Behandlungsqualität dank verbessertem Patientendialog steigern

Tribüne
Édition
2018/33
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.06850
Bull Med Suisses. 2018;99(33):1081-1083

Affiliations
Eidg. Dipl. Marketingleiter, Kommunikationsberater im Medizin- und Gesundheitssektor

Publié le 15.08.2018

Die Humanmedizin ist so unterschiedlich, wie es die Menschen auf dieser Welt sind, entsprechend verschieden sind auch die Umstände, unter denen ein Patientengespräch geführt werden muss. Und da die Patienten immer kritischer und anspruchsvoller werden, muss der Dialog mit diesen zunehmend bewusster gestaltet und professioneller geführt werden.
Egal ob Hausarzt, Spezialist oder Spital, das Gespräch mit dem Patienten war, ist und wird auch in Zukunft immer ein bedeutender Teil des Berufes sein, und zwar nicht nur bei der Anamnese, sondern während des ganzen Krankheitsprozesses und sogar darüber hinaus. Prof. Dr. Jalid Sehouli von der Charité in Berlin hat vermutlich nicht Unrecht, wenn er in seinem Buch1 ­behauptet, dass der persönliche Dialog wahrscheinlich das wichtigste Medikament respektive Rezept ist, das ein Arzt seinem Patienten verschreiben kann. Trotzdem sind professionell strukturierte und rhetorisch durchdachte Patientengespräche eher die Ausnahme als die Regel.

Résumé

La médecine humaine est aussi différente que le sont les gens dans le monde, et les circonstances dans lesquelles un entretien avec un patient doit être mené reflètent cette diversité. A mesure que les patients deviennent plus critiques et exigeants, le dialogue avec eux doit être construit de manière plus consciente et professionnelle.

Veränderte Wahrnehmung und steigende Ansprüche

So wie sich die Medizin als Wissenschaft in der Vergangenheit mit Riesenschritten weiterentwickelt hat, so hat sich auch deren Wahrnehmung in der Gesellschaft verändert. Vor allem die minimalinvasive Chirurgie hat in breiten Teilen der Bevölkerung dazu geführt, dass die Medizin immer seltener als Wissenschaft, sondern immer mehr als «Gesundheitsdienstleistung» verstanden wird.
Unbestritten ist jedenfalls die Tatsache, dass die Ansprüche der Patienten gestiegen sind: Eine zweite Meinung einzuholen ist heute durchaus üblich, und sogar online von zu Hause über www.meinezweitemeinung.ch bequem machbar. Dass das Internet bei den Patienten eine wichtige Rolle spielt, bewies schon jene Swisscom-Studie aus dem Jahr 2011, die aufzeigte, dass sich 84% der Schweizerinnen und Schweizer vor oder nach einem Arzttermin über Krankheiten und Symptome im Internet informieren.2 Man mag über Websites wie www.doktor.ch oder www.medicosearch.ch denken, wie man will, doch sie stellen eine Weiterentwicklung der damaligen Swisscom-Studie dar. Und sie sind ein weiteres Zeichen für dieses neue Selbstbewusstsein der Patienten.

Zeitdruck versus Quality Time

Gemäss einer im März 2018 in Deutschland veröffentlichten Studie geben 45% der befragten Patienten an, der Arzt würde sich zu wenig Zeit für sie nehmen.3 Kein Wunder also, dass die TARMED-Änderungen von Bundesrat Alain Berset auf einen breiten Widerstand bei der Schweizer Ärzteschaft treffen. Daher die Frage: Ist Berset wirklich bewusst, dass zur medizinischen Leistung eben auch das Patientengespräch gehört?
Die Welt dreht sich immer schneller, Hektik bestimmt oft unser (Arbeits-)Leben. Kein Wunder gewinnt der Begriff «Quality Time» an Bedeutung: mehr Zeit und Ruhe mitten im Alltagsstress. Genau diese «Qualitätszeit» ist in einem solch persönlichen und intimen Bereich, wie es eben die Medizin ist, besonders wichtig. Doch was kann man tun, wenn die zwanzig Minuten für eine Grundkonsultation, dreissig in Ausnahme­fällen, von der Politik vorgegeben werden? Selbstverständlich kann man sich beschweren, so wie es H+, der nationale Verband der öffentlichen und privaten Spitäler, Kliniken und Pflegestationen, mit einem Brief an den Bundesrat im August des letzten Jahres gemacht hat. Oder man tut, was man selber angehen und umsetzen kann, und versucht, seine eigenen Kommuni­kationsfähigkeiten zu verbessern. Hierfür muss man nicht an die Universität zurückkehren, um etwa Kommunikationswissenschaften zu studieren, es reicht durchaus, wenn man einfache Ideen und Vorgehensweisen verinnerlicht und anwendet.

