Das Management der Medizin

Tribüne
Édition
2018/33
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.06879
Bull Med Suisses. 2018;99(33):1078-1080

Affiliations
a college M, Bern; b Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Universität Bern

Publié le 15.08.2018

Das Ringen um das Management der Krankenbehandlung geht in die nächste Runde. In den letzten 10 Jahren hatte sich in den Spitälern ein grosso modo passendes Modell entwickelt, das nun durch den steigenden ökonomischen Druck und die voranschreitende Spezialisierung der Medizin neu herausgefordert wird. Ein neuer universitärer Ausbildungsgang nimmt sich dieser Herausforderungen an.
Der ökonomische Stress im Gesundheitssystem steigt. Hört man sich aktuell in Spitälern um, ist die in frü­heren Jahren übliche Zuversicht, die Budgetziele er­reichen zu können, deutlich gesunken. Der Trend 
weist klar in Richtung enger werdender Spielräume. Die berühmt-berüchtigten, für Investitionen benötigten 10% EBITDA1 werden unwahrscheinlicher – der Stress dafür umso spürbarer. Ein Blick nach Deutschland zeigt, was auch bei uns zu erwarten ist: Viele ­Spitäler operieren dort seit Jahren in den roten Zah-len. Die dadurch erhoff­te Bereinigung der Spitallandschaft hat nicht stattgefunden, eingetreten sind eine Verdichtung der Arbe­it im Kerngeschäft, eine massive öko­nomische Orientierung der Spitäler und eine heikle Privatisierung der Spitäler durch Konzern-­Trägerschaften. Mittlerweile wird die Frage gestellt, wie lange der ökonomische Stress noch andauern kann, ohne dass die fürs Funktionieren der Patientenversorgung wichtigen professionellen Kulturen ernsthaft Schaden nehmen und die Qualität der Behandlung leidet.1

Résumé

La lutte pour le management du traitement des patients passe au stade ­suivant. Fondamentalement, la médecine, c’est gérer des tensions internes et externes pour équilibrer une prestation performante, c’est les associer encore et toujours pour obtenir un rapport productif. Au cours des dix dernières années, un modèle plus ou moins approprié s’est développé dans les hôpitaux. Il est désormais remis en question. Les tensions à équilibrer s’accentuent fortement, surtout en raison de la pression économique ­croissante et de la spécialisation toujours plus marquée de la médecine. La question pour l’avenir est la suivante: comment réussir à équilibrer la pression économique et les perspectives professionnelles du traitement des patients, le maintien de la motivation des personnes travaillant dans l’activité de base et l’assimilation de la médecine toujours plus spécialisée? Un nouveau cursus de formation s’intéresse à ces enjeux.

