Replik der Sanacare AG

Briefe / Mitteilungen
Édition
2018/2829
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.06927
Bull Med Suisses. 2018;99(2829):928

Publié le 10.07.2018

Replik der Sanacare AG

Wir danken Herrn Professor Miserez für die kritische Auseinandersetzung mit unserem Projekt. Im Folgenden nehmen wir gerne Stellung.
Zunächst gilt es, in aller Deutlichkeit ein Missverständnis auszuräumen. Wir haben keine Studie durchgeführt. Wir haben lediglich in einem Netzwerk von zwölf hausärztlichen Gruppenpraxen ein System implementiert, das die Umsetzung der evidenzbasierten Guide­lines erleichtern soll [1]. Zu diesem System gehören u.a. das Empowerment von Pa­tientinnen und Patienten, das Sicherstellen der notwendigen Kontrolluntersuchungen und auch das systematische Erfassen verschiedener Qualitätsdaten zum hausärzt­lichen Kollektiv. Und genau solche Daten von Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 und arterieller Hypertonie sind in der publizierten Tabelle (mit Einverständnis der involvierten Patientinnen und Patienten) dargestellt. Wir glauben, dass die transparente Handhabung von Outcome-Daten aus der Praxis-Behandlung einen Beitrag zur Qualitätsentwicklung leistet. Eine wissenschaftliche Studie zum von uns gewählten Ansatz im Schweizer Setting wurde übrigens unter der Ägide des Instituts für Hausarztmedizin der Universität Zürich (IHAMZ) durchgeführt [2]. Wir haben also ­keineswegs einen experimentellen Ansatz gewählt.
Schätzungen zufolge leben in der Schweiz ca. 500 000 Diabetikerinnen und Diabetiker, davon dürften rund 90% unter einem Typ-2- Diabetes leiden [3]. Ein grosser Teil von ihnen wird durch ihre Hausärztinnen und Hausärzte in einem herkömmlichen (nicht interprofessionellen) Setting behandelt [5]. Bezeichnenderweise gibt es auch dazu in der Schweiz nur spärliche Versorgungsdaten. Es ist uns klar, dass der interprofessionelle ­Behandlungs-Ansatz und multifaktorielle ­Interventionen gerade in der Betreuung von Menschen mit Diabetes mellitus in diabetologischen Praxen und Kliniken hoch entwickelt und bestens dokumentiert sind [5]. De facto hat sich jedoch dieser Behandlungsansatz (noch) erst in einem kleinen Teil der Hausarztpraxen durchgesetzt. Unser Projekt befass­te sich ­damit, das interprofessionelle Vorgehen in den Hausarztpraxen unseres Netzwerks zu ­implementieren. Keinesfalls ersetzen unsere ­Coaches spezialisierte Beratungen durch Ernährungsberaterinnen und/oder Diabetesfachleute. Die notwendige Basisberatung ­sowie verschiedene Kontrollen können sie jedoch kompetent durchführen. Mit dem eidgenössischen Fachausweis ist auch die Medi­zinische Praxiskoordinatorin klinischer Richtung, die diese Beratungen durchführt, in einem Beruf der tertiären Bildungsstufe ­tätig.
Wir anerkennen, dass es in der hausärztlichen Versorgung von Menschen mit Typ-2-Diabetes Optimierungspotential gibt, und deklarieren dies klar als Herausforderung, der wir uns stellen wollen. Zur Umsetzung der notwen­digen Schritte in einem Umfeld von zunehmend überlasteten ärztlichen Grundversorgern haben wir den interprofessionellen Ansatz gewählt. Als Hausärztinnen und Hausärzte orientieren wir uns an den publizierten Behandlungsvorgaben der Schweizerischen Gesellschaft für Diabetologie und Endokrinologie SGED (www.sgedssed.ch). Als Benchmark messen wir uns an den entsprechenden Vorgaben dieser Fachgesellschaft für die Evaluation der Diabetes-Betreuung in der Grundversorgung, im Folgenden «SGED-Score» genannt [6]. An dieser Stelle möchten wir den Mitgliedern der SGED für Entwicklung und Pflege der hilfreichen, evidenzbasierten und praxisrelevanten Guidelines danken.
Selbstverständlich sind uns die Resultate der Steno-2-Studie bekannt [7]. Die darin eingeschlossenen Patientinnen und Patienten waren im Mittel etwa 55-jährig (± 7,2 Jahre). Die von uns dargestellten Patienten waren 66-jährig (± 10,8 Jahre).
