Amtsgeheimnis gegen Arztgeheimnis

Briefe / Mitteilungen
Édition
2021/34
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2021.20094
Bull Med Suisses. 2021;102(34):1088

Publié le 25.08.2021

Amtsgeheimnis gegen Arztgeheimnis

Kollege Niederer hat in seinem Leserbrief die FMH aufgefordert, «dafür zu kämpfen, dass Aufsichtsbehörden nicht berechtigt sind, Auskunft über medizinische Befunde zu verlangen, es sei denn, der Patient gäbe ausdrücklich und schriftlich seine Einwilligung dazu». Er reagierte auf zwei Publikationen von Juristen in der SÄZ, die auf eine Auskunftspflicht der Ärzteschaft hinwiesen [1, 2]. Ich kann ihn in seiner Entrüstung verstehen. Der Anwalt eines klagenden Patienten hat nach langen mühsamen Verhandlungen bei der Staatsanwaltschaft nun auch noch beim Ehrenrat der Ärztegesellschaft ein Verfahren verlangt. Als Präsident bat ich die Staatsanwaltschaft, Einsicht in die umfangreichen Akten der Behörde nehmen zu können, damit wir mit den Ab­klärungen nicht vorne anfangen müssen. Wir erhielten folgende Antwort: «Gemäss Art. 101 Abs. 3 StPO können Dritte Akten während ­eines hängigen Verfahrens einsehen, wenn sie dafür ein wissenschaftliches oder ein ­anderes schützenswertes Interesse geltend machen und der Einsichtnahme keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Inter­essen entgegenstehen.» Der Ehrenrat hat auf eine ausführliche schriftliche Begründung verzichtet und das eingeleitete Verfahren ­gemäss Art. 49 StaO FMH sistiert. Für eine standesrechtliche Institution ist offensichtlich die Hürde für eine Auskunftspflicht deutlich höher als für eine Aufsichtsbehörde.