Die Münsterlinger Medikamentenversuche

Briefe / Mitteilungen
Édition
2019/39
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.18244
Bull Med Suisses. 2019;100(39):1297

Publié le 24.09.2019

Die Münsterlinger Medikamenten­versuche

Das Forschungsprojekt zu den Münsterlinger Medikamentenversuchen hat seinen Abschluss gefunden. Eine Vernissage für das Buch Testfall Münsterlingen soll dieses Ereignis bekanntmachen. Das Buch müsste im Prinzip von der Fehlentwicklung der Psych­iatrie im 20. Jahrhundert handeln, von der einseitigen Vertretung einer psychiatrischen Irrlehre, die von der Pharmaindustrie ge­steuert worden ist, und von der Unter­drückung anderer wissenschaftlicher Ansätze für das Verständnis eines künstlich geschaffenen weltweiten Krankheitsphänomens. Erst 2016 ist ein Artikel von Elko Fried erschienen: «Depressionsforschung im Stimmungstief – Gründe für eine wissenschaft­liche Krise und mögliche Auswege».
Die Publikationen zum Thema Depressionen seit Mitte der 50er Jahre gehen in die ­Zehntausende Versuche, das Phänomen der Depression zu beschreiben, ätiologisch und epidemiologisch, für die Anpreisung der zahlreichen neuen Antidepressiva. Auch Roland Kuhn hat sich mehrfach zum Thema der Depressionsbehandlung geäussert und versucht die psychosomatische Medizin in Frage zu stellen neben der Behandlung mit Anti­depressiva.
Millionen von Patienten haben durch die ­einseitige Vertretung der Theorien der Depressionen und deren Behandlung mit Antidepressiva nicht die adäquate Therapie erhalten. Auch das Interesse für psychologische und psychotherapeutische Therapieansätze wurde durch die Dominanz der Antidepressiva geschmälert.
Der Gesellschaft wurde nicht nur dadurch ein Schaden zugefügt, dass man jahrzehntelang eine virtuelle Krankheit mit biologischen Mitteln zu beeinflussen versuchte, sondern dass andere Ansätze zum Verständnis des ­Phänomens der Depression unterschlagen und ignoriert worden sind. Versuche, das pseudowissenschaftliche System der Depression in Frage zu stellen, wurden ganz über­sehen oder als Torheiten bezeichnet. Erfolgversprechende Arbeiten z.B. im Bereiche der klinischen Testuntersuchungen (MDZT) wurden übersehen im Interesse von Testmethoden, die von Anfang an darauf angelegt ­waren, einem Pseudophänomen Wirklichkeit zu verschaffen. Unzählig sind die Psychiater, vor allem an den Universitäten, die vom Thema Depression gelebt haben, mit diesem Thema habilitierten und sich international bekanntmachten. Millionen von Menschen wurden aufgrund eines medizinischen Vor­urteils als Depressive diagnostiziert und behandelt. In Münsterlingen gingen Tausende Patienten in die Statistiken für die Depressions­forschung ein, welche an keiner Depression gelitten haben.
Hoffentlich macht die Buchvernissage bewusst, dass es sich beim Thema Depression nicht um eine gewöhnliche Abartigkeit der Medizingeschichte handelt, sondern um eine immense Korruptionsaffäre, wobei es für die einzelnen Psychiater um wissenschaftliches Prestige, um akademische Beförderung handelte, viel mehr als um ökonomische Vorteile. Es sollte auch jener ebenfalls vorhandener praktischer Ärzte gedacht werden, welche den Schwindel verstanden haben, oder des jungen Assistenzarztes, welcher Münster­lingen nach einigen Tagen unter Protesten verliess.
Die «Münsterlinger Untersuchungen» finden eine Rechtfertigung darin, dass von ihnen aus eine Brücke geschlagen werden kann zu ­analogen Entwicklungen, die immer wieder anzutreffen sind und zweckgebunden falsche wissenschaftliche Orientierungen ­erzeugen.
R. Bloch, «Psychiatrisches Krankheitsverständnis und Klassifizierung der Depressionen». In: Schweiz Ärzteztg. 1990;71(19).