Die leise Welt der Frühchen

Horizonte
Édition
2022/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2022.20599
Bull Med Suisses. 2022;103(12):407-409

Affiliations
Journalistin

Publié le 22.03.2022

Während sechs Monaten haben das Universitätsspital Basel (USB) und das Uni­versitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) die Neonatologie des UKBB saniert. Im Oktober sind die kleinen Patienten wieder eingezogen. Wie gestaltet sich seitdem der neue Alltag im technisch modernsten Perinatalzentrum der Schweiz?
Drei kniehohe weisse Elefanten stehen in Erwartung kleiner Reiterinnen und Reiter im lichterfüllten Entrée vor der Glaswand zur Neonatologie des UKBB. Dahinter führt ein heller Gang zu den drei Patientenzimmern – und in eine grosse Ruhe: Hier bewegen sich die Anwesenden leise und bedacht, die Stimmen sind gedämpft, die automatischen Schiebetüren öffnen und schlies­sen sich kaum hörbar. «Das war nach der Neuer­öffnung das Erste, das auffiel», erinnert sich Abteilungsleiter Prof. Sven Schulzke. Früher habe man auf der ganzen Station alles gehört, da die dicken, schweren Schiebetüren fast immer offenstanden. «Dass man plötzlich nur noch mitbekam, was unmittelbar im gleichen Raum vor sich ging, war zu Beginn ungewohnt für die Pflegenden und brauchte eine Umstellung.»

Ruhig und diskret

Neben den leisen Schiebetüren sorgen schalldämmende Decken und Gipswände für einen niedrigen ­Geräuschpegel auf der Neonatologie. Dies kommt den Frühchen und kranken Termingeborenen zugute: Kaum eine Stimme, ein Alarm oder Telefonklingeln von ausserhalb stört sie mehr in ihren Bettchen und Isoletten, die liebevoll mit bunt gemusterten Tüchern zugedeckt sind. «Wir merken, dass die Kinder insgesamt viel stabiler sind, es gibt weniger Herzfrequenzabfälle», stellt Pflegeleiterin Stefanie Niederschirp fest. Zudem seien nun alle Räume der Abteilung durch ­Türen verschliessbar. «In der jetzt separaten Apotheke können wir deshalb viel konzentrierter arbeiten.» Vor allem aber lasse sich heute bei vertraulichen Gesprächen Diskretion wahren, und die Ruhe helfe den Eltern, sich ihrem Kind intensiv zu widmen. Diese Erfahrung teilt Frau L., deren Sohn fünfzehn Wochen zu früh per Kaiserschnitt zur Welt gekommen ist. Er wird nun seit über einem Monat intensivmedizinisch betreut. «Die unaufgeregte Atmosphäre hier hat viel dazu beigetragen, dass die Neonatologie mittlerweile auch für mich zu einem Ort der Ruhe geworden ist.»
Je ruhiger die Atmosphäre, desto stabiler sind die Babys.

Sicher und geborgen

Frau L. besucht ihr Kind täglich zum «Kanguruhen»: Dabei liegt es Haut auf Haut und warm zugedeckt in ­ihren Armen, was der dreifachen Mutter viel gibt: «Mit meinem Sohn auf der Brust habe ich das Gefühl: Jetzt, für diese Stunde, werde ich diesem Kind einmal so richtig gerecht.» Wobei ihr Rekord bei stolzen vier Stunden liegt. Das Kanguruhen fördere die Eltern-Kind-Bindung und verbessere nachweislich die Verläufe, sagt Sven Schulzke. Es ist dem Abteilungsleiter sehr wichtig, dass sich auch die Eltern der kleinen Pa­tientinnen und Patienten wohlfühlen. «Sie sind für uns nicht Besucher, sondern Co-Therapeuten», betont er. «Wir wollen und brauchen Eltern, die auf der Station mitarbeiten.» Für Stefanie Niederschirp ist Privatsphäre zentral, um den Eltern das Gefühl von ­Sicherheit und Geborgenheit zu geben. Möglich wird diese durch Paravents, insbesondere aber dank der neuen elektrochromen Fenster: Sie lassen sich über das Verändern der elektrischen Spannung bis zu 60% ver­dunkeln, was den Einblick von aussen verhindert. Der verantwortliche Architekt des Universitätsspitals Basel, Michael Müller Gygax, erklärt begeistert: «Stockdunkle Nacht und Vollbeleuchtung in der Neonatologie – Sie sehen höchstens Schemen.» Die Eltern schätzten diesen verlässlichen Sichtschutz enorm.
Der intensive Hautkontakt beim «Kanguruhen» fördert ­Bindung und Entwicklung.

