Eine wahre Weihnachtsgeschichte

Briefe / Mitteilungen
Édition
2021/46
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2021.20326
Bull Med Suisses. 2021;102(46):1528

Publié le 17.11.2021

Eine wahre Weihnachtsgeschichte

Nein, es war nicht 1968, sondern 1963, als ein aufständischer Medizinstudent die Kliniker- Weihnacht vom Keller eines Patrizierhauses in den Festsaal eines noblen Restaurants verlegte. Er wollte das Anliegen zum Ausdruck bringen, vermehrte ethische und humanis­tische Werte in das Medizinstudium zu inte­grieren.
In seiner Weihnachtsansprache zitierte er: «Kluge Leute meinten sie zu sein, törichte Narren sind sie geworden.» Es wurden auch ­einige berühmte Medizinprofessoren nach Basel eingeladen, um zum Thema «die Aufgabe und Sendung des Arztes» zu sprechen. Die Initiative des aufständischen Studenten wurde zum Teil nicht verstanden und zum andern Teil ignoriert. Dass die Initiativen mit Zustimmung des Dekanats realisiert worden waren, hatte man in einer Fakultätssitzung vergessen. Der Student sollte in der Folge keine Anstellung in Basel erhalten, wo sein ­revolutionäres Betragen schlecht aufgenommen worden war. Aber, es kam noch schlimmer, nach errungenem Staatsexamen ent­wickelte der Aussenseiter eigene Ideen zur Psychiatrie und zu deren damaligen Einstellungen. Er unterstützte soziale Ideen und klagte den Missbrauch neuentdeckter psychotroper Medikamente an.
Nach einer längeren Irrfahrt gelang es ihm endlich, doch einen Spezialarzttitel zu erlangen, womit er eine Praxis eröffnen konnte. Angebote, sich dem Strom der allgemeinen Gedanken anzuschliessen, hat er immer ab­gelehnt, wodurch er sich den medizinischen Publikationsorganen verschlossen hat. Nun sind seither ungefähr fünfzig Jahre vergangen und der sogenannte «Psychiatriekritiker» findet sich beinahe in der Rolle eines Propheten: Die Technik hat überall in der Gesellschaft, nicht nur in der Medizin, sondern ganz allgemein, die menschlichen Werte zurückgestellt gegenüber technischem und materiellem Fortschritt. Diese Fehlentwicklung ging so weit, dass, ohne sich dessen gewahr zu werden, die Umgebung und der Lebensraum der Spezies Mensch in einer schweren existentiellen Krise angelangt sind. Die Entwicklung hat sich so weit von den wahren Lebensbedürfnissen des Menschen entfernt, dass man meint, heute an einem Wendepunkt der Menschheit zu sein, insofern es ihr nicht gelingt, dem Leben einen tieferen Sinn zurückzugeben und eine neue Harmonie zwischen Mensch und Natur herzustellen.