Hygieneregeln nach COVID-19

Handschlag – ja oder nein?

Tribüne
Édition
2022/35
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2022.20892
Bull Med Suisses. 2022;103(35):1110-1113

Affiliations
a Prof. Dr. med., Praxis Bubenberg, Bern und Institut für Infektionskrankheiten, Universität Bern; b M. Sc., Institut für Infektionskrankheiten, Universität Bern

Publié le 30.08.2022

Wie gestaltet sich der Umgang im täglichen Miteinander nach Auf­hebung der Corona-Massnahmen? Das wollten Hausärztinnen und -ärzte aus dem Kanton Bern mit einer Umfrage herausfinden. Sie haben in ihren Praxen nach­gefragt, wie gross die Bereitschaft zum Verzicht auf die Begrüssung per Handschlag und zum Tragen einer Maske ist.
Die Begrüssung per Handschlag geht bis in die Antike zurück und ist in vielen europäischen Ländern die traditionelle Begrüssungsformel. Man vermutet, dass sie initial eine Geste des Friedens darstellte. Man zeigte dem Gegenüber, dass man keine Waffe trägt: Durch das Schütteln wurde sicherstellt, dass das Gegenüber nichts im Ärmel versteckt [1].
Auch in Schweizer Arztpraxen ist die Begrüssung per Handschlag sicherlich weit verbreitet, obwohl sich einzelne Ärztinnen und Ärzte, wie zum Beispiel augenärztliche Fachpersonen, bereits vor der COVID-Pandemie davon distanzierten. Genauere Angaben dazu lassen sich nicht finden. In der Hausarztpraxis dient der Handschlag auch der ersten körperlichen Kontaktaufnahme und hat einen gewissen diagnostischen Wert, werden doch Kräftigkeit, Feuchtigkeit und Hauttemperatur intuitiv erfasst.

Pandemie veränderte Gepflogenheiten

Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie [2] wurde vieles anders. Zwei Tage nach der Meldung des ersten Falles in der Schweiz am 25. Februar 2020 [3] wurde mit der Lancierung der schweizweiten Informationskampagne «So schützen wir uns» des Bundesamts für ­Gesundheit von der Begrüssung per Handschlag abgeraten. Diese Empfehlung wurde beibehalten bis zur Aufhebung aller Massnahmen ab 1. April 2022, wobei im Kanton Bern empfohlen wurde, in Praxen weiterhin eine Gesichtsmaske zu tragen. Völlige Unklarheit bestand im Mai 2022 bezüglich der vorgesehenen Dauer der Massnahmenaufhebung, der Haltung bezüglich Begrüssung per Handschlag und der Ansichten der Patientinnen und Patienten zu diesem Thema. Mittels einer Umfrage wollten wir deshalb die aktuellen Meinungen und Haltungen gegenüber Maskentragpflicht und Begrüssung per Handschlag in der Phase der allgemeinen Lockerungen erfragen.
Schütteln wir wieder Hände? Nach Aufhebung der Massnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 muss der Umgang mit den Patientinnen und Patienten neu ausgehandelt werden (charlesdeluvio / Unsplash).

