Hilfe, ich bin Arzt!

Briefe / Mitteilungen
Édition
2017/49
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2017.06252
Bull Med Suisses. 2017;98(49):1644

Publié le 06.12.2017

Hilfe, ich bin Arzt!

«125 Franken pro Stunde im Minutentakt abgerechnet …» symbolisieren den Kniefall der Medizin vor der Ökonomie. Ein offener Brief von Dr. Christian Larsen an seine Patienten …
«Ich will eine Medizin für Patienten machen»
Bereits als 3-jähriger Knirps wollte ich Arzt werden. Gesagt, getan. Und ich will es heute noch, mehr denn je. Bewusst habe ich bei der Praxisgründung auf drei Dinge verzichtet: Röntgen, Labor und Medikamentenabgabe. Was bleibt, ist die Sprechstunde: gut zuhören, genau untersuchen, scharf überlegen, Therapieziele vereinbaren, Erfolgskontrollen durchführen, Selbstvertrauen wecken ... Jahr für Jahr befähigen wir 4000 Patienten mit muskulo­skelettalen Beschwerden, bestmöglich damit umzugehen. Und vermeiden so rund 200 Operationen pro Jahr. Systematische Out­­come-Messungen (Stiftung Qualitouch®) doku­mentieren den Erfolg: Bei Patienten mit chronisch starken Schmerzen beispielsweise gelingt es uns, die Schmerzen nach 7 Therapieeinheiten nahezu zu halbieren.
«Der 1-Min.- & 2-Franken-Rhythmus ist für eine veritable Demütigung»
Bundesrat Alain Berset hat zum Angriff gegen die Kostenexplosion im Gesundheitswesen geblasen. Per 1. Januar 2018 tritt der bundesrätlich zwangsrevidierte TARMED-Tarif in Kraft. Ich greife zwei für die Sprechstundentätigkeit entscheidende Details heraus. Erstens: Wenn Sie als Patient mir gegenübersitzen, gilt ein Stundenansatz von CHF 125. Zweitens: Wenn ich in Ihrer Abwesenheit Dinge für Sie er­ledige – einen Bericht schreibe, Röntgenbilder analysiere, die Mutter eines Kindes anrufe oder mit einem Therapeuten Rücksprache nehme –, muss ich diese Tätigkeit im Minu­tentakt für CHF 2 pro Minute abrechnen. Eine veritable Demütigung. Schauen Sie sich den Originaltext an:
Zum Vergleich: Mein Hauselektriker verrechnet CHF 140 pro Stunde, der Tierarzt CHF 200, der Steuerberater CHF 220, der Rechtsberater CHF 380. Ich will nicht jammern, Geld war nie meine primäre Motivation. Aber: Bruttoeinnahmen von CHF 120–125 pro Stunde haben für Arzt und Patient Konsequenzen:
1. Keine Arztpraxis kann so vernünftig betrieben werden – was Ärzte systematisch zu «Nebeneinnahmen» via Labor, Medikamente, Röntgen usw. zwingt.
2. Der Nachwuchs wird sich auf wenige Idealisten beschränken. Der freie Arztberuf wird aussterben, die Verstaatlichung der Medizin wird schleichend Realität.
3. Der administrative Aufwand für die minutengenaue Dokumentation & Leistungs­erfassung ist unverhältnismässig und eine­r vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung wesensfremd.
«Appell statt Skalpell»
Und jetzt? Richtig: Guter Rat ist teuer. Selbstverständlich habe auch ich mir Gedanken gemacht, in welche Richtung Lösungen zu suchen sind. Aber davon will ich Sie im Moment verschonen. Stattdessen ein Appell: Solidarisieren Sie sich mit den Ärzten Ihres Vertrauens! Patient und Arzt stehen auf der gleichen Seite. Lassen Sie es nicht zu, dass der Spaltpilz vermeintlicher ökonomischer Zwänge die uralte hippokratische Allianz zwischen Patient und Arzt zerstört. Seien Sie vorsichtig mit der Verlängerung des Lebens am Lebensende um jeden Preis. unterstützen Sie Ärzte, Therapeuten und Ökonomen, die sich explizit für die Wiederbelebung dieser Allianz und für eine menschliche Medizin einsetzen. Zum Beispiel die Akademie Menschenmedizin (AMM).