W wie die Würde des Alterns

Horizonte
Édition
2022/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2022.20593
Bull Med Suisses. 2022;103(12):402

Affiliations
PD Dr. med., Facharzt für Chirurgie, Klinik Hohmad Thun / lexiatrik Luzern

Publié le 22.03.2022

Clint Eastwood ist unterdessen 91-jährig – an Dirty Harry und seine Western erinnern sich noch einige von uns. Cry Macho heisst sein neuer Film (2021). Macho ist nicht eine Anspielung auf seine Rollen in den alten Filmen, sondern der Name des Hahns des Jungen, den er im Auftrag eines alten Amerikaners von Mexiko in die USA bringen soll. Der 14-jährige Junge lebt mit seiner mexikanischen Mutter dort. Deren Leben ist das einer wohlhabenden, alkoholsüchtigen Frau mit Bodyguards, sein Leben ist auf der Gasse mit seinem Kampfhahn «Macho». Vielleicht ist es Clint Eastwoods letzter Film. Sein Umgang mit dem Altern berührt. Jüngere Frauen in gewissen Lebenssituationen finden auch den alten Mann immer noch interessant. Das werfen Kritikerinnen und Kritiker dem Film vor – man will das nicht richtig glauben. Wieso eigentlich nicht? Aber wortkarg, kauzig wie immer, führt er als bedächtiger, vorsichtig aus dem Auto aussteigender, alter Mann seinen Auftrag aus. «I used to do a lot of things», sagt er, «take care, kid», fügt er langsam an, und man glaubt es ihm.
Nicht immer geht das Altern mit einer solchen dignity in age einher, viele verdämmern vorher, werden aber trotzdem noch zum «Objekt der Begierde», weil sie Geld haben, und Altern kostet, und dieses Geld will man. Ein bisschen länger leben, davon zwar nichts mitbekommen, aber für das Hindämmern unbewusst noch ein paar Monate zahlen, das ist der Plot von John Grishams Camino Winds von 2020. Es geht da zwar um einen Sturm, der die Insel (in Florida) trifft, wo sich die Literaten in ihren verschiedenen Lebensumständen treffen (im ersten Buch Camino Islands werden Scott Fitzgeralds Originalbücher aus ­einer gesicherten Bibliothek gestohlen, darunter auch das Jahrhundertwerk The Great Gatsby – ein wahres Vergnügen, der Diebstahl, und natürlich auch Fitzgeralds Buch). Da verkommt die Würde des Alterns dank obskuren Pillen aus China, die dem Herz noch ein paar Monate des Aufbäumens verleihen, zu einem kriminellen Geschäft.
Das Altern geht auch nicht ganz so problemlos, wie es sich der einfache Schafzüchter Driant vorgestellt hat: Er soll bzw. will in ein feudales Altersheim, wo er eigentlich gar nicht hinpasst. Sein Erbe geht bei seinem Ableben an dieses Seniorenheim über, mittels der blauen Pillen und einer verführerischen Dame, endet sein Dasein nach Vertragsabschluss aber etwas frühzeitig. Seine Kinder kriegen nichts, die Schafherde verdurstet fast, wäre da nicht Bruno, chief of police, der dem Ganzen doch noch auf die Spur kommt. Mit J.J., chief detective der police nationale, mit Gérard Mangin, Mayor von Saint-Denis, und mit seinen andern Freunden und Freundinnen (Isabelle, die er eigentlich will, geht leider in Paris ihrer Karriere nach) kommt alles im beschaulichen Périgord dann doch noch gut (The Shooting at Chateau Rock, 2020, von Martin Walker).
Jetzt landen wir im Schneesturm in Kloten, Cry Macho habe ich im Flugzeug von Dubai genossen (vWINter Kongress). Wegen Covid waren es statt 1200 Teilnehmenden nur 300 eingeladene Referierende, nicht wenige waren weisshaarig. «You’re wise», sagte mir eine jüngere Dame, was ich mit white in Abrede stellte.
Altern kann also auch würdig sein, wie Clint Eastwood zeigt. Vielleicht etwas langsamer, etwas weniger agil. Allen ist das nicht vergönnt. Die andern werden zum Objekt von kriminellen Machenschaften, von unwürdigem Dahindämmern, von Erbschleicherei.
Es muss einmal gesagt sein: Älter werden wir nicht (nur) wegen gesunden Essens, Fitnessstudios und ­E-Bikes. Nein, wir werden es, weil man uns mit den vielen farbigen Pillen auch dazu verhilft. Altwerden ist längst nicht nur ein medizinisches Thema, es hat auch – zum Teil in unschöner Logik – in der Belletristik und im Film seinen Platz gefunden.
Alt werden wie Clint Eastwood? Nicht unbedingt!
redaktion.saez[at]emh.ch