Halbierung der Wartefrist vor Organentnahme bei Herz-Kreislaufstillstand

Briefe / Mitteilungen
Édition
2017/47
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2017.06232
Bull Med Suisses. 2017;98(47):1577

Publié le 21.11.2017

Halbierung der Wartefrist
vor Organentnahme bei Herz-
Kreislauf-Stillstand

Die Richtlinien der Schweizerischen Aka­demie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) «Feststellung des Todes in Hinblick auf Organtransplantationen und Vorbereitung der Organentnahme» enthalten eine einschneidende Veränderung bezüglich der Organentnahme nach Herz-Kreislauf-Stillstand: Bisher galt nach dem Herz-Kreislauf-Stillstand bis zur Hirntoddiagnostik eine Wartezeit von 10 Min. Diese wurde auf 5 Min. verkürzt. Als die SAMW die Richtlinien in die Vernehmlassung brachte, betrug die Frist noch 10 Min. Die einschneidende Halbierung auf 5 Min. hätte eine weitere Vernehmlassung nach sich ziehen müssen. Etliche Vernehmlassungsteilnehmer hätten in Kenntnis dieser Änderung protestiert. Weshalb wird diese in Fachkreisen umstrittene Änderung von Prof. J. Steiger, Präsident der Zentralen Ethikkommission der SAMW, im erläuternden Artikel in der Schweizerischen Ärztezeitung [1] nicht erwähnt? Auch der Bundesrat informierte in seiner Medienmitteilung vom 18. Oktober 2017 [2] darüber nicht. Warum spielt die Reduktion von 10 auf 5 Min. eine Rolle? Wie die SAMW-Richtlinien in ihrer Präambel festhalten, legt das Transplantationsgesetz (TxG) als Kriterium für den Tod eines Menschen den irre­versiblen Ausfall sämtlicher Funktionen seines Hirns einschliesslich des Hirnstamms fest. Der irreversible Funktionsausfall des Grosshirns nach Herz-Kreislauf-Stillstand tritt nach etwa 5 Min. ein. Die Überlebensdauer des Hirnstammes wird mit bis zu 10 Min. oder ­etwas länger nach Herz-Kreislauf-Stillstand beobachtet. Die bisher festgelegte 10-minütige Wartezeit hat dem Umstand der unterschiedlichen Empfindlichkeiten der Hirnstrukturen Rechnung getragen. Deshalb ist der irrever­sible Ausfall des Gehirns einschliesslich des Hirnstamms mit der Reduktion auf 5 Min. nicht mehr gewährleistet. Prof. J. Steiger schliesst seinen Artikel mit dem frag- und denkwürdigen Satz: «Das Ziel bleibt, im jeweiligen Kontext für alle Beteiligten die grösstmögliche Gewissheit zu erreichen, dass Spender zum Zeitpunkt der Organentnahme tot sind und der respektvolle Umgang mit dem Sterbenden bzw. dem Leichnam stets gewährleistet ist.» Ist durch die Halbierung der Wartefrist vor Organentnahme von 10 auf 5 Min. die grösstmögliche Gewissheit erreicht, dass Spender zum Zeitpunkt der Organentnahme tot sind? Soll uns die grösstmögliche Gewissheit reichen? Die Deutsche Bundesärztekammer lehnt generell eine Organentnahme nach Herz-Kreislauf-Stillstand mit der Begründung ab, die Todesfeststellung sei unsicher. Dies ­belege jede auch nur vor­übergehend erfolgreiche Reanimation. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie und die Deutsche ­Gesellschaft für Neurologie teilen diesen Standpunkt. Auch namhafte Neurologen kritisieren aufgrund der Unsicherheitsfaktoren das Konzept der Organspende nach Tod durch Herz-Kreislauf-Stillstand [3]. Die Unterzeichnenden haben – zusammen mit ande­ren Organisationen – gegen diese Änderung mit einem Brief an den Bundesrat und mit einer Pressemitteilung reagiert und verlangen, dass der Bundesrat die Inkraftsetzung des TxG aufschiebt, bis die SAMW den umstrittenen Punkt geändert hat.