Braucht es einen Schweizer Eid?

Briefe / Mitteilungen
Édition
2017/44
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2017.06153
Bull Med Suisses. 2017;98(44):1454–1455

Publié le 31.10.2017

Braucht es einen Schweizer Eid ?

Brief zu: Egger B et al. Schweiz Ärztezeitung 2017;98(40):1295–97
Die Analyse zur Ökonomisierung der Medizin, verfasst von Mitarbeitern des Instituts ­Dialog Ethik, ist eine bemerkenswerte Rückbesinnung auf den ärztlichen Berufsethos. Die Bezugnahme auf entsprechende Dokumente der SAMW, des Deutschen Ethikrats, aber auch des Hippokratischen Eids bekräftigen diese Argumentation sowohl aus der aktuellen als auch historischen Sicht.
Sicherlich ist die Ökonomisierung der Medizin aufhaltbar, deshalb sind derartige Artikel sehr wichtig. Umso mehr bräuchte es noch weitere tatkräftige Unterstützung, so von ­politischer Seite her von unserer Standes­orga­nisation FMH mit einem eindeutigen und ­klaren politischen Statement zu diesem ­Themenkomplex. Dies würde uns als Ärzte, welche jeden Tag trotz Ökonomisierung der Medizin «Patienten und nicht Kunden» behandeln, sehr unterstützen. «Eine Medizin, die den ökonomischen Anreizen mehr folgt als den ärztlichen Selbstverständlichkeiten, wird auf Dauer ihre Seele verkaufen.» [1]
Inwieweit es hierfür tatsächlich einen neuen «Schweizer Eid» braucht, mag mal dahingestellt bleiben. Es bedarf an dieser Stelle eher einer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung über die Folgen der Ökonomisierung der Medizin, verbunden mit einer Bewusstseinsbildung und Solidarisierung unter den Ärzten, den Patienten und damit auch den Bürgern in der Schweiz.
Inwieweit der Hippokratische Eid wirklich als veraltet angesehen werden kann, gilt es dann noch zu diskutieren. Interessanterweise kommt man – wie die Autoren auch – doch immer wieder getrost auf den Hippokratischen Eid zurück. Denn der Hippokratische Eid ist ja bei Weitem mehr als nur ein Eidtext, hinter ihm stecken zweieinhalbtausend Jahre Medizingeschichte ausgehend von der Hippokratischen Ethik, zusammengefasst im «Corpus Hippocraticum», und einfliessend in die christlich-abendländische Kultur. Der Hippokratische Eid muss daher als historisches Zeugnis gelesen werden. Damit behält er dann sogar im säkularen 21. Jahrhundert trotz seines übergeordneten Bezugs («bei Asklepios») oder seiner Abgrenzung zu Handwerks­chirurgen («Blasenstein») seine grundlegende Bedeutung, die mit dem «nihil nocere» als heilende Basis der Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patienten den Schutz des Lebens ins Zentrum stellt. Und dies gilt es zu bewahren. Denn: «Humanität besteht darin, dass niemals ein Mensch einem Zweck geopfert wird.» (Albert Schweitzer)
Vor kurzem wurde dies von der Hippokratischen Gesellschaft Schweiz in der Schweizerischen Ärztezeitung hervorragend dargelegt. [2] Es braucht gerade heute in Zeiten der Globalisierung ein personales Menschenbild, wie es sich im Hippokratischen Eid widerspiegelt, der den Arztberuf als Lebensaufgabe ansieht, die mit höchstem Respekt, Verantwortungsgefühl, Vertrauen, ganzheitlichem Ansatz und eben mit der Ehrfurcht vor dem Leben verbunden ist.
Oder anders ausgedrückt in den Worten von Giovanni Maio zur Ökonomisierung der Medizin: «Während die Medizin also ihren Fokus verstärkt auf den messbaren ‘Output’ legt, erklärt sie das Eigentliche zum verzichtbaren Luxus – nämlich die Gewissheit des Patienten, als Mensch verstanden und in seiner Ganzheit in den Blick genommen zu werden.» [3]
1 Maio G. «Ärztliche Qualität bemisst sich nicht nach der Stückzahl». MBZ 2012;18:7.
2 Mattli J et al. Zur Bedeutung des Hippokratischen ­Eides in der heutigen Zeit. Schweiz Ärztezeitung 2016;97(23):854–6.
3 Maio G. Der Arzt als Ingenieur für den Menschen? Psychologische Medizin 2013;24(2):37–8.