Chemsex: betrifft nicht nur Männer, die Sex mit Männern haben (mit Replik)

Briefe an die Redaktion
Édition
2023/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2023.21447
Bull Med Suisses. 2023;103(06):21

Publié le 08.02.2023

Chemsex: betrifft nicht nur Männer, die Sex mit Männern haben (mit Replik)

Die Autorinnen erklären, dass Chemsex eine ausschliesslich homosexuelle Praxis sei, was absolut nicht zutrifft. Ich zitiere den ersten Satz des Artikels: «Chemsex umfasst ein komplexes sozio-kulturelles Phänomen unter Männern, die Sex mit Männern haben und die Substanzen (sogenannte Chems) in Verbindung mit Sex konsumieren.»
Chemsex betrifft absolut alle Arten von Sexualität und alle Geschlechter, wie meine Erfahrung als Präventionsbeamter auf Partys und als Konsument von Substanzen zeigt. Die Behauptung auf einem anerkannten medizinischen Forum, dass Chemsex nur von homosexuellen Männern praktiziert werde, ist gefährlich (insbesondere, wenn es als erster Vorschlag erscheint, wenn man nach «Chemsex» googelt). Zum einen kann dies zu einer starken Diskriminierung von Homosexuellen im Allgemeinen führen. Zum anderen vernachlässigt dies die tatsächlichen Fakten und trägt zur Unsichtbarmachung der Problematik auf gesellschaftlicher Ebene bei, da sie einen weitaus grösseren Teil der Bevölkerung betrifft, als es in dem Artikel der Fall zu sein scheint.
Joachim Mauron, Neuchâtel
Disclosure Statement
Der Autor hat deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.

Replik auf «Chemsex: betrifft nicht nur Männer, die Sex mit Männern haben»

Herzlichen Dank für Ihren Leserbrief und Ihre Anregungen. Wir geben Ihnen recht, dass – wie bei vielen Phänomenen – Chemsex nicht nur von einem Geschlecht oder einer sozio-kulturellen Gruppe praktiziert wird. Dies wurde unsererseits im Abschnitt «Anmerkungen und Ausblick» aufgegriffen.
Wir beziehen uns in unserem Lead auf die Definition von David Stuart, dem Pionier in Sachen Chemsex, der über 15 Jahre das Phänomen in England beobachtete und den Begriff «Chemsex» prägte [1].
Stuarts Arbeitsdefinition lautete: «Defined as any combination of drugs that includes Crystal Methamphetamine, Mephedrone and/or GBL, used before or during sex by gay, bisexual, or other Man who have Sex with Men (MSM) – including Trans*people; MSM being a specific group representing a high prevalence of HIV/HCV/STIs and a cultural tendency to have a higher number of sexual partners.» [2–4].
Wie wir in der Definition in unserem Artikel geschrieben haben, wird der Begriff «am häufigsten» im Zusammenhang mit Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), verwendet. Diese Definition schliesst andere Konstellationen nicht aus, zeigt aber auf, dass diese Bevölkerungsgruppe am meisten betroffen ist. Dies zeigt sich ebenfalls darin, dass wissenschaftliche Studien zu Chemsex fast ausschliesslich mit MSM gemacht werden sowie Informationsmaterial zu Chemsex oft explizit an schwule und bisexuelle Männer adressiert ist [5, 6].
Das Ziel unseres Artikels war es, Medizinerinnen und Mediziner auf das Thema «Chemsex» und die damit verbundenen Risiken zu sensibilisieren. Dies schliesst nicht aus, dass bei Verdacht auf Chemsex ausserhalb der MSM-Population unter Umständen genauer nachgefragt und entsprechende Hilfe angeboten werden sollte. Ebenso zeigt es die Wichtigkeit weiterer Forschung ausserhalb der MSM-Gruppe.
im Namen der Autorinnen:
Dr. med. Simone Blunier, Bern
Dr. med. Aline Haslebacher, Zürich
Disclosure Statement
Die Autorinnen haben deklariert, keine potientiellen Interessenskonflikte zu haben.
1 Kirby T, Thornber-Dunwell M. David Stuart. Lancet. 2022;399(10328):904.
3 Stuart D. A chemsex crucible: the context and controversy. J Fam Plann Reprod Health Care. 2016;42(4):295–6.