Kaapshljmurslis

Horizonte
Édition
2018/2627
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.06813
Bull Med Suisses. 2018;99(2627):903

Affiliations
Dr. med., Mitglied der Redaktion

Publié le 27.06.2018

Ein Substantiv aus der lettischen Sprache, beklemmend zungenbrecherisch. Wer in Lettland zu Stoss­zeiten in überfüllten Verkehrsmitteln unterwegs ist, kann mit dem einzigen Wort Kaapshljmurslis alles zusammenfassen, was aneinandergepresste Fahrgäste erleiden, wenn es nach ungewaschenen Körpern und Achselschweiss riecht. Die meisten unübersetzbaren Wörter haben eine sinnlich-emotionale Qualität. F­orelsket nennen die Norweger die Euphorie einer ­frischen Verliebtheit und mit razliubit umschreibt das russische Verb das bittersüsse Gefühl einer erkalteten Liebe, wenn alle wunderbaren Gefühle plötzlich verschwunden sind.
Das Handwerk der Übersetzungen ist eine schwierige Kunst. Einmal werden fremde Buchstaben falsch gelesen, zum Beispiel das hebräische Strahl im AT, das die lateinische Vulgata irrtümlich mit Horn übersetzte und Moses in Bildern und Statuen über Jahrhunderte zum Gehörnten machte. Verschiedene Kontexte, andere Sprachbilder oder tradierte Wendungen bilden in einer italienischen Tageszeitung eine ganz andere Sprache, als wir sie aus der Schullektüre kennen. Nicht besser steht es um die Scheinanglizismen in unserem Alltag: Evergreen, Hitliste, Messie oder Zappen, die im Englischen eine andere Bedeutung haben oder gar unbekannt sind. Heikel wird es mit den deutsch und englisch beliebten Wortpaaren movers and shakers für Macher und Querdenker, Jack and Jll für Durch­gangsbade­zimmer oder slings and arrows für Gehässigkeiten. Am schlimmsten sind die Adjektive; sie sind linguis­tisches Glatteis, das Schwabbelfett auf den Wörtern, wie sie der deutsche Sprachkritiker Wolf Schneider einmal nannte. Super­califragilisticeexpialidocous hiess ein Songtitel aus Disneys Film «Mary Poppins». Ein Adjektiv, das so populär wurde, dass es vom «Oxford English Dictionary» aufgenommen wurde. Bitte dort selber nachschlagen.
Wenn schon unsere Lieblingsfremdsprache uns derart viele Fallen stellt, dann erst recht die unbekannteren, die Ella Frances Sanders in ihrem wunderbar illustrierten Büchlein «Lost in Translation» zusammengestellt hat. Die eingangs erwähnten gehören dazu, wie etwa die unübersetzbaren Zeit-Distanz-Begriffe. Das Malaiische Pitsan Zapra, die Zeit, die man braucht, um eine Banane zu essen, Kalpa im Sanskrit, das kosmische Zeitabläufe nennt, oder das finnische Poronkusema, die Entfernung, die ein Rentier bequem zurücklegt, bevor es eine Pause braucht. Natürlich gibt es auch im Deutschen jede Menge Wörter, die ihre ganz eigenen poe­tischen Gefühle oder täglich gelebte Herkunft ­kennen, etwa Torschlusspanik, gemütlich, Kabelsalat oder Weltschmerz.
In ihrem Debutfilm «Anderswo» arbeitete die Deutsch-Israelin ­Ester Amrami an einem Wörterbuch für unübersetzbare Wörter. Die Handlung wird durch sieben linguistische Exkurse unterbrochen. Sprache ist Heimat und Mittel der Ausgrenzung: «Man kann nichts übersetzen, nichts, nicht Bett, nicht Wand, nicht Haus, nicht Eltern, nicht Liebe.»
Es lohnt sich, im Büchlein der ­Autorin Sanders zu verweilen und zu schwelgen. Wer weiss nicht, wie das ist, wenn man sich eine Wegbeschreibung anhört, dann losläuft und sie wieder vergisst. Man geht Akihi, sagen die ­Hawaiianer. Von fünfzig Wortperlen sei zum Schluss noch eine weitere japanische Wendung für eine sehr vertraute Handlung erwähnt: Tsundoku, ein Buch, ­ungelesen zu den anderen ungelesenen Büchern legen. Müsste man als Lehnwort gleich in unsere Sprache einführen.
erhard.taverna[at]saez.ch
Ella Frances Sanders. Lost in Translation, DuMont, 3. Auflage 2017.
Peter Littger. The devil lies in the detail, Kiepenheuer & Witsch,
2. Auflage 2015.