Unbegründete Befürchtungen

Briefe / Mitteilungen
Édition
2018/40
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.17192
Bull Med Suisses. 2018;99(40):1364

Publié le 03.10.2018

Unbegründete Befürchtungen

Der Leserbeitrag von Johannes Irsiegler enthält tendenziöse und unwahre Aussagen, die ich gerne richtigstellen möchte. Er suggeriert, dass mit den neuen SAMW-Richtlinien nun Kinder und Jugendliche mit Stimmungsschwankungen, beeinflusst durch Medien und Peergroups, in den Suizid begleitet werden könnten, dabei schliesst das Kriterium der Wohlerwogenheit solche Fälle aus. Er verkennt und verzerrt die tatsächlichen Gründe, welche einen assistierten Suizid begründen. Exit führt bei Freitodbegleitungen genau Statistik über die Ursachen des Todeswunsches. Die neusten Zahlen von 2017 zeigen, dass es sich fast ausschliesslich um schwere somatische Krankheiten handelt: Krebs 39%, Polymorbidität 25%, chron. Schmerzen 7%, Lungenkrankheit 4%, ALS 3%, Parkinson 3%, Herzerkrankung 3%, Hirnschlag 3%, Augenkrankheit 2%, Demenz 2%, MS 2%, psychische Krankheit 2%, Nierenkrankheit 1%, Polyneuropathie 1%, Tetraplegie 1%, Andere 2%. Durchschnittsalter beim Tod: 78,1 Jahre. Die gleiche Verteilung fand sich auch schon 2015 und 2016. So sind es nur 2%, bei denen eine therapieresistente psychische Erkrankung zum Todes­wunsch führte. Hier lässt Exit durch den Beizug psychiatrischer Fachärzte stets sehr sorgfältig abklären, ob es nicht doch noch ­therapeutische Optionen gibt und ob die ­Urteilsfähigkeit gegeben ist. Dass, wie behauptet, geistig und schwer mehrfachbehinderte Menschen in den Suizid begleitet werden könnten, widerspricht den Richtlinien der SAMW, da hier die Urteilsfähigkeit, wie bei ­einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung, nicht gegeben wäre. Mit dem Kriterium «Die Krankheitssymptome und/oder Funktionseinschränkungen des Patienten sind für diesen ­Ursache unerträglichen Leidens» wird auch verhindert, dass gesunde Betagte in den Suizid begleitet werden.
Dass Patienten mit Suizidwunsch «erst einmal entgegengenommen werden und mensch­liche Zuwendung erfahren wollen» und diesen als Hilferuf äusserten, trifft auf viele Patienten in der Psychiatrie zu, jedoch nicht auf die schweren somatischen Erkrankungen, welche den Hauptanteil oben genannter Ursachen ausmachen. Johannes Irsiegler spricht aus seiner Sicht als Psychiater, welche jedoch nicht repräsentativ ist für 98% der assistierten Suizide.
Ebenso wird die Frage von Ursula Knirsch im zweiten Leserbeitrag, wer das unerträgliche Leid definiere, durch die neuen Richtlinien auf Seite 11 klar beantwortet: Nur die leidende Person selber [1]. Dass hier die SAMW-­Befürworter einen Leidens-«Score» schaffen wollten mit «Cut off» ist ein Hirngespinst, von dem nirgends zu lesen ist, weder in den Richtlinien noch in anderen Publikationen.
Dass die Hippokratische Gesellschaft, der beide genannten Autoren angehören [2] und die fundamentalistisch jede Form des assistierten Suizides ablehnt [2, 3], die SAMW-Richtlinien bekämpft, ist ihr gutes Recht. Doch ­sollten der SAMW nicht Unwahrheiten und Schauergeschichten untergeschoben werden.