Sportlichen Schrittes durchstreift der Morgenmensch Dr. Mattiniero tagtäglich die Strassen von Paradiso. Vom himmlischen Blick auf den Luganersee einmal abgesehen, wird das am Fusse des San Salvatore gelegene Betonkonglomerat seinem vielversprechenden Namen kaum noch gerecht. Die selbständige Gemeinde hat zwar eine angenehm übersichtliche Grösse, niedrige Steuern und funktionierende Institutionen. Ja, sogar ein Altersheim und ein – noch – normales Postamt. Doch dann kommt halt gleich diese ganze, irrwitzige Blechlawine. Besonders schlimm ist es am Morgen, wenn die Luft eigentlich am feinsten sein sollte und der Dottore seinen Frühsport absolviert. Den damit verbundenen pulmonalen CO2-Mehrausstoss nimmt er gelassen hin: Für Ärzte und Ärztinnen geht Koronarschutz wohl immer noch vor Klimaschutz. So meint er denn, dass es viel eher die kolonnenbildenden Jungmütter in ihren Schulkindertaxis seien, die für die zukünftige Gesundheit des Planeten sorgen müssten. Für die Insassen des nahe gelegenen Altersheims hingegen ist das eh kein Thema mehr. Verkehrsinfarkte und stinkende SUVs berühren sie kaum. Man beachtet hier vielmehr die lautstarken, schockfarbigen und ganz besonders die langgezogenen, pechschwarzen Fahrzeuge. Nicht dass man sich unbedingt davor fürchtete, dahin heimzukehren, von wo man einst gestartet war. Nein, es ist dieser künftige, bewusst zu erlebende, letzte Moment des Bewusstseins, der alle ängstigt – nicht das Totsein also, sondern das Totwerden. Das führt immer wieder zu interdisziplinären Herausforderungen für Freundinnen und Freunde, Verwandte, Pflegepersonal, seelsorgerisch Tätige sowie Hausärztinnen und -ärzte – denn mit dem Idealbild des sanften Entschlafens ist es halt in der Praxis so eine Sache. Und da steht dann manchmal auch das Begehren im Raum, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Dr. Mattiniero möchte sich einem derartigen Wunsch nicht a priori verschliessen und lobt unser Rechtssystem, das hier viel eigenverantwortliche Freiheit gewährt. Diese will er aber keinesfalls an einschlägige Institutionen übertragen. Beförderungsaufträge unterschreibe er grundsätzlich nur am nahe gelegenen Postschalter, ätzt der alte Zyniker. Es geht ihm dabei nicht um Gewissen und Moral, sondern einfach um die Frage, ob er in einer Gesellschaft leben möchte, wo «Diplomierter Einschläferungshelfer» zur gängigen Berufsbezeichnung werden könnte und der ausländischen Kundschaft anstatt Roaminggebühren Abräumungsgebühren inklusive Mehrwertsteuer belastet würden. Doch viel mehr als diese glücklicherweise spekulativen Taktlosigkeiten schreckt ihn der ganz konkrete Gedanke, wie es denn wohl im Innern eines solchen Todesengels einmal aussehen muss, nachdem er jeden Morgen, jahraus, jahrein mit seinem Giftköfferchen zur Arbeit gefahren ist.