Zur Beratungstätigkeit 2019 von Tox Info Suisse

Vergiftungen in der Schweiz

Weitere Organisationen und Institutionen
Édition
2021/44
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2021.20200
Bull Med Suisses. 2021;102(44):1440-1444

Affiliations
a Dr. med., Leitende Ärztin, Tox Info Suisse, Zürich; b Dr. med., Oberärztin, Tox Info Suisse, Zürich; c Dr. med., Oberärztin, Tox Info Suisse, Zürich

Publié le 03.11.2021

Fast 40 000 Beratungen führte Tox Info Suisse, die offizielle Informationsstelle der Schweiz für alle Fragen rund um Vergiftungen, im Jahr 2019 durch. Welche Personengruppen aus welchen Gründen betroffen waren – und wie viele Todesfälle es gab. Eine Übersicht.
Tox Info Suisse führte 2019 insgesamt 39 217 Beratungen durch, 36 340 zu Giftexpositionen und 2869 theoretischer Natur.

Übersicht: Vergiftungen in der Schweiz 2019

Die 36 340 Beratungen zu Giftexpositionen entsprachen 32 480 Vergiftungsfällen (Tab. 1), da zum Teil mehrere Beratungen zu einem Fall stattfinden. 17 719 der Fälle (54,6%) betrafen Kinder, davon waren 14 359 (81,0%) jünger als 5 Jahre. Bei der Geschlechtsverteilung war bei den Kindern ein leichtes Überwiegen der Knaben (51,4%) gegenüber den Mädchen (47,5%) und bei den Erwachsenen der Frauen (57,1%) gegenüber den Männern (42,3%) zu sehen. Von den 26 291 unbeabsichtigten (akzidentellen) Vergiftungsfällen ereigneten sich 89% im häuslichen Umfeld, bei den 4445 beabsichtigten Intoxikationen trat die grösste Anzahl (69,5%) im Rahmen von Suizidversuchen auf. Am häufigsten involviert waren Medikamente (35,3%), Haushaltsprodukte (25,8%) und Pflanzen (8,8%) (Tab. 1). Diese Anteile zeigten bei den Erwachsenen und Kindern zum Teil deutliche Unterschiede; während bei den Haushaltsprodukten in 18,8% der Fälle Erwachsene betroffen ­waren, waren es bei den Kindern 31,5%. Der Anteil der Pflanzenvergiftungen lag bei den Kindern bei 12,3%, bei den Erwachsenen bei 4,7%. Dafür waren bei Erwachsenen deutlich mehr technische und gewerbliche Produkte involviert als bei Kindern mit 11,2% gegenüber 2,5% (Tab. 1).
Tabelle 1: Häufigkeit der Vergiftungen beim Menschen nach Noxengruppen (Tox Info Suisse 2019).
Noxengruppen/AltersgruppenErwachseneKinderAlter ­
unbekanntTotal
Medikamente5 90840,3%5 54731,3%1511 47035,3%
Haushaltsprodukte2 76118,8%5 57331,5%318 36525,8%
Pflanzen6884,7%2 17812,3%62 8728,8%
Körperpflegemittel und Kosmetika 3862,6%1 7549,9%02 1406,6%
Technische und gewerbliche Produkte1 64611,2%4442,5%72 0976,5%
Nahrungsmittel und Getränke8645,9%7344,1%171 6155,0%
Genussmittel, Drogen und Alkohol6974,8%4042,3%11 1023,4%
Pilze 4633,2%2631,5%77332,3%
Produkte für Landwirtschaft und Gartenbau3172,2%3231,8%06402,0%
(Gift-)Tiere2151,5%1130,6%43321,0%
Veterinärarzneimittel740,5%540,3%01280,4%
Andere oder unbekannte Noxen6434,4%3321,9%119863,0%
Total14 662100%17 719100%9932 480100%
Bei den Fällen mit ärztlicher Rückmeldung wird eine Schweregrad- [1] und eine Kausalitätsbeurteilung vorgenommen. Bei 4223 Fällen lag eine hohe Kausalität vor (gesichert oder wahrscheinlich). Bei diesen Fällen kam es zu 1021 asymptomatischen, 2222 leichten, 749 mit­telschweren, 224 schweren und 7 tödlichen Verläufen (Tab. 2). Bei den 231 schweren und tödlichen Vergif­tungen überwog der Frauenanteil mit 58%. Kinder ­waren nur in 10 Fällen betroffen (4,3%). Erwachsene mit schweren Vergiftungen waren im Schnitt 44 Jahre, diejenigen mit tödlichen Vergiftungen 58 Jahre alt. Typischerweise ereigneten sich die schweren und töd­lichen Vergiftungen im Rahmen von beabsichtigten Handlungen (64% suizidal, 12% Abusus). In 85% dieser Fälle handelte es sich um eine orale Exposition, und in 62% der Fälle lag eine Polyintoxikation vor.
Tabelle 2: Häufigkeit der Noxengruppen und Vergiftungsschweregrad der auswertbaren ärztlichen Rückmeldungen (Tox Info Suisse 2019) zu Gift­kontakt beim Menschen (nur hohe Kausalität), Medikamente nach ATC-Codegruppen.
 Erwachsene   Kinder    Total 
Noxengruppen/SchweregradOLMSTOLMST  
Medikamente356104537515543302054251251859,6%
 Nervensystem235853302129112112027211791 
 Atemwege94133402611600130 
 Bewegungsapparat41589703630210184 
 Kreislauf23211451413100109 
 Verdauung1120351271510083 
 Übrige375214517926520221 
Haushaltsprodukte411652410095136181049011,6%
Technische und gewerbliche 
Produkte 34255405018171010381 9,0%
Genussmittel, Drogen, Alkohol1712314230010167103468,2%
Pflanzen746154024201001172,8%
Pilze 74435401661001132,7%
Körperpflegemittel, Kosmetika9202011924400791,9%
Produkte für Landwirtschaft 
und Gartenbau41641182100370,9%
(Gift-)Tiere 015103015200360,9%
Nahrungsmittel und Getränke 
(exkl. Pilze, Alkohol)31181073010340,8%
Veterinärarzneimittel131101200090,2%
Andere oder unbekannte Noxen53861084100631,5%
Total4841781662215653744087914223100%
Schweregrad des Verlaufs: O = asymptomatisch, L = leicht, M = mittel, S = schwer, T = tödlich