Ratschlag 1: Drei einfache Fragen zur mentalen Gesprächsvorbereitung

Bevor sie den Berg runtersausen, visualisieren Skirennfahrer kurz vor dem Start die Strecke: Welche Kurven sind besonders schwierig? Wo hat es Bodenwellen? Wann kann ich es einfach laufen lassen? Genau gleich sollte man vor einem Patientengespräch kurz in sich gehen und sich ein paar Gedanken über die bevorstehende Konsultation machen. Dabei gibt es drei Schlüsselfragen, die zwar simpel klingen, als Eselsleiter respektive roter Faden durchaus nützlich sind.
Bei der ersten Frage geht es um die Art des Termins respektive der Behandlung. Handelt es sich um einen Erstbesuch, um einen jährlichen Gesundheitscheck oder eine Besprechung der weiteren Behandlungsschritte? Diese erste Frage gibt schon einen Hinweis darauf, wie locker respektive gut vorbereitet man in das Patientengespräch hineingehen kann und ob es eine eher kürzere oder längere Konsultation sein könnte. Komplexere respektive emotional anspruchsvolle Patientengespräche sollte man, wenn möglich, so terminieren, dass man sie wahrnimmt, solange man noch frisch und munter ist. Sollte dies nicht möglich sein, so sollte man versuchen, einen Fachkollegen oder eine Mitarbeiterin als Verstärkung hinzu zu bitten. Gerade Krankenschwestern und Praxisassistentinnen wissen besonders gut, wie man auf die Patienten einzugehen und mit diesen zu reden hat.
Auch die zweite Frage ist überaus simpel, aber nicht weniger wichtig: Mit wem werde ich mich gleich unterhalten? Wen werde ich in wenigen Minuten vor mir ­haben? Dabei geht es nicht nur um Aspekte wie Krankheitsbild oder Alter, sondern auch um die Persönlichkeit des Patienten. Was hat dieser für einen Charakter? Welches ist sein kultureller Hintergrund? Welchen Bildungsstand und welchen Beruf hat er? Ohne wertend zu sein, aber mit einer Versicherungsmaklerin muss man anders reden als mit einem Koch. Und bei einem Automechaniker ist ziemlich sicher eine andere Tonalität angebracht als etwa bei einer Primarlehrerin.
Nur selten stellt man sich die Frage nach dem Ziel des Patientengesprächs. Im Gegensatz zu einem Small Talk mit Freunden sollte man in der Medizin ganz klar ­wissen, was man mit der bevorstehenden Unterhaltung erreichen möchte. Schliesslich ist es nicht das Gleiche, ob man einen Patienten lediglich über das ­Resultat einer Blutanalyse informieren, über einen Krankheitsbefund aufklären oder für eine bestimmte Behandlung motivieren möchte. Gerade wenn man bedenkt, dass die Minuten bei jedem Termin gezählt sind, so helfen klare Zielvorstellungen, das Beratungsgespräch so stringent wie möglich zu führen.
Mit diesen drei einfachen Grundfragen können Patienten­termine (im Geist) vorbereitet werden.

