Zwei Tabletten in den Morgenkaffee

Briefe / Mitteilungen
Édition
2018/09
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.06503
Bull Med Suisses. 2018;99(09):271

Publié le 28.02.2018

Zwei Tabletten in den Morgenkaffee

Brief zu: Karikatur von Oswald Huber in Schweiz Ärztezeitung. 2018;99(6).
Als ich diese Zeichnung sah, erinnerte ich mich an, sagen wir mal Rolf (Name geändert), einen dicklichen, brav aussehenden Sechstklässler in einem, wie es damals noch hiess, Landerziehungsheim in meinem Praxisgebiet im sogenannten Säuliamt im Kanton Zürich. Er musste von Zeit zu Zeit zu mir als Heimarzt für eine Blutkontrolle kommen. Und so erschien Rolf also wieder einmal und ging ins Labor, wo Blut genommen werden sollte. Der Stuhl dafür war gleich ­neben dem offenen Regal der Selbstdispensationsapotheke. Die Arztgehilfin (heute MPA) musste ihn mal allein lassen. Er sass ganz ­allein neben den Medikamenten. Das Blut wurde entnommen und Rolf ging wieder. Nach ein, zwei Tagen kam der Heimleiter ­etwas entgeistert vorbei, er habe da eigenartige Fälle: Einige Knaben würden tagsüber unmotiviert einschlafen oder seien sonst einfach müde und schwer ansprechbar. Ich hatte auch keine sofortige Lösung, doch nach einigen Tagen kamen Schlaftabletten, Rohypnol, zum Vorschein. Der Heimleiter hatte Erfahrung in Detektivarbeit, und schliesslich war es ganz einfach: Rolf sass vor der Blutentnahme neben dem offenen Regal mit Medikamenten, und oben lagen Rohypnoltablettenpackungen. Obwohl eher klein, konnte er, allein gelassen, nur kurz aufstehen, den Arm ausstrecken und eine Packung Rohypnol ergreifen. Und mit der Trophäe ging er und «gab ein, zwei Tabletten ins Trinkgefäss» der Kollegen.
Das Rätsel war gelöst. Für mich hiess es, dass auch naiv und brav und bieder wirkende Knaben durchaus fähig sind für «kleinkriminelle» Überraschungen (wenn auch der Arzt etwas naiv und gutgläubig ist).