Ein Erfahrungsbericht

COVID-Ausbruch in einem Pflegezentrum nach der mRNA-Impfung

Weitere Organisationen und Institutionen
Édition
2021/40
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2021.20079
Bull Med Suisses. 2021;102(40):1293-1295

Affiliations
a Dr. med. MHA, Chefärztin Geriatrischer Dienst, Pflegezentren der Stadt Zürich; b Dr. med., Oberarzt m.e.V., Abteilung Infektiologie, Spitalhygiene und Personalmedizin, Departement Innere Medizin, Stadtspital Waid und Triemli, Zürich

Publié le 05.10.2021

Bei der Bekämpfung der COVID-Epidemie werden grosse Hoffnungen in die Impfung von Risikopersonen gesetzt. Daher wurden im Frühjahr 2021 prioritär Bewohnerinnen und Bewohner sowie Mitarbeitende von Langzeitpflegeinstitutionen ­geimpft. Dennoch kam es zu einem COVID-19-Ausbruch in einem Pflegezentrum, von dem geimpfte und ungeimpfte Bewohnende und Mitarbeitende betroffen waren. Hierbei gab es sowohl asymptomatische als auch tödliche Krankheitsverläufe.

Einleitung

Aufgrund der Impfstrategie des Bundes und des Kantons wurden im Kanton Zürich in Langzeitpflegeinstitutionen bereits ab Mitte Januar 2021 alle Bewohnerinnen und Bewohner sowie alle Mitarbeitenden, die dies wünschten, mit Pfizer/BioNTech geimpft. Damit konnte in den Pflegezentren der Stadt Zürich eine hohe Impfrate bei den Bewohnenden (über 90%) und den Mitarbeitenden (67%) erreicht werden. Die Daten der Real-World-­Studie aus Israel [1], in der 6,5 Millionen geimpfte Personen untersucht wurden, zeigen auch bei über 85-Jährigen ­einen sehr guten Impfschutzvon 94% gegenüber einer Infektion und 97% gegenüber schweren Verläufen.
Repetitive Testung der bewohnernahen Mitarbeitenden mit gepoolten Speichelproben wurden seit dem 22. Februar einmal pro Woche umgesetzt. Sobald ein Mitarbeitender positiv getestet wurde, fand ein Test aller nicht-geimpften Bewohnenden auf der entsprechenden Abteilung statt. Bei positiv getesteten Bewohnenden wurde die Frequenz der Testung der Mitarbeitenden auf zwei- bis dreimal pro Woche gesteigert. Sobald ein Bewohnender positiv getestet wurde, gab es einen Test aller Bewohnerinnen und Bewohner der Abteilung.
Von den 19 Bewohnenden mit vollem Impfschutz gab es bei 16 einen asymptomatischen oder leichten Verlauf, bei zweien ­jedoch einen tödlichen Verlauf.

COVID-19-Ausbruch

Das betroffene Pflegezentrum war eines der ersten im Kanton Zürich, in dem geimpft wurde. Trotzdem kam es kurz nach der zweiten Impfung zu einem COVID-19-­Ausbruch mit der Alpha-Variante des SARS-CoV-2-­Virus. Der Indexfall ereignete sich bei einem Bewohner fünf Tage nach der Zweitimpfung. In den Tagen vorher war kein Mitarbeitender beim repetitiven Testen positiv getestet worden. Der Ausbruch dauerte 42 Tage. Es waren insgesamt 40 von über 200 Bewohnerinnen und Bewohner auf sieben der zwölf Abteilungen betroffen (Tab. 1).
Tabelle 1: Ausbreitung des Virus auf den betroffenen Abteilungen.
AbteilungAnzahl ­BewohnendeDavon geimpftCOVID-19-Infizierte, geimpftCOVID-19-Infizierte, nicht geimpft
12117112
22015 13
314 8 01
42015 41
5201730
62419 92
72417 20