Umfrage in der eigenen Praxis

Im Rahmen des MediX Qualitätszirkels (QZ) führten die Mitglieder im April 2022 eine Umfrage unter den Ärztinnen und Ärzten, den medizinischen Praxis-
assistentinnen (MPA) und den Patientinnen und Patienten in den Praxen zu diesen Themen durch. Alle QZ-Teilnehmenden hatten Anfang April 2022 konsekutiv den nächsten 50 Patienten und Patientinnen einen Fragebogen zu deren Einstellung bezüglich Maskentragpflicht (Mehrfachantworten möglich) und Begrüssung in der Hausarztpraxis (Einfach-Antwort) abgegeben.
Die Teilnahme war freiwillig und anonym, erfasst wurden zusätzlich einige demografische Daten (Tabelle 1). Nach einer deskriptiven Analyse führten wir eine ­logistische Regression zur Identifizierung von erklärenden Variablen zu den Outcomes «Handschlag» und «Maskentragpflicht» durch. Variablen, welche das Modell nicht signifikant verbessert haben (Likelihood Test, Signifikanzniveau P < 0.05) wurden für das finale Modell schrittweise rückwärts eliminiert. Die Auswertung erfolgte mit R vers. 4.1.2.
Tabelle: Merkmale der Studienpopulation
Variable Kategorie1
  Arzt/Ärztin (n = 11)MPA (n = 50)Patient/in (n = 706)
Alter< 2016%, N = 82%, N = 12
20–3450%, N = 2515%, N = 105
35–499%, N = 18%, N = 416%, N = 115
50–6591%, N = 1026%, N = 1325%, N = 178
65–7519%, N = 134
> 7523%, N = 159
Keine Angabe0%, N = 3
GeschlechtMännlich45%, N = 539%, N = 272
Weiblich55%, N = 6100%, N = 5061%, N = 429
Andere0%, N = 2
Keine Angabe0%, N = 3
GesundheitLeide an immunsupprimierender Erkrankung4%, N = 210%, N = 68
Nehme immunsupprimierende Medikamente2%, N = 16%, N = 39
Immunsystem schwächer (subjektiv)12%, N = 86
Gutes Immunsystem100%, N = 1194%, N = 4769%, N = 487
Keine Angabe4%, N = 26
ImpfstatusMindestens 1x geimpft10%, N = 54%, N = 29
Vollständig geimpft45%, N = 546%, N = 2363%, N = 446
Genesen4%, N = 27%, N = 48
Genesen und vollständig geimpft55%, N = 638%, N = 1922%, N = 157
Nicht geimpft und nicht genesen2%, N = 12%, N = 17
Keine Angabe1%, N = 9
AusbildungBerufslehre78%, N = 3935%, N = 249
Fachmittelschule/Gymnasium12%, N = 617%, N = 119
Grundschule2%, N = 19%, N = 61
Höhere Fachschule/Uni100%, N = 118%, N = 436%, N = 251
Keine Angabe4%, N = 26
1 In zehn Fragebogen fehlte die Angabe zu Kategorie und zu den Denominator-Daten (hier nicht aufgeführt).
Insgesamt nahmen 16 Ärztinnen und Ärzte aus 9 Praxen an der Umfrage teil. Es wurden 777 Personen befragt (11 ärztliche Fachpersonen, 50 MPA, 706 Patientinnen und Patienten, 10 ohne Angabe der Kategorie). Da die Umfrage freiwillig war, sind die Resultate indikativ, aber nicht zwingend repräsentativ (selection bias). Die Gruppen unterschieden sich bezüglich Alter, Geschlecht und Ausbildung (Tabelle 1).

Mitglieder Qualitätszirkel mediX Bern

Dr. med. Andreas Gerber, Praxis Egghölzli; Dr. med. Christine Gerber Rihs, Praxis Bubenberg 11; Dr. med. Stefan Henzi, Ärztezentrum Fellergut; Dr. med. Daniel Horat, Gemeinschaftspraxis Brunnmatt; Dr. med. Marianne Kämpf, Gemeinschaftspraxis Könizsstrasse, Liebefeld; Prof. Dr. med. Andreas Kro­nenberg, Praxis Bubenberg 11; Dr. med. Gianni Melideo, ­Ärztezentrum Fellergut; Dr. med. Madeleine Mosimann, Ärztezentrum Fellergut; Dr. med. Véronique Rigamonti, Gemeinschaftspraxis Morillon; Dr. med. Alexandra Röllin, Gemeinschaftspraxis Brunnmatt; Dr. med. Thomas Staub, Praxis Schlossgraben; Dr. med. Marianne Wendel-Beck, Praxis ­Bubenberg 11; Dr. med. Urs Wiprächtiger, Praxis Egghölzli.

Grosse Bereitschaft zum Maskentragen

In der Bereitschaft, auch in Zukunft eine Maske zu tragen, waren sich die Gruppen der MPA und der Patien­tinnen und Patienten ähnlich (Abbildung 1). In allen Gruppen war die Mehrheit der Personen bereit, die Maske zumindest situativ (in Wintermonaten oder während eines Infekts des oberen Atemwegs) weiterhin zu tragen (ärztliche Fachpersonen 100 %, MPA 80 %, Patientinnen und Patienten 80 %). Sobald möglich keine Maske mehr zu tragen, war nur für 9 % der Ärztinnen und Ärzte, jedoch für 42 % der MPA und 32 % der Patientinnen und Patienten zumindest eine valable Option. Der Grossteil der Personen, die bereit wären, bei ­In­fekten der Atemwege eine Maske in der Praxis zu ­tragen, würde dies auch im öffentlichen Verkehr so handhaben.
Abbildung 1: Wie steht es um die Bereitschaft, Maske zu tragen (Angaben in Prozent).

