Selbstbestimmtes Sterben: Sicht des Betroffenen

Briefe / Mitteilungen
Édition
2018/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.06570
Bull Med Suisses. 2018;99(11):340

Publié le 14.03.2018

Selbstbestimmtes Sterben: 
Sicht des Betroffenen

Brief zu: Kunz R, Rüegger H. Selbstbestimmtes Sterben als Herausforderung an die Medizin. Schweiz Ärztezeitung. 2018;99(5):156–8.
Der Artikel hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck.
Das Leben gehört nur dem Einzelnen selbst. Und wie dieses «sein Leben» dem Tod zu übergeben ist, ist Folge der eigenen, selbst getroffenen Entscheidung. In unserer säkularisierten Gesellschaft ist das Schicksal abgelöst durch die selbständige Wahrnehmung der eigenen ­Interessen. Die Orientierung an einer Welt danach oder an einer versprochenen Erlösung fällt so weg.
Auffallend ist der Duktus des Artikels. Der einzelne Mensch, der die Entscheidung des Todes­zeitpunktes selbst bestimmt, kommt nicht zu Wort. Ihm werden Ängste und Überforderung zugeschrieben. Die Entscheidungsverantwortung wird dem Patienten «überbürdet», gemäss Text. Diese Denkweise entlarvt die ­paternalistische Haltung der Ärzte, die den Artikel schrieben.
Offenbar ist aus diesem ärztlichen Verhaltens­typ heraus vergessengegangen, dass für die Menschen mit einer schweren, den Alltag deutlich behindernden Krankheit, Leiden oder Krankheiten eine lange Zeit des Nachdenkens und Beurteilens bis zum Entscheid der Selbstbestimmung des Todeszeitpunktes vorausgeht. Gespräche im Sinne von Zuhören und Unterstützung der Denkweise mit An­gehörigen und Freunden des Betroffenen sind üblich auf dem Weg zur Entscheidung. Organisa­tionen wie Exit bieten zusätzliche Hilfe und Begleitung durch Freitodbegleiterinnen und Konsiliarärzte. Diese positive Zusicherung und dieses nicht indirekt moralisierende Einverständnis der Beteiligten zur Selbstbestimmung ist die grundlegende menschliche Hilfe beim Sterben.
Ethik kann nicht verordnet werden. Sie wird aber in den SAMW-Richtlinien «Umgang mit Sterben und Tod» inhärent postuliert. Das «ethische» Handeln muss jeder Mensch beim Zeitpunkt des Handelns selbst verantworten. Seine Haltung kann er nie dem anderen aufdrängen. Ethische Richtlinien können einen Hinweis der vorherrschenden Handlungsrichtung geben, aber niemals bindend sein. Die im Artikel erwähnte Gesprächskultur kann nur gelernt werden mit der eigenen Auseinandersetzung mit seinem Leben und Sterben. Können junge Ärzte dies vollziehen?
Das ärztliche Gelöbnis der DEKLARATION VON GENF besagt, dass der Arzt sich als Arzt in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen hat. Die Gesundheit und das Wohlergehen der betreuten Patientin oder des Patienten werden das oberste Anliegen sein. Die Autonomie und die Würde der Patientin oder des betreuten Patienten müssen respektiert sein.
Genau dieser Respekt gegenüber der anderen Meinung und Entscheidung führt dazu, dass ich bereit bin, nach den Gesprächen mit Menschen, die die feste Überzeugung nach Selbstbestimmung äussern und dies über eine Pa­tientenverfügung auch festgehalten haben, das Natrium-Pentobarbital zu verschreiben und den Betroffenen positiv zu unterstützen.