Tödliche Vergiftungen in der Schweiz 2019

Bei den sieben Todesfällen waren fünf durch Medikamente bedingt, ein Fall durch die suizidale Einnahme eines Herbizides und ein Fall durch die akzidentelle Einnahme eines Körperpflegeproduktes.
Unter therapeutischer wöchentlicher subkutaner Verabreichung von Methotrexat trat bei einer Patientin als unerwartete Arzneimittelwirkung (UAW) eine Panzytopenie und Aplasie auf. Darunter entwickelte die Patientin eine Pneumonie und verstarb trotz antibio­tischer Therapie im septischen Schock.
Eine junge Patientin erlitt nach suizidaler Einnahme von Methadon eine hypoxische Hirnschädigung und ein Multiorganversagen. Bei einer älteren Patientin kam es nach suizidaler Einnahme von Metoprolol, Felodipin und Morphin zu einem Koma mit GCS 3, im Verlauf wurde die Patientin zunehmend hypoton und ­bradykard, trotz initialem Ansprechen auf Vasopressoren und auf die antidotale Therapie mit Insulin-Glukose, ist die Patientin zwei Tage später unter palliativer Therapie verstorben. Eine Patientin entwickelte nach einer Polyintoxikation mit Metformin und verschiedenen Psychopharmaka eine schwere Laktatazidose (pH 6,99, Laktat 14,6 mmol/l) und verstarb an Multi­organversagen. Ein Patient wurde tot aufgefunden mit mehreren über den Köper verteilt klebenden Fentanyl-Pflastern, die Umstände dieser Intoxikation blieben unklar.
Bei einem Patienten kam es nach suizidaler Einnahme von Diquat, einem Herbizid, plus Alkohol zu wie­derholtem Erbrechen, Agitation und einer therapie­bedürftigen Hypotonie. Trotz intensivmedizinischer The­rapie ist der Patient noch gleichentags verstorben. Diquat hat in der Schweiz seit kurzem keine Bewil­ligung mehr. Es ist ätzend und führt zur Bildung hochreaktiver Sauerstoffradikale. Nach Einnahme kommt es rasch zu starken gastrointestinalen Symptomen mit wiederholtem Erbrechen, profusen Durchfällen und Ulzerationen im Magen-Darm-Trakt. Bei schweren Verläufen sind unter anderem epileptische Krampf­anfälle, Rhythmusstörungen, Kreislaufversagen und Multi­organversagen beschrieben. Diquat ist verwandt mit Paraquat, führt aber nicht wie dieses zu einer Lungenfibrose, da es nicht in den Pneumozyten akkumuliert.
Bei einer betagten Patientin kam es nach akzidenteller Einnahme einer grösseren Menge eines Duschgels zu Erbrechen mit Aspirationspneumonie, Ateminsuffi­zienz und im Verlauf rascher Verschlechterung des Allgemeinzustandes.