Zurückhaltung beim Handschlag

Bezüglich der Wiedereinführung der Begrüssung per Handschlag in der Praxis waren sich ärztliche Fachpersonen und MPA ähnlicher und deutlich zurückhaltender als Patientinnen und Patienten (Abbildung 2). 64 % der Ärztinnen und Ärzte und MPA würden in Zukunft auf eine Begrüssung per Handschlag verzichten und immerhin 37 % der Patientinnen und Patienten würden ebenfalls generell davon absehen. Deutlich mehr Patientinnen und Patienten (29  %) scheinen in dieser Frage aber noch verunsichert und würden vorerst die nächste Wintersaison abwarten, während keine der ärztlichen Fachpersonen diese Option wählte.
Abbildung 2: Wie steht es um den Handschlag? (Angaben in Prozent).
In der logistischen Regression korrelierte die Bereitschaft, die Begrüssung mit Handschlag wieder aufzunehmen, mit dem Anliegen, die Maske nicht mehr zu tragen (P < 0.01). Alle anderen untersuchten Variablen zeigten keine signifikante Assoziation, weder mit dem Wunsch eines Handschlags zur Begrüssung noch mit der Bereitschaft, eine Maske zu tragen.

Maske nicht nur bei COVID-19 effektiv

Die Umfrage zeigt, dass die Bereitschaft, unter bestimmten Bedingungen weiterhin eine Gesichtsmaske zu tragen, auch bei Patientinnen und Patienten im ­April 2022 mit 58,5 % Ja-Anteil bei den Antworten hoch war. Die Mehrheit dieser Personen wäre weiterhin bereit, bei Symptomen einer Atemwegsinfektion auch im öffentlichen Verkehr freiwillig eine Maske zu tragen. Die Propagation des freiwilligen Maskentragens bei Atemwegsinfekten könnte somit auch in Zukunft durchaus auf eine wesentliche Resonanz stossen. Dies hätte nicht nur Auswirkungen auf die COVID-Infektionsrate, führten die Massnahmen während der COVID-Pandemie doch auch zu einem signifikanten Rückgang anderer Atemwegsinfektionen [4] und der Antibioti­kaverschreibungen im ambulanten Setting. (In der Schweiz konnte zwischen 2019 und 2021 ein Rückgang der Antibiotikaverschreibungen im ambulanten Bereich von 9 auf 7,4 (–18 %) defined daily doses (DDD) pro 1000 Einwohner beobachtet werden [5]). Allerdings ist noch nicht geklärt, wie viel die Maskentragpflicht zu diesem Effekt beiträgt.

