Revidiertes Genfer Gelöbnis begrüssenswert - es braucht auch einen neuen Sozialvertrag.

Briefe / Mitteilungen
Édition
2018/1314
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.06620
Bull Med Suisses. 2018;99(1314):434

Publié le 28.03.2018

Revidiertes Genfer Gelöbnis ­be­grüssenswert – es braucht auch einen neuen Sozialvertrag

Brief zu: Wiesing U, Parsa-Parsi R. Der Weltärztebund hat 
das Genfer Gelöbnis revidiert. Schweiz Ärztezeitung. 2018;99(8):247–9.
In ihrem Artikel zum revidierten Genfer Gelöbnis erläutern die Autoren die Beweggründe für die vorgenommenen Änderungen. Es ist sehr zu begrüssen, dass die Deklaration des Weltärztebundes aktiv auf Aktualität in einem sich verändernden Umfeld überprüft und entsprechend überarbeitet wird. So findet erstmals der Respekt der Selbstbestimmung eines Patienten Eingang in das Gelöbnis. Und es wurde nach einer Formulierung gesucht, welche das Spannungsfeld zwischen mangelnden Ressourcen und Überversorgung aufgreift: «Ich werde meinen Beruf nach bestem Wissen und Gewissen, mit Würde und im Einklang mit guter medizinischer Praxis ausüben.» Damit wollte man «einer unangemessenen Ökonomisierung entgegenwirken» [1]. Für die Ärztinnen und Ärzte der entwickelten Länder mag diese Formulierung ungenügend sein, um die Herausforderungen an den Arztberuf in einem Umfeld erheblicher und dennoch sich limitierenden Ressourcen explizit zu ­machen. Wir sollten uns bewusstmachen, dass wir Teil eines impliziten Sozialvertrages sind [2]: Die Gesellschaft gibt uns ihr volles Vertrauen, dass wir Ärztinnen und Ärzte stets das für den Patienten notwendige und beste tun und dazu unser Fachwissen auf dem ­neuesten Stand halten. Das sogenannte Vertrauensprinzip ist ein klarer Ausdruck dieses So­zialvertrages: Alles, was wir als richtig und notwendig erachten, wird durch die Sozialversicherungen vergütet – so ist es Tradition und im KVG verankert. Nun hat Letzteres auch die Wirtschaftlichkeit als Kriterium der Vergütung eingeführt, womit wir zunehmend in ein Spannungsfeld geraten. Als Ärztinnen und Ärzte halten wir unseren Anspruch auf Autonomie, Schutz unserer Entscheidungen und angemessene Vergütung aufrecht, während die Gesellschaft mehr und mehr den ­Imperativ von Mitverantwortung für Folgekosten, Qualitätskontrolle und Versorgungssicherheit einfordert. Als Profession tun wir gut daran, diese gesellschaftliche Entwicklung ernst zu nehmen, den impliziten Sozialvertrag explizit zu machen und uns auch hier um eine Neuformulierung zu bemühen. Wir stehen sonst in der Gefahr, das uns entgegengebrachte Vertrauen zu verlieren und künftig noch mehr unsere Entscheidungen rechtfertigen zu müssen – was zu noch mehr adminis­trativem Aufwand führen würde. So sollten wir uns nicht so schwertun mit klinischen Standards als Best Practice [3], weil wir den Autonomieverlust fürchten, sondern uns proaktiv für die «gute medizinische Praxis» engagieren, wie es im Genfer Gelöbnis formuliert ist. Die Gesellschaft muss erkennen können, dass wir Ärztinnen und Ärzte uns auch um ihre ökonomischen Sorgen kümmern und hierin glaubwürdig auftreten. Wird es uns gelingen, einen neuen Sozialvertrag zu formulieren, auf dessen Basis wir unseren Beruf ausüben und der mithilft, das Vertrauensverhältnis aufrechtzuerhalten?