Junge Ärzteschaft, packt Gummistiefel, es geht aufs Land

Tribüne
Édition
2019/37
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.18072
Bull Med Suisses. 2019;100(37):1240

Affiliations
Dr. iur., Rechtsanwalt

Publié le 10.09.2019

Junge Ärztinnen und Ärzte, die ihre Weiterbildung noch nicht abgeschlossen haben, sollten sich beeilen. Andernfalls droht ihnen ziemlich bald der Umzug aufs Land. Die Aufnahme einer privatwirtschaftlichen Tätigkeit in urbanen Gebieten wird ihnen mit Blick auf die geplante Revision des Krankenversicherungsgesetzes mit dem harmlos klingenden Namen «Zulassung von Leistungserbringern» unter Umständen nicht mehr möglich sein. Die Revision des Zulassungsstopps hat nämlich das Potential, die junge Ärzteschaft bei der freien Berufsausübung massiv zu beschränken.
Die geplante Revision des KVG geht demnächst in die Differenzbereinigung und soll das seit beinahe zwanzig Jahren geltende Provisorium des Zulassungsstopps endlich in eine dauerhafte Lösung überführen. Anders als aktuell vorgesehen, erfasst die neue Regelung auch Personen, die mindestens drei Jahre an einer schweizerischen Weiterbildungsstätte gearbeitet haben. Aufgrund der bisherigen Ausnahme blieb der Zulassungsstopp für die junge, in der Schweiz ausgebildete Ärzteschaft bisher toter Buchstabe, da deren Ausbildung ohnehin mehrere Jahre Tätigkeit an einer schweizerischen Weiterbildungsstätte voraussetzte. Ausgenommen von der verschärften Regelung bleiben einzig Leistungserbringer, die bereits zur Tätigkeit zulasten der OKP zugelassen waren.
Die junge Ärzteschaft wird in ihrer Wirtschaftsfreiheit durch die geplante Revision somit besonders betroffen sein. So soll den Kantonen neu die Möglichkeit zur umfassenden Regulierung des Versorgungsangebots gegeben werden. Sie dürfen künftig die in ihrem Kantonsgebiet geltenden Höchstzahlen selbst festsetzen, dies mitunter auch nur regional. Damit erhalten sie die Möglichkeit, das Versorgungsangebot verfeinert am Reissbrett zu planen und so umfassend zu steuern. Zum Beispiel wird es zulässig sein, Ärztinnen und Ärzte gezielt an Orten mit tiefer Versorgungsdichte zu platzieren, um so ein gleichmässiges Versorgungsraster zu schaffen. Eröffnet man die Arztpraxis nicht am «vorgeschlagenen» Standort, droht die Zulassungsverweigerung. Angesichts der prekären Versorgungslage auf dem Land ist es absehbar, dass neue Ärztinnen und Ärzte nur bei einer Ansiedelung in einer ländlichen ­Region ins Feld der selbständigen Berufsausübung ­vorstossen können. Eine Zulassung zur Tätigkeit in ­urbaneren Gebieten scheint in diesem Umfeld ohne die Übernahme einer bereits bestehenden Arztpraxis illusorisch. Dies wird dann den volkswirtschaftlich ­unerwünschten Effekt einer Besitzstandsrente für die bisherigen Praxisinhaber haben.
Die anhand dieses Beispiels illustrierte Stossrichtung der Revision des Zulassungsstopps wirft Fragen auf, und man wird in Anbetracht der potentiellen Aushebelung der bundesverfassungsrechtlich garantierten Wirtschaftsfreiheit und beruflichen Freizügigkeit für die junge Ärzteschaft in Zukunft von Staatsmedizin sprechen müssen, wenn man das schweizerische Gesund­heitswesen beschreibt. Die drohende Abschaffung des freien Markteintritts steht auch in diame­tralem Widerspruch zu den Plänen, die geplanten Studienplätze für Studierende der Medizin markant zu erhöhen. Sie ist zudem schwierig mit den Bemühungen zu vereinen, die medizinische Versorgung vom stationären in den kostengünstigeren ambulanten Bereich zu verschieben. Die ohnehin bereits angeschlagene Attraktivität des Arztberufs sinkt weiter. Es droht deshalb eine Verschärfung des Ärztemangels, dem letzten Endes nur mit dem Import von im Ausland ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten begegnet werden kann. Ob dies dem erklärten Ziel des Revisionsvorhabens, die Qualität und Wirtschaftlichkeit der medizinischen Leistungserbringung zu steigern, letzten Endes dient, ist stark zu bezweifeln.
Schliesslich ist die Logik der Begrenzung von Anbietern zur Reduktion der Inanspruchnahme einer Leistung aber auch ganz grundsätzlich zu hinterfragen. So käme es wohl kaum jemanden in den Sinn, die Emis­sionen im Flugverkehr durch eine Begrenzung der ausgegebenen Pilotenlizenzen zu reduzieren. Auch wenn sich die vorliegende Situation natürlich nicht eins zu eins mit der kommerziellen Luftfahrt vergleichen lässt, ist es kaum nachvollziehbar, wieso dies ausgerechnet im Gesundheitswesen eine gangbare Lösung sein soll.
Dr. iur. Gregori Werder
Rechtsanwalt
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