Schwere Vergiftungen in der Schweiz 2019

Medikamente: Es kam zu 161 schweren Vergiftungen mit Medikamenten [2], davon fünf bei Kindern (1 Säugling, 2 Kleinkinder, 2 Jugendliche). Die Erwachsenen waren im Mittel 45,5 Jahre alt. In 61% waren Frauen betroffen, in über 90% wurden die Medikamente eingenommen, und 77% der Fälle waren suizidal bedingt. Bei 71% der Fälle lag eine Polyintoxikation vor.
Von den schweren Medikamentenvergiftungen ereigneten sich 131 (81,4%) mit Mitteln für das Nervensystem. Im Vordergrund standen dabei Analgetika (Opioide n = 20, Paracetamol n = 15) und Psychopharmaka (Antipsychotika n = 25, Antidepressiva n = 26) sowie Benzodiazepine n = 20 und Zolpidem n = 6. Bei den übrigen schweren Medikamentenvergiftungen waren Mittel für den Bewegungsapparat (Mefenaminsäure n = 2, Baclofen n = 2, Tolperison n = 2, Rocuronium n = 1, Di­clofenac n = 1), für den Gastrointestinaltrakt (Insulin n = 3, Dapagliflozin n = 1, Kaliumchlorid n = 1), für den Kreislauf (Propranolol n = 2, Amlodipin n = 1, Perindopril/Amlodipin n = 1, Verapamil n = 1) und für den Atemtrakt (Diphenhydramin n = 4) beteiligt. Weitere schwere Vergiftungen wurden durch Dermatologika mit 2-Propanol (n = 2), Antiinfektiva (Sulfamethoxazol/Trimethoprim n = 1, Isoniazid n = 1), Onkologika (Methotrexat n = 1, Leflunomid n = 1) und Urologika (Testosteron/Clenbuterol n = 1) verursacht. In einem Fall kam es durch ein Veterinärarzneimittel mit Pentobarbital zu einem schweren Koma mit Aspirationspneumonie.
Genussmittel, Drogen und Alkohol: Genussmittel, Drogen und Alkohol führten zu 31 schweren Intoxi­kationen. Betroffen waren ein Kind (15,8 Jahre) und 30 Erwachsene (Mittelwert Alter 33,5 Jahre). Bei 58% handelte es sich um Männer (n = 18). In der grossen Mehrheit der Fälle erfolgte die Exposition in abusiver (n = 18) oder suizidaler Absicht (n = 10). Bei 68% der Fälle (n = 21) handelte es sich um Polyintoxikationen.
Fünfzehn der Intoxikationen betrafen Alkohol, sechs Halluzinogene und Stimulantien, fünf Opioide und fünf Gammahydroxybutyrat (GHB), Gammabutyrolacton (GBL) oder 1,4-Butandiol (1,4-BD).
Bei den schweren Alkoholintoxikationen wurden in 13 Fällen zusätzlich Medikamente oder andere Drogen konsumiert. Als Symptom wurde meist ein Koma beschrieben, es kam aber auch zu starker Agitation und zwei Mal zu einer Aspirationspneumonie.
Bei den Stimulantien und Halluzinogenen handelte es sich in vier Fällen um Polyintoxikationen. Involvierte Substanzen waren Amphetamin, Ecstasy (MDMA), Kokain und Ketamin. Es kam zu Agitation und Psychosen, Koma und Erhöhung der Kreatininkinase. Bei einem Patienten mittleren Alters kam es nach Kokain-Konsum zu einem Myokardinfarkt und schweren Rhythmusstörungen mit Kammerflimmern.
Bei den Opiatintoxikationen kam es zum typischen Bild mit Koma und Atemdepression. In drei der fünf Fälle wurden noch weitere Substanzen konsumiert (Ethanol, Kokain, Cannabis, Ecstasy [MDMA] und Lorazepam).
Bei den Fällen mit Konsum von GHB, GBL und 1,4-BD kam es zu Koma, Agitation, Desorientiertheit und in einem Fall zu einer Aspirationspneumonie. Nur in ­einem der Fälle wurde ein Beikonsum beschrieben ­(Alkohol). GBL und 1,4-BD werden im Körper sehr rasch zu GHB metabolisiert. GHB ist Analogon des inhibitorischen Neurotransmitters Gamma-Amino-Buttersäure (GABA) und aktiviert GHB-Rezeptoren. GHB wurde als Narkotikum entwickelt, wird aber heute nicht mehr verwendet.
Pflanzen: Bei den Pflanzenvergiftungen kam es 2019 zu vier schweren Verläufen, alle bei Erwachsenen.
