Anamnèse systématique: plus nécessaire? / Gedanken zu einer Hospitalisationsgeschichte (avec réplique)

Briefe an die Redaktion
Édition
2023/05
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2023.21460
Bull Med Suisses. 2023;103(05):25

Publié le 01.02.2023

Gedanken zu einer Hospitalisationsgeschichte (mit Replik)

Trotz Risikos, in den Ruch des Besserwissers zu geraten, möchte ich diesen Fallbericht aus Sicht eines alten Internisten kommentieren.
Eine 51-jährige Patientin wird wegen einer linksseitigen Pneumonie innert weniger Wochen dreimal hospitalisiert, radiologisch (Thorax-Röntgen und zweimal Computertomographie) und infektiologisch eingehend untersucht sowie diversen antibiotischen Behandlungen unterzogen.
Bei nach wie vor unklarer Ätiologie wurde dann anlässlich der dritten Hospitalisation «genauer nachgefragt» und siehe da: Bei der Patientin war acht Monate zuvor ein Mammakarzinom links operiert und nachbestrahlt worden und sie stand unter Tamoxifen.
Frage: Wären Anamnese und klinische Untersuchung schon am Anfang der Geschichte nicht hilfreich gewesen, um eine plausible Diagnose zu stellen und Zeit und Kosten zu sparen?
Mir scheint, der ironisch gemeinte Textvorschlag für einen heutigen Austrittsbericht «… nachdem Eintritts-CT und MRT keine schlüssigen diagnostischen Hinweise ergeben hatten, entschlossen wir uns zu einer Anamneseerhebung» rückt der Wirklichkeit immer näher.
Dr. med. Dieter Würsten, Zürich
Disclosure Statement
Der Autor hat deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.

Anamnèse systématique: plus nécessaire? (avec réplique)

J’ai lu avec grand intérêt cet article concernant un cas de pneumonie persistante en temps de COVID.
J’ai néanmoins été choqué de voir que l’on se décidait d’élargir l’anamnèse près de deux semaines après la première consultation hospitalière… et que l’on avait alors découvert que la patiente avait eu un carcinome mammaire avec tumorectomie, irradiation et traitement complémentaire hormonal huit mois auparavant! Cela laisse entendre que l’anamnèse systématique n’est plus nécessaire lors d’une première consultation et que de plus l’on ne procède plus à une auscultation pulmonaire complète en cas de troubles de ce système, ce qui aurait permis de voir la cicatrice opératoire et peut-être même les séquelles cutanées de la radiothérapie.
C’est très malheureux pour le vieux médecin retraité que je suis de voir que l’anamnèse et la sémiologie n’ont plus qu’une place minime dans la prise en charge des patientes et patients qui, par contre, passent d’emblée en radiologie puis en IRM.
Je profite de ce courrier de déception pour vous dire que je trouve par contre très réussie la nouvelle mouture du «bulletin jaune».
Dr méd. Blaise Courvoisier, La Chaux de Fonds
Disclosure statement
L’auteur a déclare ne pas avoir de conflits d’intérêts potentiels.

Replik auf zwei Briefe zum Thema «Anamnese»

Herzlichen Dank für die beiden Leserbriefe. Da es sich um dieselbe Thematik handelt, möchte ich auf beide Briefe zusammen mit einem Schreiben antworten.
Natürlich wussten wir von Anfang an, dass die Patientin die im Artikel erwähnte Therapie erhalten hatte. Insgesamt hielten wir es jedoch zunächst für wesentlich wahrscheinlicher, dass es sich bei der ersten sowie zweiten Vorstellung (nur nachts auf der Notfallstation) um eine einfache Pneumonie mit anschliessendem langanhaltendem Husten handelte. Die Formulierung «genauer nachgefragt» bei der dritten Vorstellung wurde hier unglücklicherweise für den Aufbau des Artikels verwendet.
Radiologisch lässt sich im Gegensatz zu einer Strahlenpneumonitis eine organisierte Pneumonie nicht von einer einfachen Lungenentzündung unterscheiden, weshalb wir im ersten Moment nicht daran gedacht haben.
Helena Sala, dipl. Ärztin; Thun
Disclosure Statement
Die Autorin hat deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.