Ein System in Veränderung

Allerorten beschworen wird die Veränderungsdy­na­mik im Gesundheitssystem. In der Tat ist heftiger Wandlungsdruck an vielen Stellen zu beobachten, und nichts lässt bezweifeln, dass sich dieser Druck in den nächsten Jahren noch verstärken wird.
– Die Effekte der demographischen Entwicklung – vor allem eine älter werdende Bevölkerung und zunehmende Multimorbidität – sind zu bewältigen.
– Die Medizin spezialisiert sich immer stärker. Das erhöht die Notwendigkeit, Disziplinen und Professionen übergreifende Abstimmungen zu leisten.
– Die medizinische Forschung fächert sich noch weiter auf. Neben immer tiefergehenden biomedizinischen, technologischen und digitalen Innovationen zeigen sich Versorgungs- und Implementations­fragen von neuer Relevanz.
– Das schwer zu bändigende Kostenwachstum bestimmt das politische Denken und Handeln immer mehr und verengt den Fokus. Die Organisationen des Gesundheitssystems sehen sich einem zunehmenden Wettbewerbs- und Legitimationsdruck ausgesetzt.
– Entsprechend verschieben sich die Wertigkeiten in Gesundheitsorganisationen. Sie werden verstärkt dazu gedrängt, Patienten nicht (nur) als kranke Menschen, sondern (auch) als betriebswirtschaftliche Fälle zu verstehen. Das hat bedeutsame Auswirkungen auf Selbstverständnisse und Motivations­lagen speziell der im Kerngeschäft beschäftigten Fachpersonen.
So lückenhaft und diffus heute noch die Rezepte sind, wie mit diesen Herausforderungen umzugehen ist, so gewiss ist, dass insbesondere Spitäler, Heime und Grundversorgerorganisationen Wege finden müssen, die damit verbundenen Spannungen zu balancieren (Tab. 1). Genau das meint Managen: das Balancieren von äusseren und inneren Spannungen zugunsten eine­r nachhaltigen Zweckerfüllung. Balancieren meint weiter, dass Managen nicht nur eine Frage des Er­zielens möglichst «schwarzer Zahlen», sondern aus­gesprochen facettenreicher Natur ist. Erfolgreiches Managen bedeutet den fortlaufenden Versuch, die vielfältigen Aspekte der Aussen- wie der Innenwelten in führbare, also gestalt- und bearbeitbare Verhältnisse zu übersetzen. Managen stellt damit, wenn man so will, im Kern eine Praxis wirkungsvoller Spannungs­bearbeitung dar.2
Tabelle 1: Beispiele äusserer und innerer Spannungen.
Spannungen der AussenweltenSpannungen der Innenwelten
Wettbewerbs- und Effizienzdruck
Spitalplanungen und -listen versus unternehmerisches Handeln
Tarifliche Rahmensetzungen
Zunehmende Schwierigkeiten, hinreichende Erträge für Investitionen zu erzielen (10% EBITDA?)
Verlagerungen von stationär zu ambulant
Kritische (mediale) Öffentlichkeit mit Hang zur Skandalisierung
Anforderungen, gleichzeitig kooperativ wie kompetitiv zu anderen ­Leistungserbringern zu stehen
Fachkräftemangel
Neue Qualitätsanforderungen wie Mindestfallmengen und Choosing wisely
Fortschreitende Spezialisierung und Differenzierung der Medizin
Forderung nach verstärkter interprofessioneller Zusammenarbeit
Administrativer Mehraufwand durch Dokumentation und Kontrolle
Zunehmende Arbeitsverdichtung in den Behandlungsabläufen
Administrative Daten versus reale Patienten
Verschiebungen von Prioritäten in der Personalstruktur
(Codierer statt ­Ärztin, Controller statt Pflegefachkraft ...?)
Steigende Autonomieansprüche der Patienten
Neue Ansprüche von Mitarbeitenden der jüngeren Generationen

Spannungsbearbeitung

Florence Nightingale hat bereits vor 150 Jahren in ihren Notes on Hospitals darauf hingewiesen, dass sie kein Spital kennen würde, das nicht von der Reibung zwischen Ärzten, Pflege und Administration gekennzeichnet wäre. Und dass das gut wäre – und zwar für den Patienten. Würde man eine der Gruppen dominieren lassen, wären heillose Einseitigkeiten die Folge [2]. Das galt damals und das gilt heute. Was sich im Laufe der Entwicklung der Medizin verändert hat, sind die Arten von Spannungen und die wesentlichen Balancierungsanforderungen. Der gestiegene Verarbeitungsbedarf dieser Spannungen drückte sich nicht zuletzt in der Evolution von Spital- und Leitungsstrukturen aus. Exemplarisch bedeutete die «CEOisierung» der letzten 10 Jahre den Versuch, ökonomischen und gesamtor­ga­nisatorischen Themen Nachdruck zu verleihen. Damit wurde natürlich auch die Frage aufgeworfen, welchen Stellenwert die medizinischen und professionellen Themen und Perspektiven haben sollen. Wie Studien zum Thema «The best hospitals are managed by doctors» zeigen, ist das Einbringen medizinischer Per­spektiven at the top von zentralem Stellenwert und folgenreich für Patienten(-Outcome) wie wirtschaft­lichen Erfolg [3]. Dabei ist nicht so sehr die Frage, wer the very top bildet, sondern wie die grundsätzlich verschiedenen Perspektiven eines Spitals miteinander produktiv werden können. Das System hatte sich zu adaptieren. Mit dem Aufkommen der CEOs entstanden beispielsweise ärztliche Direktorate oder der Einbezug mehrerer Chefärzte in die Spitalleitungen. Vor 10 Jahren noch relativ ungewöhnlich, ist diese Form heute eigentlich Standard, und ärztliche Direktoren wie auch Chefärzte in Spitalleitungen verstehen sich nicht mehr (nur) als Repräsentanten der Ärzteschaft, sondern als Teil einer Geschäftsleitung, die Verantwortung für das Ganze trägt. Dem nötigen Balancierungsbedarf konnte damit auf neuer Ebene entsprochen werden.
Das Aufkommen ärztlicher Direktorate hatte auch Auswirkungen auf die Stellung der Chefärzte und den Einfluss der einzelnen Klinik im Spital, d.h., die Einflusssphären des Spitals wandelten sich insgesamt. Ärzte und Ärztinnen, übrigens ebenso wie die Pflegenden, mussten sich neu orientieren und versuchen, mit den Themen einer betriebswirtschaftlich orientierten Steuerung, z.B. der hohen Bedeutung finanzieller Kennzahlen, umzugehen. «Die Zahlen stimmen nicht», wurde fast zum Zentralspruch ärztlicher Existenz ... Herauszufinden war, wie betriebswirtschaftliche Steuerung mit professionellen Orientierungen und Haltungen vereinbar – balancierbar – war. Ökonomisch getriebene Zielvereinbarungen bilden hier quasi eine Speerspitze, wurden gelegentlich schlicht ignoriert («Das ist so absurd, dass ich es auch unterschreiben kann»), brachten teilweise aber auch Gefühle der Ohnmacht hervor. Nicht ohne Grund diskutieren manche Fachgesellschaften, warum immer mehr ihrer Chefärzte auf diese Position verzichten wollen. Interna­tional ist zu sehen, dass die Verweilzeiten in diesen Ämter­n kürzer werden.