Ein Stück Aussenwelt

Stefanie Niederschirp ist ebenfalls glücklich über die elektrochromen Fenster: Trotz Verdunkelung sehe man, welche Tageszeit herrsche und was draussen passiere – und dies ganz ohne hygienisch ungünstige Vorhänge. «Vor dem Umbau haben wir hier im Sommer im Dunkeln gelebt.» Die optische Verbindung zur Aussenwelt sei für alle auf der Station wichtig, für die Eltern, die zu jeder Tages- und Nachtzeit zu Besuch sind, genau wie für die im Drei-Schicht-Betrieb arbeitenden Pflegenden. Deshalb erwies es sich als Glücksfall, dass die Fensterscheiben nicht in Zimmerhöhe lieferbar waren, erzählt Michael Müller Gygax. Also habe man sie beim untersten Drittel durch einen Riegel unterbrochen. «Dieser untere Fensterteil wird nun oft separat verdunkelt, was die nötige Intimität beim Kanguruhen und gleichzeitig die freie Sicht nach draussen möglich macht.» Vor allem aber schützt das elektrochrome Glas vor der Sommerhitze, unter der die Babys vor dem ­Umbau litten – die optimale Temperatur von 20 °C wurde häufig schon morgens überschritten. «Die Isoletten am Fenster mussten wir oft herunterkühlen», berichtet die Pflegeleiterin. Entsprechend gespannt erwartet man auf der Neonatologie die warme Jahreszeit.

Mehr Raum und kluge Infrastruktur

Was unterscheidet die Arbeit auf der renovierten Abteilung sonst noch im Vergleich zu früher? Die Patientenzimmer seien grösser, das fühle sich luftiger und entspannter an, sagt Stefanie Niederschirp. Ferner könnten heute sogar zwei nicht gehfähige Mütter gleichzeitig im Krankenbett ihre Kinder besuchen kommen. «Vorher passte knapp ein Mama-Bett ins Zimmer.» Um mehr Platz zu schaffen, wurden die Wände der Patientenzimmer Richtung Gang versetzt und die grossen, mit Waschbecken ausgerüsteten Mittelinseln entfernt, um wasserkeimbedingte Infektionen zu verhindern. Mehr Raum gibt es auch dank der neuen Mediensäulen, die den Betrieb aller für die Intensivpflege benötigten Geräte ermöglichen und sich an Deckenschienen flexibel verschieben lassen. «Man könnte auch zwei Mediensäulen an einen Platz anschliessen – je nachdem, was das Kind braucht», erklärt Sven Schulzke. «Es selber muss also nicht bewegt werden.» Die Mitarbeitenden profitieren ebenfalls von den vollständig und ergonomisch eingerichteten Pflegeplätzen: Stehen Sie an einem Bett, sehen und er­reichen sie alle Geräte, ohne dass sie sich vom Kind vor sich abwenden müssen. «Früher musste man sich immer wieder nach hinten drehen, um etwas zu bedienen. Nun haben wir wirklich ideale Bedingungen», freut sich die Pflegeleiterin.
Pink, orange, blau oder grün? Das jeweils passende indirekte Licht schafft eine angenehme Atmosphäre.

Liebe zum Detail

Gleichermassen angenehm für Eltern und Pflegeteam ist die indirekte Beleuchtung, die sich je nach Stimmung in verschiedenen Farben einstellen lässt. Gerade nachts seien die Farben eine willkommene Abwechslung zum unpersönlichen weissen Licht, weiss Sven Schulzke. Bei aller modernsten technischen Infrastruktur, höchsten Gerätesicherheit und Hygiene soll die Neonatologie für Stefanie Niederschirp heimelig sein. «Die Kinder und ihre Eltern sind ja meistens drei bis vier Monate bei uns – eine lange Zeit.» Gerne macht sie auf die Jahreszeitenbilder im Gang aufmerksam, die jeweils saisongerecht ausgewechselt werden. Sie zeigen, dass das Leben draussen zuverlässig stattfindet und die Tage voranschreiten. Ihre Pendants sollen bald dimmbar hinterleuchtet auch in den Patientenzimmern hängen – sobald die passenden dünnen Vitrinen dafür gefunden sind. Überdies sind ein Elternpost-Board sowie ein Mitarbeitenden-Poster in Planung. «Ich bin sehr stolz, dass wir Kindern und Eltern nun ein optimales Umfeld bieten können», zieht Stefanie Niederschirp Fazit über die gut 100 ersten Tagen in der renovierten Neonatologie. Und hofft auf ein baldiges Ende der Pandemie ohne Personalausfälle und Testen, dafür mit Besuchsmöglichkeiten für beide Elternteile gemeinsam, Geschwisterkinder und Freunde. «Dann wird es wieder familiärer bei uns.» Und kurzweiliger für die Reit-Elefanten im Entrée.