Kommunikationsstörung zwischen Ärzteschaft und Politik

Briefe / Mitteilungen
Édition
2022/18
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2022.20769
Bull Med Suisses. 2022;103(18):596

Publié le 03.05.2022

Kommunikationsstörung zwischen Ärzteschaft und Politik

Die laufende Diskussion um die Gesundheitskosteninitiativen leidet unter einer unheilvollen Kommunikationsstörung: Der Logik gehorchend, geht es nämlich um zwei Fragen: A) Haben wir ein Problem mit den Gesundheitskosten? B) Falls ja, sind die eingereichten Vorlagen geeignete Lösungen?
Mit Blick auf das Sorgenbarometer der Bevölkerung beantwortet die Politik Frage A selbstverständlich mit Ja und geht direkt zu Frage B über. Parteien und Volksvertreter wissen, dass ihre Wähler weniger für die Krankenkassen bezahlen und bei den Ausgaben sparen wollen – nur nicht bei sich selber. Um ja niemandem etwas vorzuenthalten, werden folglich Scheinlösungen wie ein neuer Kosten­verteiler oder ein Globalbudget konstruiert. Bei letzterem wird nach frei erfundenen Regeln ein Kostendeckel bestimmt, ohne anzugeben, mit welchen Massnahmen angesichts der medizinischen und demographischen Entwicklungen die finanziellen Grenzen einzuhalten sind.
Die Ärzteschaft sagt lautstark Nein zu Frage B und läuft mit dem Argument der drohenden Zweiklassenmedizin offene Türen ein. Dabei wird vergessen oder vermieden, zuerst Frage A zu beantworten: Haben wir ein Kostenproblem im Gesundheitswesen? Tatsächlich lassen die Äusserungen der FMH offen, ob das ­Kostenwachstum als relevantes Problem anerkannt wird. Die Argumentation der Standesorganisation legt eher nahe, dass die steigende finanzielle Mehrbelastung als letztlich unvermeidbar hinzunehmen ist. Das wiederum lässt die Politik argwöhnen, dass es der Ärzteschaft bei der Ablehnung der Initiativen primär nicht um das Wohl der Patienten, ­sondern um Eigeninteresse geht.
Als Bürger und praktizierender Arzt sage ich vorbehaltlos Ja zu Frage A. Unsere Gesellschaft gleicht einem Ökosystem. Darin ist es nicht nachhaltig, wenn ein Bereich auf Kosten der andern überproportional wächst. Ein funktionierender Staat braucht Ressourcen für die Gesundheit seiner Bürger, aber ebenso auch für Bildung, Soziales, Sicherheit. Wir hinterlassen nächsten Generationen ohnehin schwere Hypotheken, so dass es unverantwortbar wäre, heute beispielsweise nicht bevorzugt Geld für ökologische Projekte bereitzustellen.
Erst mein klares Ja zu Frage A ermöglicht mir ein «Nein, aber» zu Frage B. Nein, diese Initiativen lösen das Problem des Kostenwachstums nicht und sind abzulehnen. Aber stattdessen gilt es, gemeinsame Wege zu suchen: Ärztinnen und Ärzte, die die konkreten Pro­bleme kennen, zusammen mit Politikerinnen und Politikern, die den gesetzlichen Rahmen für Lösungen stecken. Ich denke beispielsweise an systemimmanente Fehlanreize: DRG, das dazu verlockt, möglichst wenig während des Spitalaufenthaltes abzuklären, um viele, ja oft zu viele kostspielige Untersuchungen nachher in rentable Ambulatorien zu verschieben. Notfallstationen, die finanziell davon profi­tieren, dass sie Bagatellfälle wie komplexe Krankheiten behandeln. Überbordende Abklärungen von oft nur grenzwertig patholo­gischen Befunden selbst im hohen Alter, dies meist mehr zur juristischen Absicherung als zum Nutzen für die Patienten. Immer häufigere ärztliche Nachkontrollen, bei denen oft Aufwand und Ertrag in einem Missverhältnis stehen.
Solche konkreten Probleme zu lösen wäre zielführend, in der Kommunikation zwischen Medizin und Politik weniger störungsanfällig – und wohl für bei Seiten befriedigender.