Die nächste Runde

Haben sich über die letzten 10 Jahre relativ gut lebbare Formen der Balancierung etwa auf Spitalleitungsebene etabliert, finden sich diese nun neu herausgefordert. Die nächste Runde steht an. Vier Themen zeigen sich dabei als zentral: 1) der weiter steigende ökonomische Druck, der zu «radikaleren» Massnahmen (Fusionen, Konzentration von Leistungen, strukturelle Anpassungen, vertikale Integration in den ambulanten Bereich etc.) greifen lässt; 2) professionelle Haltungen, wie und in welcher Form Patienten behandelt und Medizin organisiert wird, werden noch stärker herausgefordert; 3) diese Herausforderung trifft professionelle Motiva­tionslagen empfindlich (Wahrnehmungen geringerer Selbstwirksamkeit und eingeschränkter Autonomie, Arbeitsverdichtung, Unwille jüngerer Generation, im «Hamsterrad» mitzulaufen etc.) sowie 4) die Verarbeitung der weiter voranschreitenden Spezialisierung der Medizin (s. Reorganisationen grösserer Spitäler, Versuche, organisierte Antworten auf den Umgang mit polymorbiden Patienten und Patientinnen zu finden etc.). Diese vier Felder miteinander zu balancieren, das ist die zentrale Herausforderung der nächsten Jahre. Ärztinnen und Ärzte auf den verschiedenen Kaderebenen werden darin eine prominente Rolle spielen und ihre Erfahrungen und Perspektiven einbringen müssen. Dazu werden sie ihre eigenen Managementkompe­tenzen weiterentwickeln müssen. Der Ring ist frei, die nächste Runde eingeläutet.

CAS Managing Medicine in Health Care Organisations

Medizinische Versorgung wird geplant, gestaltet, erbracht und bewirtschaftet. Dabei gilt es, zahlreiche äussere wie innere Spannungen zu balancieren. Exakt das bedeutet Managing Medicine.
Ein gutes Verständnis der Möglichkeiten wie der Grenzen des Managements und seiner Instrumente zu haben ist heute für ­medizinisches Führungspersonal absolut wesentlich. Dieses neue CAS an der medizinischen Fakultät der Universität Bern vermittelt zentrale Konzepte und Instrumente des Managements und der Steuerung medizinischer Organisationen. Ökonomisches und medizinisches Denken und Handeln werden dabei wechselseitig befragt, genutzt und in Beziehung gestellt.
Der Zertifikatskurs wendet sich an Personen aus dem medizinischen Kerngeschäft und vermittelt Wissen, Fähigkeiten und Haltungen, die es für erfolgreiches Gestalten von Gesundheitsorganisationen und ihren Bereichen heute braucht. Dies geschieht in einer inspirierenden und kollaborativen Lernumgebung.
Detaillierte Informationen unter www.cas-managingmedicine.ch
Dr. Christof Schmitz
college M
Haus der ­Akademien
Laupenstrasse 7
CH-3001 Bern
christof.schmitz[at]college-m.ch
1 Vogd W, et al. Entscheidungsfindung im Krankenhausmanagement: zwischen gesellschaftlichem Anspruch, ökonomischen Kalkülen und professionellen Rationalitäten. Wiesbaden: Springer; 2018.
2 Nightingale F. Notes on Hospitals. London: Longman, Roberts and Green; 1863.
3 Stoller JK, Goodall A, Baker A. Why the best hospitals are managed by doctors. HBR.org, December 27, 2016.