Ärzteschaft am Limit (mit Replik)

Briefe an die Redaktion
Édition
2023/1415
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2023.21697
Bull Med Suisses. 2023;104(1415):21

Publié le 05.04.2023

Ärzteschaft am Limit (mit Replik)

Und wieder ein Artikel über die jahrelang bekannte Situation und wieder eine neue Umfrage, welche schon längst Bekanntes mitteilt. Das Mantra, mehr Zeit für die eigentliche Medizin zu haben, wird nicht eintreten, solange wir immer alles in vorauseilendem Gehorsam abnicken, was von aussen an uns angetragen wird, und solange unsere Ärztevereinigungen uns nicht davor schützen und nur Mitgliedsbeiträge kassieren. Ebenso die inflationäre Bildung von Fachgesellschaften, welche zu ihrer Alimentierung immer neue Kurse anbieten – die in 3-5-jährigem Abstand besucht werden müssen, damit man weiterhin abrechnen kann – trägt auch dazu bei. Der Tanz um die goldenen Kälber «Qualitätssicherung» und «Zertifizierung» und die immer neuen Titelschöpfungen wie zum Beispiel Allgemeine Innere Medizin und Hausarztmedizin bringen keinen Zuwachs von Wissen, sondern nur weitere Zwangsmassnahmen hinsichtlich Kurse und Abgaben. Kolleginnen und Kollegen vor 20-30 Jahren genügte es, einmal monatlich ihre Fachzeitung zu lesen und auf Fortbildungen zu gehen, welche auch wirklich interessiert haben, und nicht nur um Punkte zu sammeln. Mit 65-70 Jahren haben sie noch gearbeitet, einfach aus dem Grunde, weil es Spass gemacht hat. Der aktuelle Zustand führt dazu, dass man jungen Kolleginnen und Kollegen nur abraten kann und sein Heil selbst nur in der Flucht sucht und sobald nur irgend möglich in die Pensionierung geht. Es würde sich lediglich etwas ändern, wenn wir aufhören würden, unsere Arbeitsethik und -moral über alles zu halten, anstatt zu kämpfen. Denn geschenkt werden wir weder von der Politik noch von den Kassen etwas bekommen. Letztere lachen sich ja sowieso täglich über die blöde Ärzteschaft krumm, welche sie am Nasenring durch die Manege führen können und jährlich mit neuen Einschränkungen demütigen.
Dr. med. Tanja Wöhrle, Gais

Replik auf «Ärzteschaft am Limit»

Geschätzte Kollegin
Ich teile Ihre Feststellung, dass es viele Missstände und schlechte Entwicklungen im Gesundheitswesen gibt. Diese waren der entscheidende Grund, warum ich begonnen habe, mich standespolitisch zu engagieren. Aus langjähriger persönlicher Erfahrung kann ich Ihnen darum auch versichern, dass sich Ärztevereinigungen – auch dank ihrer Mitgliedsbeiträge – mit ganzer Kraft dafür einsetzen, die Entwicklungen unseres Gesundheitswesens positiv mitzugestalten. Dabei nicken wir schädliche Vorhaben auch nicht in vorauseilendem Gehorsam ab. Im Gegenteil ist die FMH dafür bekannt, die Perspektive und Argumente der Ärzteschaft sehr kritisch und dezidiert einzubringen. Dennoch liegen die durch gesundheitspolitische Entscheidungen gesetzten Rahmenbedingungen natürlich nicht vollständig in unserer Hand.
Ich persönlich würde Kollegen darum auch nicht raten, den Beruf zu verlassen, sondern sie dazu ermutigen, die Zukunft unseres Berufsstands mitzugestalten. Das Kämpfen gegen Missstände und eine hohe Arbeitsethik stehen in meinen Augen dabei nicht im Widerspruch zueinander – im Gegenteil: Gute Rahmenbedingungen in der Patientenversorgung machen eine sinnstiftende Berufsausübung erst möglich. Das Engagement in der Gesundheitspolitik und eine gelebte Arbeitsethik sind insofern zwei Seiten der gleichen Medaille.
Dr. med. Jana Siroka, Mitglied des FMH-Zentralvorstandes und Departementsverantwortliche Stationäre Versorgung und Tarife