Ratschlag 2: Genau die richtige Dosis

Das Erklärungsbedürfnis ist nicht nur zu Beginn einer Konsultation oder einer Behandlung in der Regel sehr gross, schliesslich ist der Wissensunterschied zwischen Arzt und Patient riesig. Da der Patient diese Wissenskluft von alleine nicht überwinden kann, liegt es am Arzt, diesem zu helfen, das Verständnis für die Behandlung respektive das Krankheitsbild zu erreichen. Dabei kommt es nicht selten vor, dass man den Patienten mit Informationen überfrachtet und somit überfordert. Aus diesem Grund sollte man ausschliesslich jenes erklären, welches für die jetzt genau aktuelle ­Situation relevant ist. Logischerweise nicht weniger, aber auf keinen Fall mehr! Um diese «Informations­dosis» genau zu definieren, ist es empfehlenswert, das interne Patientenbriefing um ein oder zwei Minuten zu verlängern und gemeinsam abzusprechen, welche präzisen Angaben und Argumente vermittelt werden sollen.
Die Informationspyramide visualisiert sehr schön den ­Wissensunterschied zwischen Arzt respektive dem ­medizinischen Personal und den verschiedenen Patienten.

Ratschlag 3: Eins nach dem anderen

Das sogenannte «Sender-Empfänger-Modell» stammt aus der Kommunikationswissenschaft und zeigt auf, dass ein Empfänger seine Botschaft zuerst codiert: Ein Maler pinselt das, was er ausdrucken möchte, auf eine Leinwand, ein Musiker verwendet hierfür Noten, und ein Arzt fasst das, was er mitteilen will, in Worte zusammen. Da aber der Empfänger der Botschaft, in unserem Falle der Patient, seine eigenen Werte, Kenntnisse und Erfahrungen hat, wird er die Botschaften entsprechend seiner Persönlichkeit decodieren respektive interpretieren. Um das Beispiel des Malers nochmals zu verwenden: Wie kann es sein, dass die Bilder in einem Museum bei jedem einzelnen Betrachter unterschiedliche Reaktionen auslösen? Weil jeder die Bildbotschaft nach seinen eigenen Kriterien und 
Gutdünken decodiert.
Aus diesem Grund muss man gerade bei komplexeren Krankheitsbildern und Behandlungen sicherstellen, dass jede einzelne Information, die man dem Patienten übermittelt, auch richtig verstanden wird. Schon die kleinste Interpretationsvariante kann zu Unklarheiten und Missverständnissen führen. Aus diesem Grund sollten wichtige Erklärungen in einfach verständlichen «Happen» übermittelt werden – und zwar eines nach dem anderen! Sollte man sich nicht sicher sein, ob der Patient das Gesagte wirklich richtig verstanden hat, so fragt man lieber einmal zu viel als ­einmal zu wenig nach.
Eine Botschaft kann vom Empfänger durchaus anders interpretiert (resp. decodiert) werden als vom Sender angenommen, denn jeder hat einen anderen Background.

Ratschlag 4: ­Rhetorik im ­Patienten­gespräch

Die Verwendung von medizinischen Fachbegriffen ist für jeden Arzt und Gesundheitsspezialisten selbstverständlich, sie vereinfachen den Dialog unter seinesgleichen sogar über die Sprachgrenzen hinaus. Doch was für einen Mediziner selbstverständlich ist, ist es für einen Patienten noch lange nicht. Daher sollte man ganz bewusst und gänzlich auf medizinische Fachausdrücke verzichten, wenn man sich mit einem Patienten unterhält. Das vorgängig erwähnte Sender-Empfänger-Modell liefert auch hier die Begründung: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Begriff «ictus» vom Pa­tienten nicht korrekt decodiert wird, ist wesentlich ­höher, als wenn er das Wort «Schlaganfall» vernimmt.
Nicht unwichtig in Sachen Rhetorik im Patientengespräch ist die Bedeutung des Schweigens, wobei es sich hier nicht um Kunstpausen handelt, die, wie im Theater oder im Film, Spannung erzeugen sollen. Vielmehr geht es darum, seinem Gegenüber Zeit zu geben! Setzt man in seinem Patientendialog bewusst immer wieder Pausen ein, so bietet man seinen Patienten die Möglich­keit, das soeben Gehörte zu verarbeiten, sich  darüber Gedanken zu machen und entsprechende ­Fragen an den Arzt zu formulieren. Zudem verringern Gesprächspausen die Hektik, welche gerade bei schlechten Nachrichten oftmals mitschwingt.
Daniel Izquierdo Hänni
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