Impf- bzw. Immunitätsstatus

Auf den betroffenen Abteilungen waren 108 von 143 Bewohnenden geimpft, was einer Impfrate von 76% entspricht. Allerdings schwankte die Impfrate der einzelnen Abteilungen zwischen 57 und 85%.
28 der 40 Bewohnenden mit COVID-19-Erkrankung ­waren geimpft. Wenn man von einem vollständigen Impfschutz nach sieben Tagen [2] nach Zweitimpfung und einer durchschnittlichen Inkubationszeit von fünf Tagen ausgeht, war zu Beginn des Ausbruchs der Impfschutz bei 7 der 28 geimpften Bewohnenden noch nicht vollständig. Zwei weitere Bewohnende hatten wegen erst einer Impfdosis ebenfalls keinen vollständigen Impfschutz.
Immun wegen einer Erkrankung an COVID-19 innerhalb der letzten sechs Monate waren auf den betroffenen Abteilungen 19% (n = 27) der Bewohnenden. Diese wurden gemäss damaligen Richtlinien zweimal geimpft, und die Erstimpfung erfolgte frühestens vier Wochen nach Erkrankung.

Bewohnercharakteristika

Das Durchschnittsalter der Bewohnenden war 86,2 Jahre. Bezüglich der Erkrankungen oder Pflegebedürftigkeit gab es keine relevanten Unterschiede zwischen den Abteilungen. Die Pflegebedürftigkeit war mit einer durchschnittlichen Pflegestufe von 7,2 generell hoch im Vergleich zu üblichen Alters- und Pflegeheimen.
Eine der sieben betroffenen Abteilungen war eine ­spezialisierte Demenzabteilung, wo Abstandsregeln, Schutz- und Hygienemassnahmen schlechter umgesetzt werden können als auf einer Abteilung für Pflege und Betreuung.

Mitarbeitende

Im Rahmen des Ausbruchs erkrankten 62 von rund 400 Mitarbeitenden, davon waren sechs geimpft (alle mit vollständigem Impfschutz). Die positiven Bewohnenden fanden sich bis auf eine Ausnahme auf Abteilungen, wo es auch positive Mitarbeitende gab. Der Verlauf war meist asymptomatisch oder oligosymptomatisch. Ein Mitarbeitender, der nicht geimpft war, musste hospitalisiert werden.
Die Impfrate war bei den Mitarbeitenden in den Pflegezentren damals mit 44% noch tief. Erst im weiteren Verlauf und nachdem immer mehr positive Erfahrungen mit der Impfung vorlagen, konnten mehr Mitarbeitende für eine Impfung motiviert werden. Jetzt liegt die Impfrate bei 69%.

Verlauf der COVID-19-Erkrankung

– Von den 19 Bewohnenden mit vollem Impfschutz hatten 16 einen asymptomatischen oder leichten Verlauf (Müdigkeit, subfebrile Temperaturen, Erkältungssymptome) und zwei einen tödlichen Verlauf. Dies entspricht in 84% der Fälle einem asymptomatischen oder leichten Verlauf und in 10% der Fälle ­einem tödlichen Verlauf.
– Von den neun Geimpften mit noch nicht vollständigem Impfschutz hatten vier einen asymptomatischen oder leichten Verlauf und vier einen tödlichen Verlauf.
– Zwei erst einmal Geimpfte hatten einen leichten Verlauf.
– Bei den Nicht-Geimpften hatten zwei einen asymptomatischen oder leichten Verlauf (20%) und fünf ­einen tödlichen Verlauf (50%).
Auch mittelschwere Verläufe mit Sauerstoffabfall und Pneumonie konnten in fünf Fällen beobachtet werden (Tab. 2).
Tabelle 2: COVID-Verlauf nach Impfstatus.
ImpfstatusNicht geimpftNur eine ImpfungZwei Impfungen, noch nicht vollständiger ImpfschutzZwei Impfungen, ­vollständiger ImpfschutzTotal
Verlauf     
Asymptomatisch1 (10%) 08 (42%)9 (23%)
Leicht1 (10%)24 (44%)8 (42%)15 (38%)
Mittelschwer3 (30%) 1 (11%)1 (5%)5 (13%)
Tödlich5 (50%) 4 (44%)2 (11%)11 (28%)
TOTAL10 291940
Das Durchschnittsalter der Verstorbenen war 93,2 Jahre (nicht geimpft 93,8, geimpft 92,7). Dies ist im Vergleich zum Durchschnittsalter aller an COVID erkrankten ­Bewohnenden (86,2) deutlich höher.
98% der Bewohnerinnen und Bewohner litten vorbestehend an mindestens einer der Risikoerkrankungen für einen schweren SARS-CoV-2-Verlauf.