Bei drei der Fälle handelte es sich um Einnahme von ­Eibennadeln (Taxus baccata) in suizidaler Absicht. Die Eibe enthält kardiotoxische Taxine. Bei allen drei Fällen kam es zu schweren Herzrhythmusstörungen mit Kammertachykardie/Kammerflimmern und zum Teil Asystolie. Zwei der Patientinnen mussten reanimiert werden. Alle drei wurden mit extrakorporaler Mem­branoxygenierung (ECMO) therapiert und erholten sich vollständig. Eine ältere Patientin verwechselte Bärlauchblätter (Allium ursinum) mit Herbstzeitlosenblättern (Colchicum autumnale). Es kam zu einer Neutropenie und Magen-Darm-Symptomen. Die Herbstzeitlose enthält das Spindelgift Colchicin, welches auch eine entzündungshemmende Wirkung hat. Es wird zur Therapie der Gicht verwendet und findet auch Anwendung bei familiärem Mittelmeerfieber und Perikarditis. Colchicin hat eine sehr enge therapeutische Breite, und in Überdosierung kommt es zu einem Multiorganversagen. Ein Antidot existiert nicht, die Therapie ist symptomatisch.
Haushaltsprodukte: Bei den Haushaltsprodukten traten elf schwere Vergiftungen auf. Betroffen waren ein Kleinkind und zehn Erwachsene, sechs der Fälle waren akzidentell bedingt.
Beim Kinderfall kam es nach okulärer Exposition mit dem Inhalt eines Waschmittelkissens zu einer grossflächigen Hornhautulzeration. Solche schweren Verläufe nach Augenspritzern mit dem Inhalt von Waschmittelkissen heilen in der Regel folgenlos ab. Bei zwei Patienten kam es nach akzidenteller Inhalation eines Produktes in Sprayform (Fleckenentferner respektive Imprägnierspray) zu schweren pulmonalen Symptomen mit Sättigungsabfall und Bronchospasmus. Eine Patientin entwickelte nach Inhalation eines Gemisches aus Javelwasser und Essig ein toxisches Lungenödem. Beim Mischen von Javelwasser mit einer Säure entsteht Chlorgas, welches eine starke Reizwirkung auf die Atemwege hat. Bei zwei Patienten kam es zu schweren Verätzungen im Gastrointestinaltrakt nach suizidaler Einnahme eines Entkalkers respektive eines Ablaufreinigers. Eine Patientin erlitt nach intravenöser Applikation von Javelwasser und eines WC-Reinigers in suizidaler Absicht ein toxisches Lungenödem. Bei zwei Patienten kam es nach Einnahme eines Haushaltsproduktes mit hohem Ethanolgehalt zu einem Koma. Das Trinken eines Felgenreinigers mit Gammabutyrolacton (GBL) führte bei einem Patienten ebenfalls zu einem Koma. Eine betagte Patientin mit Demenz erlitt nach akzidenteller Einnahme eines Abwaschmittels eine ­Aspirationspneumonie.
Kosmetika und Körperpflegemittel: Mit Kosmetika und Körperpflegemitteln kam es 2019 zu keinen schweren Fällen.
Erwähnenswert sind hier fünf mittelschwere Fälle. Durch Augenspritzer mit Läuseshampoos, die Detergentien und Paraffin oder Öle enthalten, kam es in diesen fünf Fällen zu einer starken Augenreizung, bei zwei der Fälle zudem zu Blepharospasmus und bei ­einem Fall zu punktförmigen Hornhautulzerationen. Bei allen Fällen kam es zu einer vollständigen Heilung. Betroffen waren vier Kinder und eine erwachsene Person. Solche Fälle werden bei Tox Info Suisse seit einigen Jahren registriert [3].
Nahrungsmittel und Getränke: Mit Nahrungsmitteln und Getränken kam es zu zwei schweren Vergiftungen. Ein Säugling entwickelte eine schwere muskuläre Hypo­tonie und musste wegen fehlender Schutzreflexe intubiert und beatmet werden. Analytisch konnte ­Botulinustoxin A nachgewiesen werden. Das Kind erhielt einmalig Botulinus-Antitoxin. Eine Quelle für das Botulinustoxin konnte nicht eruiert werden. Bei einer jüngeren Person kam es nach Einnahme bakteriell kontaminierter Nahrungsmittel zu starken Magen-Darm-Symptomen, einer Sepsis mit Fieber bis 39,6 °C und einer schweren Hypokaliämie (Kalium 1,7 mmol/l), wahrscheinlich im Rahmen des Erbrechens.