Wir bezweifeln, dass der direkte Vergleich der Steno-2-Studie mit der Beobachtung unseres Praxiskollektivs eine wissenschaftliche Aussage zur Qualität unserer Diabetes-Behandlung ermöglicht. Ziehen wir den erwähnten SGED-Score bei, so erreichen wir mit der Betreuung unseres hausärztlich betreuten Diabetiker-Kollektivs gute Werte und sehen – wie von Herrn Prof. Miserez erkannt – im Bereich der Blutdruckeinstellung noch Handlungsbedarf (vgl. https://www.fmh.ch/files/pdf20/
Power-Patienten_durch_Chronic_Care_Mana­gement_Gewinner_Innovation_Qualite_2018_.pdf). Zu erwähnen ist, dass gemäss SGED-Score in einem gut betreuten Diabetiker-Kollektiv über 63% der unter 75-jährigen Patienten einen LDL-Wert <2,6 mmol/l haben sollten. Wir erreichen dieses Qualitätskriterium auch unter Einbezug der über 75-jährigen Patienten. Insgesamt erreichen wir beim SGED-Score 85 von 100 Punkten, wobei ein Wert >75 Punkte als Indikator für eine gute Betreuungsqualität der Diabetiker im Grundversorgungs-Setting gilt.
In einer Stellungnahme der Schweizerischen Gesellschaft für Diabetologie und Endokrinologie zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen vom 23.3.2015 begründet die dia­betologische Arbeitsgruppe, wieso sie den Empfehlungen, die die American Diabetes Association (ADA) ab 2015 vom amerikanischen Kardiologenverband (ACC/AHA) übernommen hat, nicht folgt: Zum einen orientieren sich die Empfehlungen der ADA [8] nicht mehr an Cholesterin-Zielwerten, sondern empfehlen risikoadaptiert eine Statin- respektive lipid­senkende Therapie unterschiedlicher Intensität. Zudem gehen gemäss Beurteilung der Arbeitsgruppe diese neuen Leitlinien auf Grundlage amerikanischer Daten von einem für die Schweizer Bevölkerung zu hohen kardiovaskulären Risiko aus [9]. Gemäss der Stellungnahme der SGED werden für die Primärprävention weiterhin Grenzwerte des LDL-
Cholesterins von 2,6 mml/l, für die Sekundärprävention von 1,8 mmol/l propagiert.
Bei unserem Kollektiv von Menschen mit Typ-2-Diabetes und arterieller Hypertonie hat sich der durchschnittliche Wert des LDL-Cholesterins nach einem Jahr von 2,8 mmol/l auf 2,6 mmol/l gesenkt. Einen ähnlichen Ausgangswert von durchschnittlich 2,8 mmol/l finden wir auch in der bereits erwähnten CARA­T-Studie [2].
Wir bedanken uns für den Hinweis, dass die in unserer Tabelle hinterlegten Farben Grenzwerte suggerieren, die nicht den anzustrebenden entsprechen. Wir wollten damit nur die gewünschte Entwicklungsrichtung visualisieren. Wir nehmen die Kritik zum Anlass, die künftige Darstellung der Outcome-Daten grundlegend zu überarbeiten.
Uns allen ist klar, was wir erreichen möchten und sollten. Trotzdem gibt es de facto noch immer eine Diskrepanz sowohl zwischen Ist- und Sollbetreuung [4, 10] als auch zwischen «real-life» und Studien-Setting. Wie oben erwähnt, verfügen wir kaum über Outcome-­Daten aus Schweizer Hausarztpraxen. Auch dies war für uns eine Motivation, unsere Outcomes den medizinischen Fachpersonen zugänglich zu machen. Wir wissen aber aus Studien und aus eigenen Beobachtungen, dass es so etwas wie eine ärztliche Behandlungsträgheit gibt [11]. Daher begrüssen wir den betonten Hinweis von Herrn Prof. Miserez auf die Wichtigkeit der Einstellung der Co-Riskofaktoren Dyslipidämie und arterielle Hypertonie bei Diabetikern sehr.
Viele Wege führen nach Rom. Gerade weil wir uns des Optimierungspotentials bewusst sind, haben wir uns für ein proaktives Vorgehen entschieden und ein System implementiert, das uns zu evidenzbasierten Kontrollen zwingt, uns Analysen ermöglicht und uns hilft, Handlungsfelder zu identifizieren und einen Mehrwert für unsere Patientinnen und Patienten zu generieren.
Als lernende Organisation sind wir immer froh um konstruktiv geäusserte Kritik. In diesem Sinn würden wir uns über einen persönlichen fachlichen Austausch mit Herrn Professor Miserez freuen.