Erfahrungen mit Bodymind-Coaching

Ab auf die Insel – oder: über den Körper zu sich selbst finden

Horizonte
Édition
2019/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2019.17511
Bull Med Suisses. 2019;100(06):189-190

Affiliations
Dr. med., Chefärztin Innere Medizin, Spital Affoltern am Albis, Mitglied FMH

Publié le 06.02.2019

Zahlreiche Untersuchungen weltweit haben ein für Ärzte erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Burnout-Syndroms im Vergleich zu anderen Berufsgruppen gezeigt [1]. Burnout-Raten sind mittlerweile in der Medizin zweimal so hoch wie in anderen Gebieten [2].So wiesen in einer Untersuchung an Klinikärzten ca. 20% ein mässiges bis hohes Burnout-Risiko auf [3]. Alle diese Untersuchungen zeigen, dass Burnout-Symptomatik bei Ärzten eine erhebliche Problematik darstellt. Unabhängig von evidenzbasierten Zahlen: Wir Ärzte schauen sehr zum Wohl unserer Patienten, was durchaus erwünscht ist. Andererseits wissen wir, dass uns mehr «Self-Care» durchaus ebenfalls gut täte.

Von der Gesundheitsförderung
für ­Patienten zur «Self-Care»

Am Anfang stand die Idee, an unserem Spital zusammen mit einem professionellen Coach ein interdiszi­plinäres Projekt zur Gesundheitsförderung von Patienten zu lancieren. Leider wurde daraus nichts. Der Grund war nicht etwa mangelndes Interesse. Die ewig gleich lautende Entschuldigung hiess vielmehr: «Ich habe keine Zeit.» Allerdings hatten wir nicht mit der Hartnäckigkeit des Coaches, Dr. Marcel Bischoff, gerechnet. Wiederholt hakte er nach, formulierte dabei seine Anfragen stets umsichtig. Schliesslich realisierte ich, dass es in meinem Arbeitsleben zu viele Baustellen gab, die ein zügiges Vorwärtskommen oder neue Projekte blockierten. Mit der Erkenntnis, dass ich selbst von einem Coaching profitieren könnte, entschloss ich mich, diese Form der Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Abbildungen: Bodymind mit Qi Gong am Strand, Floating, etwas wagen, und Group-Coaching.

Über den Körper zu den eigenen ­Ressourcen

Der Ansatz von Coach Marcel Bischoff überraschte mich methodisch insofern, als die eigenen Ressourcen, und der Geist, nicht nur über das Gespräch, sondern vor allem auch über den Körper aktiviert werden sollen. Das hat mich sehr angesprochen, denn mich und meine Bedürfnisse hatte ich im Verlauf meiner beruf­lichen Laufbahn sehr in den Hintergrund gestellt. Die Coachings halfen mir, Grenzen zu setzen, eine andere innere Haltung einzunehmen und auch unpopuläre Entscheidungen ruhig und kompetent an den Mann und an die Frau zu bringen.
Mehr und mehr hatte ich die Kraft und den Mut, Ordnung in meinen Arbeitsalltag zu bringen und neue Dinge anzupacken. Mittlerweile habe ich zwar nicht weniger zu tun, aber durch ein deutlich weniger «altruistisches» Verhalten und die bewusste Sorge zu mir und meinem Körper fühle ich mich in der Lage, auch kommende Belastungen gelassener anzugehen.

Einmal weg von allem

Wichtig für mich war, meinen eigenen «Self-Care-Prozess» nicht in meinem üblichen Umfeld, sondern weit abseits des Alltagstrotts anzustossen. In meinem Fall war es die «Götterinsel» Zypern, auf der ich mir eine Woche «Coaching for Body, Mind and Soul» gönnte. Es ging dabei nicht um Wellness im eigentlichen Sinn – obwohl das für mich durchaus gepasst hätte – und (zum Glück) ebenso wenig um reine Fitness.
Es ging wirklich um Selfness oder einfach um mehr Beziehung zu sich selbst über den Körper. Jeden Morgen von sieben bis acht Uhr traf sich die Gruppe am Strand für einen angenehmen Mix aus Joggen, Gymnastik, Stretching, Qi Gong und Meditation. Dazu kam etwas sehr Wohltuendes: Floating im Wasser, das heisst die totale Entspannung durch «Einfach-auf-dem-Wasser-Liegen». Ich wusste gar nicht, wie sehr man zusätzlich loslassen kann, wenn man meint, man sei schon total entspannt!