Diskussion

Die etwas höhere oder tiefere Impfrate der Bewohnenden einer einzelnen Abteilung scheint bei diesem Ausbruch wenig Einfluss auf die Ausbreitung des Virus auf der betreffenden Abteilung gehabt zu haben. Bei fünf der sieben betroffenen Abteilungen war jedoch der Indexpatient ungeimpft. Ungeimpfte Bewohnende und Mitarbeitende könnten die Weiterausbreitung des ­Virus triggern. Es wäre aber auch möglich, dass asym­ptomatische oder oligosymptomatische Geimpfte das Virus unerkannt weiterverbreiten. Gerade bei Bewohnenden mit Demenz sind die klinische Beurteilung und Anamnese nur eingeschränkt möglich.
Die Impfung scheint die hochbetagten, stark pflegebedürftigen Bewohnerinnen und Bewohner weniger gut vor Ansteckung und schwerem Verlauf zu schützen als jüngere Menschen. Auf einer Abteilung erkrankten 65% aller Geimpften, und circa 17% der Geimpften zeigten einen mittelschweren oder tödlichen Verlauf. Das scheint aber eher eine Ausnahme zu sein.
Die Ergebnisse der Studie von Haas et al. [1] in Israel weisen auch bei über 85-Jährigen einen guten Impfschutz gegenüber einer Infektion (94,1%) und einen schweren Verlauf (97,4%) nach.
Der Kontakt unter den Bewohnenden auf einer Abteilung ist eng, lang und ungeschützt, wie sonst nur in ­einem gemeinsamen Haushalt. Bei so langem, engem Kontakt mit dem Virusträger, zum Teil auch in Zweierzimmern, sind offenbar auch Übertragungen bei Geimpften möglich. Beim Indexpatienten auf jeder Abteilung muss von einer Ansteckung von Mitarbeitenden zum Bewohnenden, trotz Hygiene- und Schutzmassnahmen, ausgegangen werden. Offenbar werden in dieser Konstellation vor allem Ungeimpfte angesteckt.
Die Impfung scheint die Mitarbeitenden sehr gut zu schützen, was auch mit den bereits publizierten Daten übereinstimmt [1].
Die Begebenheiten in einem Pflegeheim unterstützen die Transmission von SARS-CoV-2. In diesem Kontext relevant werden in Zukunft auch Mutationen, die ein erhöhtes Transmissionsrisiko und/oder eine Immun­evasion gegenüber Geimpften oder Genesenen zeigen sollten.
Die strikte Umsetzung von Hygiene- und Schutzmassnahmen, Impfung und adäquates Outbreak-Management sind und bleiben insbesondere in Langzeitinstitutionen essentiell.

Das Wichtigste in Kürze

• Die Gegebenheiten in Pflegeheimen unterstützen eine SARS-CoV-2-Transmission.
• Sowohl ungeimpfte als auch asymptomatische und oligosymptomatische geimpfte Personen können die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus triggern.
• Trotz vollständigem Impfschutz können tödliche COVID-19- Verläufe bei hochbetagten, multimorbiden und schwer ­pflegebedürftigen Patienten beobachtet werden.
• Die strikte Umsetzung von Hygiene- und Schutzmassnahmen bleibt auch bei hoher Impfrate in Langzeitinstitutionen ­essentiell.
Dr. med. Gabriela Bieri-­Brüning
Pflegezentren Zürich
Eggbühlstrasse 23
CH-8050 Zürich
Tel. 044 412 10 13
gaby.bieri[at]zuerich.ch
1 Haas EJ, Angulo FJ, McLaughlin JM, Anis E, Singer SR, Khan F, et al. Impact and effectiveness of mRNA BNT162b2 vaccine against SARS-CoV-2 infections and COVID-19 cases, hospitalisations, and deaths following a nationwide vaccination campaign in Israel: an observational study using national surveillance data. Lancet. 2021;397:1819–29. doi.org/10.1016/ S0140-6736(21)00947-8
2 Polack FP, Thomas SJ, Kitchin N, Absalon J, Gurtman A, Lockhart S, et al. Safety and Efficacy of the BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine. N Engl J Med. 2020;383:2603–15. DOI: 10.1056/NEJMoa2034577