Vernünftige Arbeitszeiten sind möglich und nötig

Briefe an die Redaktion
Édition
2023/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2023.21519
Bull Med Suisses. 2023;103(06):23

Publié le 08.02.2023

Vernünftige Arbeitszeiten sind möglich und nötig

Prof. em. Dr. med. Martin Fey, aus Zollikofen, vergisst einen wichtigen Aspekt, wenn er behauptet, Ärztinnen und Ärzte, die nicht über 50 Stunden pro Woche arbeiten möchten, würden ihrem Beruf nicht gerecht. Die hohen Arbeitszeiten in der Weiterbildung, als Kaderärztin respektive Kaderarzt im Spital oder in eigener Praxis kommen zu einem grossen Teil nicht von der Patientenbetreuung, sondern von der ständig zunehmenden administrativen Belastung. Medizinische Fachpersonen (übrigens auch Pflegefachleute, Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten, etc.) verbringen immer mehr Zeit mit unnötigem Papierkrieg. Natürlich gibt es administrative Aufgaben, die nötig und nützlich sind. Ein guter Operations- , Abklärungs- oder Austrittsbericht ist nicht nur für die nachbehandelnden Personen unverzichtbar, sondern ermöglicht es, sich die Situation einer Patientin oder eines Patienten nochmals detailliert zu vergegenwärtigen, ihre Krankheit einzuordnen etc. Das gleiche gilt für Gutachten. Völlig unnötig sind hingegen viele Anfragen der Versicherer oder Wünsche nach Daten vonseiten der Behörden. Eine Reduktion der Administration auf das Nötige und Sinnvolle würde eine Arbeitszeitverkürzung ohne Verminderung der Patientenkontakte erlauben!
Ausserdem ist auch eine Ärztin respektive ein Arzt nicht nur ihrem respektive seinem Beruf verpflichtet. In einer Partnerschaft kann man vereinbaren, dass einer oder beide Partner überdurchschnittlich viel Zeit für Beruf, Politik etc. aufwenden. Aber Kinder brauchen die Aufmerksamkeit der Eltern. Das gilt auch für Väter! Es gibt Studien, die zeigen, dass Kinder, deren Väter zwar in der Familie leben, aber sehr viel abwesend sind, ein höheres Risiko für Probleme haben. Die Präsenz der Mütter kann das nicht ausgleichen. Heutzutage sind zum Glück auch Väter immer weniger bereit, ihre Pflichten gegenüber ihren Kindern zu vernachlässigen. Entweder wir schaffen Arbeitsbedingungen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen, oder wir bekommen in Zukunft noch mehr Probleme, genügend Ärztinnen und Ärzte zu finden.
Dr. med. Monika Diethelm-Knoepfel, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Uzwil