Stützende Energie aus der Gruppe

Ebenfalls zum Programm gehörte «Group-Coaching». In einer kleinen Gruppe mit anderen Führungs- und Fachpersonen aus ganz verschiedenen Branchen diskutierten wir sehr offen die je eigenen Themen, die die Teilnehmenden einbrachten. Der Coach moderierte geschickt, so dass sich keiner entblösst fühlen musste, sondern in gutem Sinne ermutigt wurde, seine tieferen Fragen einzubringen. Was dann passierte, war sehr eindrücklich. Je mehr man sich öffnete, desto interessierter und unterstützender reagierte die Gruppe – mit konstruktiven Feedbacks, Ideen und kreativer, unterstützender Energie. Auch jetzt, Monate später, kann ich mich imaginativ ganz einfach zurückerinnern, diese Halt gebende, stützende Energie aus der Gruppe im Körper 1 : 1 nachempfinden. Derlei gestärkt kann ich in Meetings und überhaupt in eigentlich allen Kommunikationssituationen des beruflichen Alltags viel ruhiger und klarer bestehen.
Als Beispiel die Situation «schwieriges Gespräch»: Ich muss einer meiner Mitarbeiterinnen erklären, dass ihre Leistung ungenügend ist und dass ihr Arbeitsvertrag nicht erneuert wird. Früher stressten mich solche Gespräche so stark, dass ich mit flacher Atmung und gepresster Stimme den Inhalt meiner Worte oft wenig glaubwürdig vermitteln konnte. Durch das Erlernen einer verbesserten Atemtechnik, das Einnehmen einer klaren Haltung und in dem Bewusstsein, dass eine solche durch die Kraft aus dem eigenen Körper entstehen kann, fällt es mir heute deutlich leichter, schwierige Gespräche zu führen. Den Inhalt übermittle ich jetzt klar und präzis, und interessanterweise bekomme ich von meinen Gesprächspartnern dahingehend sogar Feedback.

Angenehme Art der Weiterbildung

Ich bin überzeugt, dass der körperorientierte Ansatz (Bodymind), gepaart mit dem beziehungsorientierten der Gruppe (Soul), für unseren Berufsstand eine wertvolle methodische Ausrichtung ist, gerade weil wir sonst ja eher rational und eigenständig wirken. Kommt dazu, dass Coaching per se eine sehr angenehme «Weiterbildungsart» ist: Ich muss nicht immer alles selbst führen, bekomme aus dem Dialog ganz neue Gedanken und werde auch einmal etwas aus meinen festgemachten Einstellungen geschubst bzw. herausgefordert, meine innere Haltung immer wieder zu erneuern.
Bodymind-Coaching kann ich allen Kollegen und Kolleginnen nur empfehlen als Begleitung im beruflichen Alltag oder als Retraite bzw. Auszeit, wie beim «Coaching auf Zypern». Manchmal glaubt man gar nicht, wie viel wir im Alltag leisten, aber auch «abspulen» und wie wertvoll es ist, ein paar Tage «auf der Insel» wieder zu sich zu kommen und über eine bessere Innenverbindung aufzutanken.
«Eigentlich wäre ich ganz anders, ich komme nur so selten dazu.» Diesen Spruch von Ödön von Horváth kennen Sie vielleicht. Für mich ist klar: Ich werde mir diese Art von Auszeit sicher wieder nehmen, im Wissen um eine enorme Stärkung und um eine systematische Weiterentwicklung meiner Persönlichkeit und in meinem beruflichen Alltag.
Dr. med. Nadja Lindenmann
nadja.lindenmann[at]spitalaffoltern.ch
1 Braun M, et al. Burnout, Depression und Substanzgebrauch bei Ärzten – Ein Überblick zur derzeitigen Datenlage in Deutschland. Psychoneuro. 2007;33(1–2):19–22.
2 Weight AA, et al. Beyond Burnout – Redesigning Care to Restore Meaning and Sanity for Physicians. N Engl J Med. 2018;378:309–11.
3 Kurzthaler I, et al. Burnout-Symptomatik bei Klinikärzten. Neuropsychiatr. 2017;31:56.