Genesis

Horizonte
Édition
2020/08
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2020.18544
Bull Med Suisses. 2020;101(08):273

Affiliations
Dr. med.

Publié le 19.02.2020

Menschen verlieben sich gerne in ihre selbstgefertigten Produkte. Pygmalion war von seiner Elfenbeinstatue hingerissen und Hoffmanns mechanische Olympia unwiderstehlich. Goethes Homunkulus immerhin ein Laborerfolg und Shelleys Frankenstein eine tragische Figur. Das Material spielt keine Rolle. Rabbi Löws Golem war aus Lehm und erfüllte seine Pflicht, das lumpengefertigte Sennentuntschi oder Toggeli war in vielen Sennhütten ein gerne gesehener Gast.
Tiefe Beziehungen zu Puppen und Robotern sind normal. Man kann sich in Haushaltsgeräte verlieben wie Siri oder Alexa, in sprechende Kühlschränke oder in ­einen Saugroboter. Assistenzsysteme ersetzen den Finanzberater, machen Intimpflege und beglücken Demente. Je dinglicher unsre Welt wird, desto gewohnter der Umgang mit lebensecht aussehenden Automaten. Der britische Schriftsteller Ian McEwan beschreibt in seinem Buch Maschinen wie ich ein Dreiecksverhältnis zwischen Charlie, seiner Ehefrau Miranda und dem ­erworbenen Roboter Adam. Eine Geschichte von Sex, ­Eifersucht und einer Ethik, die zwischen Menschen und Androiden eine Zukunft sucht. Die technischen Entwickler warten nicht auf Maschinenethiker. Japan spielt eine Vorreiterrolle. Hatsune Miku, die Mangapuppe, erobert Männerherzen, Lovot, der verschmuste Pinguin, entzündet junge Frauen, Kirobo ersetzt das ­fehlende Enkelkind. Soziale Roboter sind amtlich erwünscht und werden staatlich gefördert. Sex sells auch hier. Wenn man es genau nimmt, begann alles schon in den 1920er Jahren mit dem elektrischen Vibrator, ­anfangs typischerweise für medizinische Zwecke angepriesen. Jane Fonda hat in ihrem schönen Film ­Barbarella 1968 vorgeführt, wie man souverän mit Masturbationsmaschinen umgeht. Fünfzig Jahre später sind die Sexpuppen bis in die Zentralschweiz vorgedrungen. Geboten wird Escort und ein Sextoll-Show-Room, der Beate Uhse wie ein nostalgisches Relikt erscheinen lässt. Silikon statt Fleisch, Hauslieferungen im Rollkoffer. Puppen-Bordelle haben eine zunehmende Bedeutung, künstliche Intelligenz und neue Materialien sorgen für Akzeptanz und Nachschub.
Über das, was Dinge mit uns machen, und vieles ­andere mehr hat Günther Anders in seinem zweibändigen Die Antiquiertheit des Menschen in den 1940er Jahren nachgedacht. Über das, was er die «prometheische Scham» nennt, unser Gefühl der Unterlegenheit vor der Perfektion der Apparate. Er versuchte sich an einer «Soziologie der Dinge», worin er aufzeigt, wie Apparate, wenn sie einmal da sind, alles andere als neu­tral wirken. Hellsichtig sind seine Gedanken über die Eigendynamik der Maschinen und Objekte, vieles ist hochaktuell, wenn man sich das geplante Internet der Dinge und dessen Konsequenzen vor Augen hält. Anders war ein sperriger Aussenseiter. Er ist nicht leicht zu lesen, wird aber trotzdem immer wieder aufgelegt, zum letzten Mal 2018. Ohne Dinge kein Ich, nichts ist nur ein Gebrauchsding. Die Dinge haben uns und nicht wir die Dinge. Was macht es mit uns, wenn wir unsere Gefühle an Artefakte verlieren? Wer passt sich hier wem an? Vermutlich wir den technischen Erzeugnissen, die immer perfekter und zahlreicher unseren Alltag dominieren. Odradek nennt sich das Objekt einer unheimlichen Parallelwelt, die der geniale Franz Kafka in seiner Kürzestgeschichte Die Sorge des Hausvaters «aufleben» lässt. Gründlich und leichter zu lesen als Anders ist Hartmut Böhmes Buch Fetischismus und Kultur – Eine andere Theorie der Moderne, verfasst 2004. Der Tag nach dem Ruhetag («und siehe, es war sehr gut») wird oft auch als achter Schöpfungstag bezeichnet. Er gehört ganz dem Homo Faber, der seine eigene Evolution vorantreibt und sich fast ausschliesslich nur noch im Kokon seiner eigenen Kunstwelt aufhält.
erhard.taverna[at]bluewin.ch
– Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Beck’sche Reihe, 7. Auflage, 1987.
– Hartmut Böhme, Fetischismus und Kultur – Eine andere Theorie der Moderne, Rowohlt, 2. Auflage, 2006.
– Ian McEwan, Maschinen wie ich, Diogenes, 2019.