Die neue «alte» Normalität

Während die Empfehlungen zum Maskentragen bisher stets recht klar von der öffentlichen Hand bestimmt wurden, fehlen klare Leitlinien bezüglich Begrüssung per Handschlag nach Aufhebung aller Massnahmen vollständig. Obwohl eine Übertragung von COVID-19 per Hand oder über Oberflächen möglich ist, bleibt die Übertragung per Tröpfchen sicherlich der Hauptübertragungsweg. Reinigung und Desinfektion schützen gut vor Übertragung durch direkten Kontakt mit Oberflächen [6]. Zudem ist die gründliche Händedesinfektion vor und nach dem Patientenkontakt auch ausserhalb der COVID-Pandemie medizinischer Standard [7].
Die Begrüssung mit Handschlag hat vor allem in der Schweiz eine hohe Tradition und wird von vielen ­Ärztinnen und Ärzten als erste (auch körperliche) Kontaktaufnahme geschätzt und teilweise auch diagnostisch genutzt. Trotzdem war in unserer Umfrage die Mehrheit von ihnen bereit, in Zukunft generell auf ­dieses Begrüssungsritual zu verzichten. Dies wohl auch, weil sich zwischenzeitlich andere Begrüssungsformen wie Nicken oder leichte Berührung an der Schulter beim Geleiten ins Sprechzimmer etabliert ­haben.
Die Autorinnen und Autoren sind der Meinung, dass allen Patientinnen und Patienten mit oberen Atemwegsinfektionen das Tragen einer Atemschutzmaske in den Praxisräumlichkeiten weiterhin nahegelegt werden sollte. Zudem sollte ihnen empfohlen werden, die Maske auch im öffentlichen Verkehr zu tragen. Dies sollte selbstverständlich auch für das Praxis­personal gelten. Im Sprechzimmer sollten individuelle Entscheidungen möglich sein, zum Beispiel wenn aus nachvollziehbaren Gründen bei älteren Personen auf die Maske verzichtet wird oder wenn bei nahem Kontakt zu immunsupprimierten Personen trotz fehlender Infektzeichen eine Maske getragen wird. Eine Berührung im individuellen Gespräch erscheint si­tuativ nach wir vor von grosser Wichtigkeit und – bei entsprechender Händedesinfektion – auch unbedenklich.

Das Wichtigste in Kürze

• Die Mitglieder des MediX Qualitätszirkels Bern haben ärztlichen Fachpersonen, medizinischen Praxisassistentinnen (MPA) sowie Patientinnen und Patienten zu deren Haltung gegenüber Handschlag in der Arztpraxis und Tragen von Masken befragt.
• In allen Gruppen war die Mehrheit bereit, die Maske ­zumindest situativ trotz Aufhebung der Corona-Massnahmen weiterhin zu tragen. Beim Handschlag waren ärztliche Fachpersonen und MPA zurückhaltender als ­Patientinnen und Patienten.
• Gemäss den Autorinnen und Autoren sollte Personen mit oberen Atemwegsinfektionen empfohlen werden, in der Arztpraxis und den öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maske zu tragen. Der Handschlag erscheint ihnen jedoch bei richtiger Händedesinfektion unbedenklich.

L’essentiel en bref

• Les membres du cercle de qualité MediX de Berne ont interrogé les professionnels de la santé, les assistants médicaux (AM) ainsi que les patients sur leur attitude vis-à-vis du port du masque et de la poignée de main dans le cabinet médical.
• Dans tous les groupes, la majorité était prête à continuer de porter le masque, du moins dans certaines situations, malgré la levée des mesures sanitaires. En ce qui concerne la poignée de main, les professionnels de la santé et les AM étaient plus réticents que les patients.
• Selon les auteurs, il faudrait recommander aux personnes souffrant d’infections des voies respiratoires de porter un masque au cabinet médical et dans les moyens de transport. La poignée de main leur semble toutefois sans danger si les mains sont correctement désinfectées.
redaktion.saez[at]emh.ch
1 Strochlic N. Geschichte des Handschlags: Warum fassen wir so oft Fremde an? National Geographic, 16. März 2020 (www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2020/03/geschichte-des-handschlags-warum-fassen-wir-so-oft-fremde).
2 Zhu H, Wei L, Niu P. The novel coronavirus outbreak in Wuhan, China. Glob Health Res Policy 2020;5(1):6.
3 BAG. Neues Coronavirus COVID-19: Erster bestätigter Fall in der Schweiz. 2020. (www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag/aktuell/medienmitteilungen.msg-id-78233.html).
4 Achangwa C, Park H, Ryu S, Lee MS. Collateral Impact of Public Health and Social Measures on Respiratory Virus Activity during the COVID-19 Pandemic 2020-2021. Viruses. 2022 May 17;14(5):1071. doi: 10.3390/v14051071. PMID: 35632810.
5 Pluess C, et al. Trends in outpatient antibiotic consumption during the COVID-19 pandemic in Switzerland: an interrupted time series analysis. Manuscript in preparation.
6 Centers for Diseases Control and Prevention (CDC). Science Brief: SARS-CoV-2 and Surface (Fomite) Transmission for Indoor Community Environments (www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/more/science-and-research/surface-transmission.html).
7 Widmer A, Tietz A. Praktische Hygiene in der Arztpraxis, Schweiz Med Forum 2005;5:660–6.