Zur Debatte der umstrittenen SAMW Richtlinien

Briefe / Mitteilungen
Édition
2018/40
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.17164
Bull Med Suisses. 2018;99(40):1363

Publié le 03.10.2018

Zur Debatte der umstrittenen SAMW- Richtlinien

Im Juni 2018 hat die SAMW die umstrittenen Richtlinien «Umgang mit Sterben und Tod» veröffentlicht. Aus mehreren Gründen erachte ich – wie viele andere – diese Richtlinien als mehr als bedenklich. Insbesondere wurde gegenüber den Vorversionen der Geltungsbereich grundlegend verändert.
Erstens wurde er ausgeweitet auf «Kinder und Jugendliche jeglichen Alters sowie Patienten mit geistiger, psychischer und Mehrfachbehinderung». Früher betrafen diese Richtlinien das Lebensende, jetzt auch Kinder. Wohin soll diese Ausweitung führen? Wir befinden uns bereits auf der schiefen Ebene und wir haben es seit Jahren in den beiden Vorreiterstaaten Niederlande und Belgien mitverfolgen können, wie Schritt um Schritt der Lebensschutz abgebaut wurde. Der momentane Höhepunkt waren die unlängst ­erschienenen erschreckenden Berichte aus Belgien über mehrere Euthanasiefälle bei Kindern. Wollen wir das auch? Soll der gute Ruf des Schweizer Gesundheitswesens ruiniert werden oder soll sich die Schweiz nicht vielmehr für den Lebensschutz einsetzen?
Zweitens soll durch diese Richtlinien künftig Beihilfe zum Suizid als mögliche ärztliche Tätigkeit standesrechtlich legitimiert werden. Beihilfe zum Suizid gehört nicht zur ärztlichen Aufgabe, widerspricht der ärztlichen Ethik und untergräbt das Vertrauen zum Arzt. Aufgabe des Arztes ist es zu heilen, Leiden zu lindern und zu betreuen und nicht, sich an ­einer Selbsttötung zu beteiligen.
Ein Suizidwunsch ist ein Ausdruck einer menschlichen Notlage, ist ein Hilferuf und ist meist vorübergehender Natur. In der Praxis sehen wir vielfältige Gründe dafür, z.B. Angst, auf andere angewiesen zu sein, zur Last zu ­fallen, einsam zu sein oder an schweren Schmerzen zu leiden oder auch Kosten zu ­verursachen in einem angeblich zu teuren ­Gesundheitswesen.
In dieser Situation braucht der Mensch einen tragfähigen, vertrauensvollen menschlichen Beistand und ein Gegenüber, das ihn begleitet und für seine körperlichen Leiden alles medizinisch Mögliche unternimmt, um die Beschwerden zu lindern. Der Suizidwunsch löst sich in der Regel dadurch auf. Die Menschen sind nach erfolgter Hilfe froh, dass der Arzt sie nicht aufgegeben hat und ihr Leben nicht auch als «unwert» beurteilt hat, wie sie dies in der verzweifelten Situation selber tun. Die Suizidforschung zeigt, dass etwa 90–95% der überlebenden Suizidanten keinen zweiten Sui­zidversuch machen.
Dies sind nur einige Gründe, warum diese Richtlinien so nicht in die Standesordnung der FMH übernommen werden dürfen.