Nicht die Jugend trägt die Verantwortung, sondern die Generation davor

Briefe / Mitteilungen
Édition
2019/22
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.17925
Bull Med Suisses. 2019;100(22):768

Publié le 29.05.2019

Nicht die Jugend trägt die Verantwortung, sondern die Generation davor

Mit Erstaunen habe ich den Leserbrief «Wer trägt die Schuld am Klimawandel?» gelesen.
Ja, wer trägt denn wirklich die Schuld am jetzigen Zustand, der, wie richtig behauptet wird, bereits seit spätestens den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts durch die Wissenschaft prophezeit wurde? Der Behauptung, dass die Bedrohung unserer Ökosysteme als «Spitze des Evolutionsprozesses von den Menschen nur sehr beschränkt beeinflusst werden» kann, möchte ich widersprechen. Die Erderwärmung mit all ihren negativen Konsequenzen auf unsere Ökosysteme ist eindeutig die Folge unseres ausbeuterischen Lebenswandels, also durch uns Menschen verursacht. Die Entwicklung wäre sehr wohl zu beeinflussen gewesen. Das Ausmass ist allerdings inzwischen dermassen gravierend, dass wir dankbar sein können, wenn es gelingen würde, eine Überschreitung der Erderwärmung von 2 Grad zu verhindern.
Die Tatsache, dass trotz «Jahrzehnten der Einsicht keine entscheidenden Massnahmen erfolgt sind», beweist keineswegs den «unausweichlichen, prädeterminierenden Charakter des Entwicklungsprozesses», wie im Beitrag angesprochen. Argumente wie diese, dass wir nämlich sowieso kaum etwas tun können, haben im Gegenteil dazu beigetragen, dass wir alle offenen Auges verleugnen, bagatellisieren und zulassen konnten, dass unser rein auf Gewinn orientiertes Wirtschaftssystem und unsere Bequemlichkeit die heutige ökologische Katastrophe hervorriefen.
Es ist unangenehm, von der jungen Gene­ration als schuldig bezeichnet zu werden. Dennoch: es ist nicht die Jugend, welche die Verantwortung trägt, sondern selbstverständlich die Generationen davor. Die Schüler von heute, die demonstrieren und ja: auch anklagen!, sind nicht respektlos, sondern schockiert über ihr Erbe – und das mit vollem Recht. Das zunehmend apokalyptische Ausmass der Umweltzerstörung ist ja effektiv eine nie dagewesene Bedrohung der menschlichen Existenz. Es ist angesichts dieser Tatsachen erstaunlich, dass vom Autor als einziger Vorschlag benannt wird, die angebliche Respektlosigkeit der Jugend einer «strengen Analyse» zu unterziehen.
Die Jugend darf und soll sich wehren. Sie darf auch noch lauter werden, ich bin dankbar dafü­r. Ich hoffe, dass die Bewegung weiterwächst und politische Änderungen nicht nur erbittet, sondern regelrecht einfordert. Wir haben nicht mehr die Zeit, endlos zu diskutieren. Die jetzigen Jugendlichen und ihre Nachkommen werden unter den politischen Fehlentscheiden leiden müssen. Wenn es gelingen soll, auch nur einen Teil der ökologischen Auswirkungen abzumildern, dann müssen politische Entscheide bald gefällt werden. Dazu braucht es Druck und klare Worte, ein Hinweis auf die Verantwortlichkeiten ist hierbei mehr als gerechtfertigt.
Viele junge Menschen sind ausgesprochen gut informiert und in ihren Vorschlägen sehr konkret. Die Forderungen nach einer Kerosinsteuer oder danach, unsere Grossbanken und Pensionskassen, die mit ihren Investitionen zu einem erheblichen Teil für die CO2-Emission der Schweiz im Ausland verantwortlich sind, vermehrt in die Verantwortung zu ziehen, sind nur einige wenige Beispiele dafür. Und, was mich persönlich freut: die junge Generation ist heute auch zunehmend bereit, bei sich selbst anzufangen. So haben SchülerInnen eines Gymnasiums in Basel z.B. kürzlich beschlossen, in Zukunft auf Flugreisen zu verzichten.
An Greta und ihre (zum Glück nicht nur jungen) MitstreiterInnen: bravo und weiter so!