Care-Management durch die MPK sei tarifarisch nun für mehrere Diagnosen abgebildet.
Für Dr. Anne Sybil Götschi und Christoph Lüssi von medswiss.net ist derzeit eine umfassende Beurteilung des TARDOC insofern schwierig, als noch vieles unbekannt und undefiniert ist. Ihr Fazit: «Solange die In­frastrukturkosten stärker steigen als der ausgehandelte Aufschlag auf das Referenzeinkommen und die Kostenneutralität eine ‘conditio sine qua non’ darstellt, wird die Vergütung der ärztlichen Leistungen schlechter ausfallen.»

Qualität und Kostendämpfung

Bei der Betreuung und Versorgung multimorbider ­Patienten ist inzwischen belegt, dass Hausärzte, die in Hausarztnetzen arbeiten, die qualitativ besten Resultate erzielen. Dazu gehört zum Beispiel, dass diese 10% ­weniger Hospitalisationen verursachen, das Mortalitätsrisiko (nach Myokardinfarkt) um 35% senken und insgesamt Kosten von 15–20% einsparen.
Voraussichtlich am 1. Januar 2021 tritt das revidierte Krankenversicherungsgesetz in Kraft, das die Qualitätsentwicklung koordinieren und systematisieren sollund dasdie Schaffung einer eidgenössischen Qualitätskommission vorsieht, in der auch die Leistungs­erbringer vertreten sind.
Eine Untervariante des Qualitätsbegriffes ist Pay-for- Performance (P4P), eine Methode zur Vergütung von Versorgungsleistungen, bei der die Höhe der Ver­gütung davon abhängig gemacht wird, dass definierte Erfolgsziele erreicht werden. Dazu äusserte sich u.a. Dr. Lean­der Muheim von mediX Zürich, der sich auf eine mediX-interne Umfrage vom November 2019 stützte. Danach sehen sich die Ärzte in einer Führungsrolle, um den Qualitätsbegriff zu prägen, und zwar in Kooperation mit den Patienten und den Versicherern, nicht aber mit dem Staat. P4P bilde dabei nur einen Bruchteil der Gesamtqualität ab und sei damit nicht mit der ­koordinierten Hausarztmedizin gleichzusetzen. Sein Fazit: «Es führt kein Weg daran vorbei, Ärzteschaft, ­Patienten und Versicherer in eine Kultur der Nachhaltigkeit und Verantwortlichkeit miteinzube­ziehen.»
Mit der Qualität ist die Kostendämpfung verknüpft, ein politischer Dauerbrenner.
BAG-Vizechef Dr. Stefan Spycher sieht im Gatekeeping und in einer optimierten, koordinierten Versorgung ein grösseres Potenzial für eine Kostendämpfung. Diesen beiden Massnahmen müsste aus Sicht des BAG in Zukunft noch stärkere Bedeutung zukommen. Ziel sei ein Gatekeeping-System, das eine hundertprozentige Abdeckung der Bevölkerung mit einer gesundheit­lichen Erstberatung garantiere. Damit meint Spycher eine neu zu gründende medizinische Anlaufstelle, die bei einer Erstberatung beurteilt, ob eine ärztliche Konsultation nötig ist oder nicht.
Prof. Dr. Volker Amelung: «Globalbudgets als Kostendämpfer sind tot» (© Andreas Wasmer).
Für Prof. Dr. Volker Amelung vom deutschen Bun­desverband Managed Care (BMC) ist klar, dass Globalbudgets kein Instrument der Kostendämpfung sind. Sein Fazit: «Globalbudgets als Kostendämpfungs­instrument waren die letzten 20 Jahre international tot – man sollte zumindest von den Erfahrungen lernen und nicht nochmals die gleichen Fehler machen.»

Workshop stösst auf grosses Interesse

Beim Kernthema «Koordination» war das Prinzip ­einer koordinierten Grundversorgung – vor allem im Hinblick auf die steigende Zahl von multimorbiden Patienten – unbestritten. Für die zahlreich anwesenden Hausärzte war dabei klar, dass sie aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer Rolle im gesamten Behandlungspfad der Pa­tienten diese «Koordination» übernehmen müssen.
Dazu kommt, dass die hausärztlich koordinierte Versorgung seit Jahren die beste Qualität und die grössten Kosteneinsparungen bringt. Sie basiert auf der drei­fachen Freiwilligkeit für die Versicherten, die Ärzte und die Krankenversicherer. Alle, die sich an einem kostenbewussten Versorgungsmodell beteiligen wollen, ­sollen dies freiwillig tun können und die Einsparungen an die Versicherten weitergeben, die ein solches Modell gewählt haben.
Dem Organisationskomitee, dem Vertreter von Argomed, curafutura, Grisomed, mediX, Medsolution und santé24 angehören, ist es gelungen, einen attraktiven Rahmen zu schaffen und ein thematisch und personell breit aufgestelltes neues Format zu entwickeln, das auf grosses Interesse stiess. Dazu beigetragen haben hochkarätige Referenten, eine spannende Themendramaturgie und eine schnörkellose und kompetente Moderation.
Eine spontane Umfrage unter den Teilnehmenden am Schluss des 3C-Workshops bestätigte den Eindruck, dass dieser den hohen Erwartungen gerecht wurde und dass eine Fortsetzung gewünscht wird.
Am 30. Oktober 2020 wird der dritte 3C-Workshop ­wiederum auf dem Stoos stattfinden.
b.stricker[at]bluewin.ch