Aussergewöhnliche Berufsperspektiven für Mediziner

Mediziner in der Forschung

Horizonte
Édition
2018/2829
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.06877
Bull Med Suisses. 2018;99(2829):951-953

Affiliations
Wissenschaftsjournalist

Publié le 10.07.2018

Die letzte Prüfung ist geschafft, das Medizinstudium beendet. Und wie geht es jetzt weiter? In unserer Serie «Du findest deinen Weg!» stellen wir Ihnen in unregelmäs­sigen Abständen aussergewöhnliche Berufsperspektiven für Mediziner vor. In dieser Ausgabe berichtet Professor Dr. med. Peter Wild, weshalb er sich für eine Laufbahn in der medizinischen Forschung entschied und weshalb er das Feld nicht den grossen Konzernen überlassen will.
Name: Prof. Dr. med. Peter Wild
Alter: 44
Stark verkürzter Lebenslauf:
– Facharztausbildung Pathologie in Deutschland und in der Schweiz
– Postdoc im Bereich der Krebsforschung (ETHZ)
– Assistant/Associate Professor für Systempathologie (USZ)
– Professor und Direktor des Senckenberg Instituts für Patho­logie, Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt
Herr Wild, wann kam bei Ihnen der Wunsch auf, Medizin zu studieren?
Während meiner Schulzeit. Und dies obwohl ich wusste, dass ich diesen Wunsch gegen den Willen meines Vaters durchsetzen musste. Denn eigentlich hätte ich Bauer werden sollen, um den elterlichen Betrieb übernehmen zu können. Meine guten Schulnoten halfen mir jedoch, meinen Vater von der Idee zu überzeugen.
Und wann machte sich bei Ihnen der Forscherdrang bemerkbar?
Mit dem Forschungsvirus wurde ich während eines Praktikums bei einem Nuklearmediziner angesteckt. Das Zusammenspiel von Technik, Datenverarbeitung und klinischem Alltag beeindruckte mich. Während meiner Doktorarbeit bekam ich dann einen vertieften Einblick in den Forschungsalltag. Dabei fiel mir auf, dass den meisten forschenden Medizinern, mich dazumal eingenommen, ein breites mathematisches Hintergrundwissen fehlte. Das nervte mich irgendwie. Mein Doktorvater Ferdinand Hofstädter animierte mich deshalb, parallel zu meiner Arbeit auf der Pathologie des Universitätsspitals Regensburg ein Nachdiplomstudium in medizinischer Biometrie zu absolvieren. Diese Zeit prägte mich sehr. Bis heute fasziniert mich die für die Forschung typische Wechselwirkung zwischen Aufstellen von Hypothesen und deren Überprüfung in Experimenten. Dabei kann ich mich richtig ausspinnen.
Damit war Ihre Zeit als praktizierender Arzt
wohl vorbei, oder?
Nicht ganz. Ich wollte nie den Bezug zum Klinikalltag verlieren und Grundlagenforschung im Elfenbeinturm betreiben. Nach meiner Facharztausbildung in Deutschland und der Schweiz entschied ich mich deshalb, als Oberarzt mehr klinische Erfahrung zu sammeln und das theoretische Wissen im Praxisalltag zu vertiefen. Rückblickend muss ich feststellen, dass dieser Entscheid richtig war, auch wenn die Rückkehr in den Klinikalltag nach Jahren in der Forschung eine ziemlich harte Umstellung bedeutete.
Zürich war für Ihren Werdegang ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt …
Ja, sei es während meiner Zeit als Postdoc bei Professor Wilhelm Krek an der ETH und später als Professor für Systempathologie bei Professor Holger Moch am UniversitätsSpital Zürich. Mein grosses Glück war, dass ich einerseits immer mit Leuten zu tun hatte, mit denen ich gerne zusammenarbeitete. Andererseits war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. So fiel der Beginn meiner Tätigkeit am USZ mit dem Hype um next genera­tion sequencing zusammen. Um diese Methode in der Molekularpathologie anwenden zu können, braucht es eine Kombination von Bioinformatik und innovativen Applikationen. Wir haben uns am USZ dazumal ganz auf diese Thematik konzentriert. Und das mit Erfolg. So konnte das UniversitätsSpital Zürich als erste Institution in der Schweiz ein entsprechendes ­Diagnostikverfahren akkreditieren lassen, dessen Kosten von den Krankenkassen übernommen werden. Somit gelang uns ein wichtiger Brückenschlag zwischen Forschung und Klinik.