Technisch-gewerbliche Produkte: Durch technisch-gewerblichen Produkte kam es zu sechs schweren ­Vergiftungen. Die Hälfte dieser schweren Fälle war beruflich bedingt. Einmal durch okuläre Flusssäure-Exposition mit grossflächiger Hornhautulzeration, einmal durch Inhalation von Ammoniumbifluorid und Schwefelsäure mit progredienter Dyspnoe bei Lungenödem und einmal durch Injektion von Hydraulikflüssigkeit unter hohem Druck in die Hand, welche zu einer ausgeprägten Nekrose und dem Auftreten ­eines Kompartmentsyndroms führte. Die Schwere der Verletzungen bei diesen Hochdruckeinspritz-Unfällen wird initial oft unterschätzt [4]. Bei drei Fällen kam es nach Einnahme ätzender Flüssigkeiten zu einem Epiglottisödem und Verätzungen im Gastrointestinaltrakt. In einem der Fälle nahm ein Kleinkind ein als ­ätzend gekennzeichnetes Desinfektionsmittel ein, bei den zwei anderen Fällen wurde in suizidaler Absicht hochkonzentrierte Essigsäure respektive Ammoniakwasser eingenommen.
Stoffe in Landwirtschaft und Gartenbau: Mit Stoffen in Landwirtschaft und Gartenbau ereignete sich eine schwere Intoxikation. Nach suizidaler, wahrscheinlich wiederholter Einnahme eines unbekannten Rodentizides kam es zu schweren Gerinnungsstörungen (INR >5,39, Quick <10%, starke Erniedrigung der Faktoren II, VII und X) mit Blutungen. Die meisten Rodentizide enthalten heute Coumarinderivate, welche als Vitamin-K-Antagonisten wirken.
Giftige Tiere: 2019 kam es zu drei schweren Intoxika­tionen durch Gifttiere. Bei zwei Fällen nach Bissen durch eine Giftschlange trat eine sehr starke Schwellung des Armes auf. Der eine Patient wurde durch eine ein­heimische Kreuzotter (Vipera berus), der andere durch eine gehaltene Europäische Horn­otter (Vipera ammodytes) gebissen. Weitere Informationen zu Ver­giftungen durch Schlangen finden sich in der Anti­dotliste [5].
Im dritten schweren Fall kam es im Rahmen eines Kambo-Rituals [6] zu einer schweren Rhabdomyolyse und wiederholten epileptischen Krampfanfällen. Beim Kambo-Ritual, als Heilmittel gegen diverse Krankheiten angepriesen, wird das Sekret des Kambo-Frosches (Phylomedusa bicolor) in kleine Hautwunden eingerieben. Das Sekret dieses Frosches enthält verschiedenste Substanzen, unter anderem Opioidpeptide, Dermorphin, vasoaktive Moleküle und antimikro­bielle Sub­stanzen.
Pilze: 2019 kam es zu vier schweren Pilzvergiftungen, alle bei Erwachsenen. Drei der Fälle wurden durch ­Einnahme von amatoxinhaltigen Pilzen verursacht, in ­allen Fällen kam es zu einem Leberversagen mit stark erhöhten Transaminasen. In einem Fall kam es nach ­einer Pilzmahlzeit zu einem Pantherinasyndrom mit Koma und Halluzinationen. Dieses Syndrom kann zum Beispiel durch Fliegenpilze (Amanita muscarina) oder Pantherpilze (Amanita pantherina) ausgelöst werden. Im vorliegenden Fall konnte die verursachende Pilzart nachträglich nicht mehr genau identifiziert werden. Bei allen schweren und den meisten mittelschweren Pilzvergiftungen waren die Pilze selbstgesammelt und nicht kontrolliert. Bei mehreren Fällen waren zwei bis vier Personen durch dieselbe Mahlzeit betroffen.
Andere Noxen: Bei einem Patienten kam es durch eine defekte Heizungsanlage zu einer schweren Kohlen­monoxidvergiftung mit einem COHb von 70%. Dank rascher Therapie mit 100% Sauerstoff kam es lediglich zu Kopfschmerzen und Übelkeit.

