Ein kantonales ambulantes Budget – darum nicht!

Briefe / Mitteilungen
Édition
2018/09
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2018.06499
Bull Med Suisses. 2018;99(09):269

Publié le 28.02.2018

Ein kantonales ambulantes Budget – darum nicht!

Brief zu: Eggli Y. Ein kantonales ambulantes Budget – warum nicht? Schweiz Ärztezeitung. 2018;99(4):113–115.
Sehr geehrter Herr Kollege Eggli
In der SÄZ Nr. 4 vom 24.1.2018 stellten Sie die Frage: «Ambulantes Budget – warum nicht?» Ich möchte Ihnen gerne einige Antworten auf Ihre Frage geben:
Meiner Meinung nach wäre die Einführung eines ambulanten Globalbudgets, wie von Ihnen und Ihrer Expertengruppe vorgeschlagen, der Sündenfall für die freie niedergelassene Arztpraxis und der Todesstoss für die von der OECD im Ländervergleich oft gelobte hervorragende ambulante medizinische Versorgung der Bevölkerung in der Schweiz.
Bereits die bisherigen «festen» Taxpunktwerte unterscheiden sich massiv interkantonal. Der ursprüngliche Punktwert im «alten ­TARMED» war auf 1 CHF kalkuliert, wurde jedoch nie erreicht und wurde auch nie an die steigenden Kosten der Praxen nach oben angepasst. Demnach verzichtet die Ärzteschaft ohnehin seit vielen Jahren auf einen Teil ihres Einkommens – zum Wohl der Allgemeinheit.
Wie die jahrelange Erfahrung mit dem ambulanten Globalbudget aus Deutschland lehren könnte, führt das ambulante Budget sehr rasch zu sinkenden Punktwerten. Das Morbiditätsrisiko würde von den Krankenversicherungen (nur dort gehört es hin!) zu den Leistungserbringern verlagert. Sinkende Punktwerte könnten von den Leistungserbringern nur durch erhöhte Arbeitsverdichtung (und damit unausweichlich einen Hamsterradeffekt) ­vorübergehend ausgeglichen werden, und der ­inflationäre Punktwerteverfall beschleunigte sich. Also müssten sehr bald nach Einführung die globalen Budgets auf die praxisindividuellen Budgets übertragen werden.
Leidtragende dieser Entwicklung wären dann gleichermassen niedergelassene Ärzte und Patienten, da stille Leistungsrationierungen Einzug halten würden und die berechtigte Unzufriedenheit bei beiden Gruppen kontinuierlich anwachsen würde. Persönliche Zuwendung? Vergangenheit! «Aufwendige Pa­tienten» kann sich eine betriebswirtschaftlich geführte Praxis nicht mehr leisten: Patienten­selektion? Versorgungsverschlechterung! Übrigens würde die beschriebene Entwicklung in der Schweiz sehr viel schneller und inten­siver ablaufen als zuvor in Deutschland. Hier gibt es keine ambulant Privatversicherten, die Verluste bei «Kassenpatienten» kompensieren könnten.
Ihr Argument, unter DRG-Bedingungen habe kein Spital seine Versorgung verschlechtert, ist fadenscheinig: Die Spitäler haben ja gerade ihre Verluste bei den DRG-Vergütungen durch ihre massive Ausdehnung der ambulanten Tätig­keiten aufgefangen und damit den ambulanten Kostenschub substantiell verursacht! Die Spitäler betreiben heute eine weiter wachsende Zahl an Spezialambulanzen, die gegenüber der praxisambulanten Patientenversorgung viel höhere Kosten verursachen. Ganz nebenbei sanieren die Kantone ihre Haushalte durch die Verlagerung stationär nach ambulant auf dem Rücken der Prämienzahler gerade mit.
Die Tarifautonomie zu beerdigen und die Kantone zum Hüter der ambulanten Budgets zu machen wäre zweifelsohne ein Akt der Verstaatlichung – trotz Ihrer anderslautenden Beteuerungen!
Ob die wahlberechtigte Bevölkerung das absegnen wird, bleibt gespannt abzuwarten.