Können Sie das etwas präzisieren?
Die Aufgabe von uns Pathologen ist, krankhafte Ver­änderungen zu klassifizieren. Darauf stützt dann der Chir­urg oder Internist in Zusammenarbeit mit weiteren Spezialisten seinen Behandlungsplan ab. Je genauer die Diagnostik seitens der Pathologie, umso zielgerichteter kann folglich die Behandlung angegangen werden. Dank next generation sequencing konnte die Tumorklassifikation um ein Vielfaches verbessert werden.
Die technologischen Innovationen sind der Grundpfeiler für die «Personalisierte Medizin». Inwieweit ändern sich dadurch die Anforderungen an das Grundwissen der Ärztinnen und Ärzte?
Die Digitalisierung wird die Tätigkeiten im klinischen Alltag umfassend verändern. Entsprechend muss künftig zumindest ein Grundverständnis der einem Laborresultat zugrundeliegenden Molekularbiologie vorhanden sein. Ein gutes Beispiel dafür ist die heute gängige WHO-Klassifizierung von Weichteiltumoren. Bestimmte Genfusionen definieren die einzelnen Tumor­identitäten. Wenn man als Chirurg diese Genfusionen nicht kennt und versteht, kann man heutzutage kaum mehr arbeiten. Deshalb ist es wichtig, dass die Medizinstudierenden während der Grundausbildung schon viel über Molekularbiologie lernen.
Besteht nicht die Gefahr, dass wir immer kränker werden, weil wir schlicht immer genauere Diagnostikmöglichkeiten haben und jede noch so kleine Normabweichung feststellen können?
Das Recht auf Nicht-Wissen ist extrem wichtig. Schliesslich wollen wir die Menschen gesünder und nicht kränker machen. Deshalb ist es aber auch so wichtig, dass sich genügend Mediziner für eine Laufbahn im akademischen Forschungsbereich entscheiden. Wir Mediziner müssen zusammen mit den Ethikkommissionen die Spielregeln mitbestimmen. Dieses Feld dürfen wir nicht gewinnorientierten Konzernen überlassen.
Sie haben vor wenigen Wochen die Schweiz Richtung Deutschland verlassen. Weshalb?
Ich folgte dem Ruf des Senckenberg Instituts für Pathologie in Frankfurt und leite hier nun einen tiefgreifenden, strukturellen und organisatorischen Umbau. Unser Ziel ist es, den Diagnostik- und Forschungsbereich komplett zu digitalisieren. Künftig erfassen wir sämt­liche Tumorschnitte elektronisch, sequenzieren das Probematerial und quantifizieren die Tumorproteine. Mit den so gesammelten Daten wollen wir ein um­fassendes, digitales Pathologiearchiv aufbauen. Dafür braucht es nicht nur viel Technik, sondern auch entsprechende Expertinnen und Experten. Ich bin gerade dabei, diese beiden Seiten miteinander zu verknüpfen.
In naher Zukunft werden Tumorschnitte vermehrt digitalisiert und mit Computerunterstützung analysiert.
Vermissen Sie bei Ihrer Arbeit eigentlich nie
den direkten Patientenkontakt?
Nein, ich habe mein Wirkungsfeld definitiv gefunden. Selbstverständlich schwebte auch mir während meines Studiums eine Tätigkeit als Arzt am Krankenbett vor. Von einer Karriere in der Forschung träumt wohl kaum jemand während der Grundausbildung. In der Pathologie und der medizinischen Forschung bleibt man hängen, weil einem diese Thematik gefällt. Und auch wenn ich heute kaum Patientenkontakt habe, liegt mir deren Wohl trotzdem sehr am Herzen, und ich hoffe immer, dass ich ihnen dank praxisorientierter Forschung zumindest indirekt helfen kann.
Praxisorientierte Forschung anstelle Patientenkontakt. «Ich habe mein Wirkungsfeld gefunden», sagt Peter Wild.
Haben Sie als Mediziner auch einen aussergewöhnlichen Beruf, den Sie unseren Lesern gern vorstellen möchten? Dann freuen wir uns auf Ihre Bewerbung per E-Mail an: mscholer[at]emh.ch.