Das Wichtigste in Kürze

• Tox Info Suisse führte 2019 insgesamt 39 217 Beratungen durch, 36 340 zu Giftexpositionen und 2869 theoretischer Natur.
• 17 719 der Giftexpositionen betrafen Kinder, 81% davon waren jünger als 5 Jahre.
• 70% aller Vergiftungen geschahen mit Medikamenten, Haushaltsprodukten oder Pflanzen (Tab. 1).
• Knapp 83% der Vergiftungsfälle waren akzidentell bedingt, knapp 15% waren beabsichtigt.
• Fünf der sieben Todesfälle beruhten auf Medikamentenvergiftungen, eine Vergiftung war durch ein Herbizid und eine durch ein Körperpflegemittel verursacht (Tab. 2).
• Von den schweren Fällen waren 71% durch Medikamente, 14% durch Genussmittel und Drogen und 5% durch Haushaltsprodukte verursacht.

L’essentiel en bref

• Tox Info Suisse a réalisé un total de 39 217 consultations en 2019, 36 340 sur des expositions au poison et 2869 de nature préventive.
• 17 719 des expositions au poison concernaient des enfants, dont 81% avaient moins de 5 ans.
• 70% des empoisonnements ont eu lieu avec des médicaments, des produits ménagers ou des plantes (tab. 1).
• Près de 83% des cas d’empoisonnement étaient accidentels, près de 15% intentionnels.
• Cinq des sept décès étaient dus à une intoxication médicamenteuse, un empoisonnement a été causé par un herbicide et un par un produit d’hygiène corporelle (tab. 2).
• Parmi les cas graves, 71% ont été causés par des médicaments, 14% par des stimulants et des drogues et 5% par des produits ménagers.
Wir danken Stefan Weiler für die Mitarbeit an einer früheren Version des Artikels.
Dr. med. Cornelia Reichert
Leitende Ärztin
Tox Info Suisse, Zürich
cornelia.reichert[at]toxinfo.ch
1 Der Schweregradbewertung durch Tox Info Suisse liegt der Poisoning Severity Score zugrunde (Persson HE, et al. Clin Toxicol. 1998;36:205–13). Er beruht auf der Bewertung von Einzelsymptomen und -befunden nach festen Kriterien. Eine Vergiftung ist demnach leicht, wenn Symptome auftreten, die wenig beeinträchtigend sind und in der Regel spontan wieder verschwinden. Eine mittelschwere Intoxikation liegt dann vor, wenn behandlungswürdige und länger anhaltende Symptome vorhanden sind. Schwere Symptome sind ausnahmslos immer behandlungswürdig, lebensbedrohlich und/oder führen zu bleibenden Beeinträchtigungen.
2 160 Fälle mit Humanarzneimitteln, ein Fall mit einem Veterinärarzneimittel.
3 Hofer KE, Kupferschmidt H, Rauber-Lüthy C. Ocular injuries from head lice shampoos containing a mixture of mineral oil and detergents: a consecutive case series. Clin Toxicol. 2018;56(6):562.
4 Rosenwasser MP, Wei DH. High-pressure injection injuries to the hand. J Am Acad Orthop Surg. 2014;22(1):38–45.
6 Silva FVAD, Monteiro WM, Bernarde PS. «Kambô» frog (Phyllo­medusa bicolor): use in folk medicine and potential health risks. Rev Soc Bras Med Trop. 2019;52:e20180467.